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Anna Lührmann
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Michael K. •

Frage an Anna Lührmann von Michael K. bezüglich Verkehr

Sehr geehrte Frau Lührmann,

werden Sie der Privatisierung der Bahn zustimmen und damit zum weiteren Ausverkauf öffentlichen Eigentums beitragen?

Sind Sie der Aufassung, dass diese Art der Verschaffung bisher öffentlichen Eigentums weit unter Wert zugunsten von Privaten mit dem Grundgesetz vereinbar ist?

Warum ermöglichen auch die Politiker der SPD den Reichen und Superreichen ihr akkumuliertes Kapital in zuvor öffentlichen Bereichen einzusetzen, um auf Kosten der Allgemeinheit für sich hohe Renditen zu erzielen?

Glauben Sie, dass eine solche Vorgehensweise mit dem im Grundgesetz verankerten Sozialstaatsprinzip vereinbar ist?

Mit freundlichen Grüßen

Michael Krämer

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Krämer,

vielen Dank für Ihren Beitrag zum Thema Privatisierung der Deutschen Bahn AG.
Ich lehne die Pläne der großen Koalition zur Bahnprivatisierung ab und werde im Bundestag dagegen stimmen, falls die Regierung überhaupt eine Abstimmung durchführt. Denn momentan treibt die Bundesregierung das Thema Bahnprivatisierung im Verborgenen voran, ohne Parlament oder Öffentlichkeit miteinzubeziehen. Einen Börsengang durch die Hintertür darf es nicht geben. Grundlagen einer so weit reichenden Entscheidung für die Zukunft der Deutschen Bahn AG müssen eine offene Debatte und eine breite parlamentarische Mehrheit sein. Das laut Medienberichten nun präferierte Holding-Modell halte ich für sehr problematisch:

1. Die Privatisierung von 49,9% der Transportgesellschaften in einer neu zu schaffenden Sub-Holding in einem durch die DB-Holding noch integrierten Konzern ist ein undurchsichtiges Konstrukt ohne Beispiel in der Wirtschaftsgeschichte. Denn neben einem renditeorientierten privatisierten Bereich bleibt der große Bereich der mit Milliardenbeträgen aus Steuergeldern bezuschussten Infrastruktur unter dem gleichen Dach. Damit entsteht im Konzern der falsche Anreiz, so viele Kosten des Eisenbahnbetriebs wie möglich dem Infrastrukturbereich anzulasten, damit die Gewinne für die privatisierten Transportgesellschaften steigen. Die Verluste des Infrastrukturbereichs müssen dann aus Steuergeldern ausgeglichen werden. Eine andere Möglichkeit, die Verluste zu reduzieren, besteht darin, große Teile des regionalen Schienennetzes stillzulegen, in das die DB schon heute kaum mehr Geld investiert.

2. Rund 15 Mrd. Euro Schulden würden in der neuen Konstruktion bei den Infrastrukturgesellschaften abgeladen, während die privatisierten Transportgesellschaften mit 4,3 Mrd. Euro Eigenkapital ausgestattet werden. Im Klartext: Die Schulden werden sozialisiert und die Gewinne privatisiert.

Zu Ihren weiteren Fragen: Ein Verkauf unter Wert verstößt gegen die Bundeshaushaltsordnung. Diese schreibt eine Veräußerung zum Verkehrswert vor. Problematisch ist diese Regelung hinsichtlich einer Veräußerung von Betriebsteilen, die nicht rentabel zu betreiben sind, wie bspw. das Schienennetz. Deshalb hat sich unsere Fraktion immer gegen eine Privatisierung der Infrastruktur ausgesprochen. Diese Meinung hat sich mittlerweile hoffentlich auch in den anderen Fraktionen durchgesetzt.

Zu den Motiven der SPD kann ich keine Aussage machen, jedoch bin ich selbst über die Politik der Sozialdemokraten in diesem Bereich erschrocken. Sozialpolitische, haushaltspolitische und besonders verkehrspolitische Ziele scheinen keine Rolle zu spielen und werden dem kurzfristigen Ziel, einen weiteren „national champion“ im Logistikbereich zu schmieden, geopfert.

Meiner Meinung nach verstoßen Privatisierungen nicht per se gegen das Sozialstaatsprinzip. Wenn allerdings, wie oben ausgeführt, eine Privatisierung zur Stilllegung regionaler Schienennetze führt, muss eine Privatisierung abgelehnt werden, da so die Daseinsfürsorge bedroht ist.

Diese Überlegung ist neben haushalts-, umwelt- und verkehrspolitischen Erwägungen unser Antrieb, gegen diese Form der Privatisierung zu kämpfen.

Mit freundlichen Grüßen,

Anna Lührmann

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