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Anna Lührmann
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Frage von Tim K. •

Frage an Anna Lührmann von Tim K. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrte Frau Lührmann,

im SZ-Interview ( http://www.sueddeutsche.de/deutschland/artikel/565/136297/ ) benennen Sie als Grund für Ihr "Ja" zum Tornadoeinsatz: "Ich hatte dann aber die Gelegenheit, mit afghanischen Abgeordneten zu sprechen - und konnte ihnen eine Enthaltung einfach nicht erklären".

Bei allem Respekt: ist das nicht ein bischen dünn? Es gibt Stimmen aus dem Land, wie "Der Missmut [über die zivili-militärische Kooperation] bei den Afghanen wächst täglich"; ( http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/regionen/Afghanistan/hilfe2.html ).

Man könnte doch vielleicht die Parlamentarier und die Bevölkerung Afghanistans einfach besser aufklären darüber, dass sich Deutschland (die Mehrheit der Bevölkerung!) eben nicht zurückziehen will aus Afghanistan, sondern ganz im Gegenteil den wirklichen zivilen Aufbau unter Einbeziehung der afghnaischen Bevölkerung(!) aufstocken möchte. Wäre es nicht eine Signalwirkung, zu zeigen: Wir drehen das Verhältnis Militärausgaben zu Zivilausgaben (derzeit wohl etwa 5:1) um? Können tote Zivilisten, die die Tornadoeinsätze indirekt zwangsläufig mitsichbringen, gegen eine fragwürdige Hilfe aufgewogen werden? Die Bundeswehr verteidigt doch im Wesentlichen nur sich selbst ( http://images.zeit.de/text/online/2007/31/afghanistan ). Ihr Kollege Herr Wieland, Berlin-Mitte, sagt selbst sinngemäß, dass Kollateralschäden leider nicht zu verhindern seien ( http://www.abgeordnetenwatch.de/wolfgang_wieland-650-5618--f73876.html#frage73876 , Antwort vom 04.10.2007); und ebenso wie Sie sagt er, dass die Bundesregierung vorhandene Infos über die Tornadieinsätze zurückhält. Warum verlangen Sie keine Klarheit von der Regierung? Vielen Dank

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Sehr geehrter Herr Karsten,

der von Ihnen zitierte Satz aus dem Interview mit sueddeutsche.de ist ja nicht das einzige Argument, was ich für eine Zustimmung zum ISAF-Einsatz vorgebracht habe. Daher werde ich morgen auch eine persönliche Erklärung abgeben, um mein Abstimmungsverhalten zu begründen. Dort heißt es:

"Trotz Kritik an der Afghanistan-Politik der Bundesregierung und der internationalen Gemeinschaft habe ich heute der Verlängerung des deutschen ISAF-Beitrages zugestimmt. Denn auch als Oppositionspolitikerin musste ich mich in dieser konkreten Bundestagsabstimmung der Frage stellen, ob die Situation in Afghanistan mit diesem deutschen Militärbeitrag oder mit einem Abzug der Bundeswehr besser würde. Nicht die Umsetzung des ISAF-Mandates durch die NATO, die Operation Enduring Freedom (OEF) oder das Afghanistankonzept der Bundesregierung stand heute zur Abstimmung. Sondern es geht um den deutschen Beitrag zur ISAF, vor allem im Norden des Landes. Ich bin der Auffassung, dass dieser fortgesetzt werden muss, weil er sinnvoll und elementar wichtig für die Menschen in Afghanistan und den zivilen Aufbau ist. Alle Informationen und Diskussionen der letzten beiden Wochen haben gezeigt, dass auch die kritischste Haltung zu den Aufklärungs-Tornados, die auch Teil des Mandates sind, keinesfalls die Bedeutung des lebenswichtigen Auftrags von Gesamt-ISAF aufwiegt.

Damit gewichte ich ähnliche Argumente anders als die Mehrheit des grünen Sonder-Parteitages. Dieser hatte der Bundestagsfraktion empfohlen, dem ISAF-Mandat nicht zu zustimmen, um damit Kritik an den Aufklärungs-Tornados und der allgemeinen Afghanistanstrategie deutlich zu machen. Die deutliche Mehrheit der Bundestagsfraktion hat sich an diese Empfehlung gehalten und das ist auch gut so. Auch ich habe einige Tage nach dem Parteitag ernsthaft erwogen mich zu enthalten, da ich den Beschluss des Parteitages durchaus ernst nehme. Dann traf ich jedoch auf eine Gruppe afghanischer Parlamentarier und konnte die Frage “Warum sind Sie für die deutsche ISAF- Beteiligung und stimmen im Bundestag doch nicht zu?” nicht guten Gewissens beantworten. Damit meine ich nicht, dass für meine persönliche Entscheidung die Außenwirkung ausschlaggebend war. Vielmehr wurde mir in der Diskussion klar, dass ich eine Enthaltung vor meinem Gewissen nicht verantworten kann. Denn wenn es um Militäreinsätze geht, kann man sich schuldig machen, wenn man dafür stimmt. Man kann sich aber auch schuldig machen, wenn man dagegen stimmt und damit billigend in Kauf nimmt, dass Truppen abziehen und ein heftiger Bürgerkrieg beginnt. Das ist die Frage, die heute im Plenum des Bundestages zu Abstimmung stand.

Jenseits dieser konkreten Abstimmung sehe ich – wie auch der grüne Sonder-Parteitag - erheblichen Bedarf für eine Veränderung der Afghanistan- Politik der Bundesregierung und der internationalen Gemeinschaft, da sowohl Sicherheit als auch ziviler Aufbau weiterhin unzureichend sind. Die zivile Hilfe und der Polizeiaufbau müssen dringend aufgestockt werden und der Bevölkerung in allen Provinzen zu Gute kommen. Die Bundesregierung muss sich u.a. dafür einsetzen, dass der OEF-Einsatz beendet wird, der Drogenanbau anders bekämpft wird und intensivere Verhandlungen sowohl mit afghanischen Oppositionellen als auch regionalen Nachbarn geführt werden.

Diese dringend notwendigen Überprüfungen und daraus abzuleitenden Strategieveränderungen können jedoch nur das Ergebnis von multilateralen Verhandlungen – nicht zuletzt auch mit den Afghaninnen und Afghanen selber – sein und lassen sich nicht unilateral durch Bundestagsbeschluss bestimmen. Dabei muss die Bundesregierung in Zukunft auch Kritik, vor allem an kontraproduktivem militärischen Vorgehen, deutlich einbringen. Bei aller Kritik kann ich aber als Vertreterin einer multilateralen Außenpolitik nicht fordern, dass sich Deutschland unilateral aus der Gesamtverantwortung eines UN- mandatierten Einsatzes zurückziehen soll. Wenn alle Akteure konstruktiv zusammen arbeiten, besteht noch Hoffnung für eine friedliche Zukunft Afghanistans. "

Mit freundlichen Grüßen
Anna Lührmann

PS: Selbstverständlich verlangt meine Fraktion wiederholt von der Regierung Aufklärung über die Aufkärungstornados, vgl. u.a. http://dip.bundestag.de/btd/16/045/1604548 .

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