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Anna Lührmann
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Klaus D. W. •

Frage an Anna Lührmann von Klaus D. W. bezüglich Wirtschaft

Alle Parteien, besonders SPD, CDU/CSU, FDP und sogar die Linke überbieten sich momentan mit "Wirtschaftskonzepten". Von der Partei der Grünen habe ich hierzu noch nichts gehört. Haben die Grünen ein Konzept oder Gedanken zur Bekämpfung/Eindämmung der derzeitigen Wirtschaftskriese, und wenn ja, wie sieht dieses Konzept aus? Welche Maßnahmen wollen die Grünen ergreifen, um Deutschland aus dieser Kriese herauszuführen?

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Wolf,

vielen Dank für Ihre Nachfrage und Ihr Interesse an Grünen Lösungsvorschlägen zur Bewältigung der aktuellen Finanzmarktkrise.

Was mit dem Zusammenbruch der US-Märkte für Immobilienkredite im Sommer 2007 begann, hat sich längst zu einer Weltwirtschaftskrise ausgewachsen. Wir Grüne wollen diese Krise schnell beenden - viel wichtiger sind aber neue Regeln, damit sich so eine Krise nicht wiederholt. Weltweit muss sich in der Art des Wirtschaftens etwas ändern: Unternehmen, Regierungen und VerbraucherInnen müssen ihre Verantwortung wahrnehmen. Wir wollen weg vom kurzfristigen Denken und Handeln - und setzen auf ein langfristig orientiertes Wirtschaftssystem.
Wir erleben gegenwärtig die Renaissance der Politik. Jetzt können wir grundsätzlich über unsere Art zu Wirtschaften nachdenken - und wir haben die Chance für bessere Regeln auf dem Finanzmarkt. Denn für Grüne ist - anders als für FDP und Union - klar: Ein Zurück zum Zustand vor der Krise darf es nicht geben. Denn Umweltzerstörung, kurzfristiges Profitstreben und die schlechte Politik der Regierungen weltweit - vor allem bei der Finanzmarktregulierung - haben uns in dieses Desaster geführt. Grüne Politik steht für eine Abkehr von den grundsätzlichen Fehlern unseres Wirtschaftssystems mit Intransparenz, Verantwortungslosigkeit und grenzenlosem Profitstreben.

Niemand soll sagen, die Politik sei für das aktuelle Desaster nicht verantwortlich. Es war falsche Politik, die ein Überdrehen der Märkte erst möglich gemacht hat. Das zeigt ein Beispiel: Lange Zeit war es üblich, die Ausgabe von Bankkrediten auf das 12,5-fache des Eigenkapitals der Banken zu beschränken. Durch viele Ausnahmen haben Aufsicht, Notenbanken und Regierungen weltweit auf Druck der Finanzindustrie diese Grenze aufgeweicht. Mehr Kredite bedeuteten ein Aufblähen des Finanzsektors und die hektische Suche nach Anlagemöglichkeiten. Beides hat zum aktuellen Ausmaß der Krise geführt. Schlechte Regeln haben für Bedingungen gesorgt, in dem sich die Gier ungestört entfalten konnte.

Jetzt erleben wir weltweites Krisenmanagement mit Milliarden an staatlichen Geldern. Für uns Grüne gilt: Keine Staatshilfe ohne Gegenleistung mit der Sozialisierung von Verlusten und der Privatisierung von Gewinnen. Das heißt: Wenn Banken staatliche Hilfen in Anspruch nehmen, müssen sie und ihre AnteilseignerInnen den größtmöglichen Beitrag leisten. Deswegen sind wir auch für (Teil-) Verstaatlichungen. Denn wenn der Staat die Bank ganz oder teilweise übernimmt, erhält er mit dem späteren Verkaufserlös eine Gegenleistung für seine Rettungsmaßnahmen.
Ob Staatshilfen notwendig sind, muss im Einzelfall entschieden werden. Wichtigstes Entscheidungskriterium ist die Systemrelevanz eines Finanzinstituts - wie bei der Hypo Real Estate, als die Rettung unausweichlich war. Anders ist der Fall bei der VW Bank: Über den Schleichweg der Bankenrettung hat die Bundesregierung erneut der deutschen Automobilindustrie unter die Arme gegriffen und Unterstützung aus dem Bankenrettungsfonds gegeben, obwohl die VW Bank keineswegs systemrelevant ist.

Neue Regeln braucht die Finanzwirtschaft - international, auf EU-Ebene und national. Wir haben Grüne Antworten auf die Krise entwickelt und Ideen für eine Wirtschafts- und Finanzordnung entworfen: Für mehr Vertrauen brauchen wir mehr Verbraucherschutz auf Finanzmärkten, für mehr Stabilität und Verlässlichkeit eine funktionsfähige Finanzmarktaufsicht und die Orientierung der Märkte an Nachhaltigkeit.
National kann die Bundesregierung die Finanzmarktaufsicht besser organisieren, mehr Kompetenzen und Mittel zur Verfügung stellen und auch den Verbraucherschutz stärken. Momentan sind beispielsweise Managergehälter absetzbar und die Millionen-Gehälter und -Abfindungen werden steuerlich subventioniert. Das wollen wir ändern und fordern deswegen eine Deckelung der steuerlichen Absetzbarkeit. Ebenso national zu regeln ist die Zukunft der Landesbanken.

