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Anna Lührmann
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Frage von Martin W. •

Frage an Anna Lührmann von Martin W. bezüglich Arbeit und Beschäftigung

Hallo Anna Lührmann,

ich bin in der IT-Branche beim Weltmarktführer beschäftigt. Dieser Konzern hat in Deutschland ca.25.ooo Mitarbeiter und baut (gnadenlos) Arbeitsplätze ab und verlagert sie in Richtung Osten, Asien und China. Im "Arbeitsplatzvernichtungsprogramm" für 2005 sind ca. 2500 Stellen geplant worden und Stand 1.Halbjahr läuft alles nach Plan !!!

10 % Abbau = ca. 6 % Rendite für Aktionäre !

Kapital fliesst dorthin, wo Vermögen schon reichlich da ist.

Zusätzlich hat sich dieser IT-Markführer 2005 aus der Dualen Ausbildung v. IT-IHK-Lernberufen (IT-Systemkaufmann, Fachinformatiker, IT-Systemelektroniker) verabschiedet und bildet keine Lehrlinge mehr aus !!!

Zusätzlich hat dieser IT-Markführer sich führend gegen Einführung der Ausbildungsabgabe eingesetzt und dort erhebliche Anstrengungen und Resourcen investiert.

Die Grünen sind in der Regierung, wo sind die regulativen Eingriffe des Staates, die diesen Gesellschaftsverbrechern Einhalt gebieten ?

Was haben Sie persönlich die letzten 4 Jahre dazu beigetragen und was ist ihr Beitrag, um in den nächsten 4 Jahren diesem Marktführer den geselschaftlichen Auftrag zu geben ?

Mit freundlichen Gruss
Martin Weyershäuser
65824 Schwalbach a.Ts.

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Martin Weyershäuser,

habe Sie vielen Dank für Mail, in der Sie mich fragen, wo die regulativen Eingriffe des Staates sind, um die Abwanderung von Arbeitsplätzen ins Ausland zu verhindern. Entschuldigen Sie bitte, dass die Antwort so lange gedauert hat, aber die Frage ist nicht einfach zu beantworten. Jeder der behauptet, es gebe in Zeiten der Globalisierung einfache Antworten, macht falsche Versprechen.

Die meisten Maßnahmen, die mir einfallen um direkt gegen einzelne Konzerne, wie Sie sie beschrieben haben, vorzugehen (z.B. Abschottung vom Weltmarkt) würden zu noch mehr Arbeitsplatzverlagerung oder noch weniger Steuereinnahmen führen. Denn momentan gehört Deutschland zu den Ländern, die am meisten von der Globalisierung profitiert haben:

* Deutschland ist in den letzten Jahren wieder *„Exportweltmeister“*
geworden: Kein Land der Welt hat mehr Güter auf dem Weltmarkt
verkauft, als Deutschland.
* Der *Außenbeitrag*, also der Saldo aus Exporten und Importen von
Produkten und Dienstleistungen ist seit 1999 stark angewachsen.
2004 hat Deutschland Waren und Dienstleistungen im Wert von 117
Mrd. Euro mehr aus- als eingeführt. Durch den Export werden immer
mehr Arbeitsplätze in Deutschland gesichert.
* die deutsche Volkswirtschaft profitiert auch von der
*Osterweiterung der EU*: Das Handelsvolumen mit den
Beitrittstaaten hat sich seit 1994 verdreifacht, in allen Jahren
bis auf 2003 hat Deutschland Exportüberschüsse erzielt, 2004 mit
einem Volumen von 3,2 Mrd. €. Zudem ist es der deutschen
Wirtschaft gelungen, durch die Einfuhr billiger Vorprodukte aus
Mittel- und Osteuropa die ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern.

Pauschal gegen eine zunehmende Verflechtung der internationalen Wirtschaft vorzugehen ist daher die falsche Strategie. Globalisierung gerechter gestallten die richtige. Dazu gehört: Unternehmen können derzeit die Kosten von Unternehmensverlagerungen ins Ausland vom deutschen Steuerzahler mitfinanzieren lassen, obwohl die Erträge aus diesen Investitionen dann in Deutschland grundsätzlich steuerfrei sind. Diese Subventionierung des Arbeitsplatzexports muss beendet werden. Kosten, die für die Verlagerung von Arbeitsplätzen entstehen, sollen im Inland zukünftig nicht mehr steuerlich abzugsfähig sein.

Ungerecht ist auch, dass in Deutschland nur manche von der Globalisierung profitieren, wohingegen andere dauerhaft zu den Verlierern gehören. Vor allem einfache Jobs werden verlagert, ohne dass in Deutschland Ersatz geschaffen wird. Das darf nicht so bleiben. Wir stehen vor der Herausforderung, *neue Beschäftigungschancen* für diejenigen zu schaffen, die in arbeitsintensiven Bereichen, in denen andere Länder konkurrenzlos billig produzieren können, ihre Jobs verloren haben. Hier muss Arbeit bezahlbarer werden. Wir Grüne schlagen daher vor, die Lohnnebenkosten besonders im unteren Einkommensbereich deutlich zu reduzieren. Neue Beschäftigungsfelder vor allem im Dienstleistungssektor können so entwickelt werden.

Damit Arbeitsplätze in Deutschland bleiben und neu entstehen, sollten wir vor allem auf unsere Stärken setzen. Das hohe Lohnniveau und das hohe Niveau der sozialen Sicherung können nur gesichert werden, wenn wir innovativer und produktiver als andere sind. Deshalb brauchen wir gute Bedingungen für Innovationen und mehr Investitionen in *Bildung und Forschung*. Die rot-grüne Bundesregierung hat damit begonnen, die Ausgaben in diesen Bereichen zu erhöhen. Daran habe ich ganz konkret im Haushaltsausschuss mitgewirkt. Es ist notwendig, dass auch die Bundesländer und die Wirtschaft ihre Budgets in diesen Bereichen ausweiten.

Damit wären wir beim Thema: Verantwortung der Wirtschaft oder *Corporate Social Responsibility *(CRS) wie es neudeutsch heißt. Nicht nur Skandale á la VW zeigen, dass in den deutschen Führungsetagen einiges im Argen ist. Daher brauchen wir dringend mehr Transparenz und Kontrolle der unternehmerischen Verantwortung. Rot-Grün hat daher ein Gesetz zur verbindlichen Offenlegung der Vorstandsgehälter von börsennotierten Aktiengesellschaften verabschiedet.

Aber vor allem ein großer Teil der Forschung und der Ausbildung liegt in der Verantwortung der Unternehmen. Dieser sind sie in der Vergangenheit nicht ausreichend nachgekommen. In der Tat haben wir in der letzten Legislaturperiode kein Gesetz zur *Ausbildungsplatzumlage *eingeführt, weil relevante Teile der SPD dagegen waren. Wir Grüne haben in den Verhandlungen mit der SPD darauf gedrungen eine Umlage einzuführen, die solche Unternehmen, wie Sie es beschreiben belastet und ausbildende Unternehmen entlastet. Ich habe diese Position auch gegen Kritik aus den eigenen Reihen immer verteidigt und unterstützt.

Aber leider konnten wir uns als kleinerer Koalitionspartner nicht gegen die massive öffentliche Stimmung gegen die vermeintliche „Zwangsabgabe“ durchsetzen. Stattdessen gibt es nun den Ausbildungspakt, der Kammern mit einbindet und die Möglichkeit von regionalen Lösungen bietet, wie z.B. Bündnisse für mehr Ausbildungsplätze. Falls die Arbeitgeber allerdings ihrer Selbstverpflichtung Ausbildungsplätze zu schaffen weiterhin nicht nachkommen und die Zahl der fehlenden Ausbildungsplätze nicht abnehmen, werden wir die SPD mit Nachdruck an ihr Versprechen erinnern in einem solchen Fall eine Umlage einzuführen.

Mit freundlichen Grüssen

Anna Lührmann

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