Die nationale Finanzmarktaufsicht muss unabhängiger und schlagkräftiger werden. Alle Bankgeschäfte müssen in die Aufsicht miteinbezogen werden, nichts darf sich mehr außerhalb der Bilanzen abspielen. Die Kompetenzen von Bundesbank und Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) müssen eindeutig geklärt sein.

Grüne Politik steht für eine Wirtschafts- und Finanzmarktpolitik, die sich an Stabilität, Verbraucherschutz und Ökologie orientiert. Nur stabile Märkte verdienen das Vertrauen der AnlegerInnen und sind verlässlicher Teil einer funktionierenden Marktwirtschaft. Anders als bisher sollen künftig alle Akteure auf den Finanzmärkten - die Banken und die Anlegerinnen und Anleger - wissen, was in den von ihnen gekauften Produkten drin ist. Sie sollen so die Verantwortung für ihr Investment wahrnehmen können. Stabilität erreichen wir durch eine bessere Regulierung mit präventivem Ansatz, die international vernetzt ist und alle Akteure, Staaten und Produkte umfasst. Verbraucherschutz und stabile Märkte sind zwei Seiten einer Medaille.

Mit einer Orientierung der Finanzmärkte an mehr Nachhaltigkeit rücken stärker als bisher soziale und ethische Aspekte der Anlageentscheidung in den Blick. Es muss transparent sein, wohin das Geld fließt und womit die Rendite erwirtschaftet wird. Informationspflichten für Vermögensverwalter und Unternehmen sollen den Anlegern ermöglichen, ihr Investment an sozialen, ethischen und ökologischen Kriterien auszurichten. Die öffentliche Hand soll hier Vorbild sein: Öffentliche Gelder - etwa Rückstellungen der gesetzlichen Rentenversicherungen, Gelder der Bundesanstalt für Arbeit oder Pensionsfonds im öffentlichen Eigentum - sollen nur nach festgelegten Nachhaltigkeitskriterien angelegt werden dürfen. Solche Kriterien umfassen bspw. das Verbot, in Unternehmen zu investieren, die Kinderarbeit zulassen, Rüstungsgüter verkaufen oder Atomkraftwerke betreiben. Auch der öffentlich-rechtliche Bankensektor soll verpflichtet werden, solche Kriterien einzuhalten.

Auf europäischer Ebene soll sich die Bundesregierung für die Einführung einer Finanzumsatzsteuer einsetzen, um die Märkte zu stabilisieren und den Finanzsektor an der Finanzierung des Gemeinwohls zu beteiligen. Die Eigenkapitalvorschriften für die Banken wie auch für die Versicherungen sollen überarbeitet und verschärft werden, um Regulierungslücken zu schließen. Nationale Aufsichtsbehörden müssen sich besser koordinieren und zu einem europäischen System der Finanzaufsicht weiterentwickeln. Regeln zur Vergütung von Managern, Verbraucherschutz auf Finanzmärkten oder der Umgang mit pleitebedrohten Banken - all das kann die EU regeln. Ebenso kann sie dafür sorgen, Steuer- und Regulierungsoasen auf ihrem Gebiet zu schließen.
Auf internationaler Ebene müssen verbindliche Regeln für die Finanzmärkte festgelegt werden. Wir unterstützen den Grundsatz vom ersten G20-Gipfel im November 2008, nach dem kein Land, kein Finanzprodukt und kein Finanzmarktakteur unbeaufsichtigt sein darf. Wie dieser Leitsatz nun mit Leben gefüllt wird, wie sich die Interessen von sehr unterschiedlichen Ländern unter einen Hut bringen lassen und wie die neue US-Regierung auftritt, bleibt abzuwarten. Zentral sind für uns folgende Punkte:
- Schließung von Regulierungsoasen, da dort die hochriskanten Geschäfte abgelaufen sind, die uns das Desaster eingebrockt haben.
- Regulierung von Hedgefonds, Ratingagenturen und Private-Equity-Unternehmen als zentrale Akteure auf den internationalen Finanzmärkten.
- Verbesserte internationale Zusammenarbeit der Aufsichtsbehörden. Grenzüberschreitend tätigen Banken muss eine entsprechende Aufsichtsstruktur gegenüberstehen.
Im Parlament und außerhalb des Deutschen Bundestages werden wir uns weiterhin für Stabilität, Verbraucherschutz und Nachhaltigkeit im Bereich der Finanzmärkte einsetzen. Bei der Bankenrettung werden wir der Bundesregierung weiterhin auf die Finger schauen, auch wenn sie die Kontrollrechte des Bundestages - mit Hilfe der FDP - arg beschnitten hat.
Ich hoffe ich konnte Ihnen die Kernelemente der grünen Finanzmarktpolitik aufzeigen, mit denen wir Deutschland aus der Krise führen wollen.

Mit freundlichen Grüßen,
Anna Lührmann

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