Frage an Anjes Tjarks von Tobias W.
Sehr geehrter Herr Tjarks,
Hamburg hat letztes Jahr das Hamburger Stromnetz von Vattenfall zurück gekauftt - die SPD hat damit den Volksentscheid umgesetzt. Das hat aber noch nicht dazu geführt, dass die Preise sinken oder der Strommix sich verändert. Auch werden nach wie vor Menschen vom Stromnetz getrennt, weil sie wegen Armut nicht immer pünktlich zahlen können. Meine Frage an Sie:
Angenommen Vattenfall als derzeitiger Grundversorger würde seinen Vertriebsteil (die Hamburger Stromverträge mit Kunden) verkaufen, würden Sie sich dafür einsetzen, dass Hamburg (z. B. Hamburg Energie) diesen Teil einschließlich der dazugehörigen Mitarbeiter genauso kaufet wie das Stromnetz? Hamburg und die Politik könnten dann auch Einfluss auf die Endkundenpreise und den Strommix (mehr Ökostromverträge) nehmen.
Vielen Dank.
T. W.
Sehr geehrter Herr Werknars,
vielen Dank für Ihre Frage. Das Hamburger Volk hat im September 2013 beschlossen: „Senat und Bürgerschaft unternehmen fristgerecht alle notwendigen und zulässigen Schritte, um die Hamburger Strom-, Fernwärme- und Gasleitungsnetze 2015 wieder vollständig in die Öffentliche Hand zu übernehmen. Verbindliches Ziel ist eine sozial gerechte, klimaverträgliche und demokratisch kontrollierte Energieversorgung aus erneuerbaren Energien.“
Der SPD-Senat hat 2014 das Stromnetz von Vattenfall erworben und der städtischen Netzgesellschaft die Konzession erteilt. Für das Stromnetz ist damit der erste Teil des Auftrags des Volksentscheids umgesetzt. Für das Gasnetz hat der Senat eine Kaufoption für das Jahr 2018 vereinbart und für die Fernwärmeversorgung eine Option für das Jahr 2019. Den Rückkauf so weit aufzuschieben widerspricht meiner Ansicht nach dem Auftrag des Volksentscheids. Die Kaufoptionen sind zudem mit hohen Mindestpreisgarantien versehen, die den Rückkauf unwirtschaftlich machen könnten. In diesem Fall dürfte die Stadt ihr Optionsrecht nicht ausüben, das verbietet die Landeshaushaltsordnung. Bei der Fernwärme ist der Vertrag mit Vattenfall so ausgestaltet, dass die Stadt unter Umständen das alte Kohlekraftwerk in Wedel übernehmen muss. Die Entscheidung darüber muss noch im Jahr 2015 fallen. Fernwärme aus Kohle wäre ein direkter Widerspruch zum inhaltlichen Teil des Volksentscheids, der die Klimaverträglichkeit der Energieversorgung verlangt. Ein Konzept des Senats für die Umsetzung des zweiten Satzes des Volksentscheids, also dafür, wie die inhaltlichen Ziele erreicht werden sollen, gibt es nicht. Die Umsetzung des Volksentschieds ist demnach noch lange nicht in trockenen Tüchern. Die meisten dafür relevanten Entscheidungen hat die SPD auf nach der Wahl verschoben und gleichzeitig mit Vorfestlegungen belastet, die ein hohes Risiko für die Umsetzung bedeuten.
Die bedeutendsten Vorteile sowohl für die Verbraucherinnen und Verbraucher als auch für Umwelt und Klima können sich durch die Rekommunalisierung der Fernwärme ergeben. Denn dort geht es nicht nur um die Verteilung der Energie, sondern auch um die Erzeugung, die bisher überwiegend mit Kohle betrieben wird. Und die Kunden sind bisher vollständig dem Preisdiktat von Vattenfall ausgeliefert, weil es weder Konkurrenz gibt, wie bei den Strom- und Gasanbietern, noch staatliche Regulierung, wie bei den Strom- und Gasnetzen. Wann und in welchem Umfang sich diese Vorteile nach den bisherigen Entscheidungen des SPD-Senats verwirklichen lassen, wird sich in den nächsten Jahren zeigen.
Bei Strom und Gas haben die Betreiber eine Durchleitungsverpflichtung und daher keinen direkten Einfluss auf den Strommix. Der Anteil der Netzentgelte am Strompreis liegt bei rund 20 Prozent und es gibt eine staatliche Preisaufsicht durch die Bundesnetzagentur. Trotzdem lohnt es sich natürlich, auch bei den Netzkosten für Entlastungen der Verbraucher zu kämpfen. Die Grünen setzen sich auf Bundesebene vehement dafür ein, Privilegien der Industrie abzubauen, die die Haushalte und der Mittelstand finanzieren müssen. In Hamburg hat die städtische Stromnetz-Gesellschaft zu Beginn des Jahres das Netzentgelt je Kilowattstunde um 0,72 Cent gesenkt, das sind rund 12 Prozent.
Nun aber zu Ihrer Frage, mit der es Ihnen ja auch um den inhaltlichen Teil des Volkstentscheids geht, also um das Ziel einer sozialverträglichen und klimafreundlichen Energieversorgung. Vattenfall versucht derzeit, seine Braunkohlekraftwerke abzustoßen und die letzten AKWs sehen ihrer Stilllegung entgegen, mit allen ungeklärten Fragen der Entsorgung und der Folgekosten. Manche Stimmen sprechen daher bereits von einem Konzern in Auflösung, wobei die Vertriebssparte von Vattenfall soweit ich weiß bisher noch nicht zum Verkauf steht. Trotzdem haben hypothetische Fragen natürlich ihren Reiz und auch ihren Sinn, um neue Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln und durchzuspielen. In diesem Fall bin ich allerdings eher skeptisch. Die Aufgabe des Vattenfall-Stromvertriebs ist es, Vattenfall-Strom an den Mann zu bringen, Strukturen und Unternehmenskultur sind darauf ausgerichtet. Nicht nur die Verträge mit den Endkunden würden auf die Stadt als neue Eigentümerin übergehen, sondern auf der anderen Seite auch die Lieferantenbeziehungen und die Verträge mit ihnen, und das sind in diesem Fall die Atom- und Kohlekraftwerke der Vattenfall-Erzeugungssparte. In solche Verträge würde ich nicht einsteigen wollen. Dagegen hat Hamburg Energie eine klare Ausrichtung auf Erneuerbare Energien und Regionalität. Obwohl in den letzten vier Jahren die Unterstützung des Senats gefehlt hat, ist das Unternehmen auf einem guten Wachstumskurs und hat seit Bestehen mehr Erneuerbare Erzeugungskapazitäten in Hamburg installiert als die anderen Versorger zusammen. Ob Hamburg Energie eine plötzliche Vervielfachung seines Geschäfts verkraften würde und es schaffen kann, ausgerechnet die Vertriebssparte des hartgesottensten Atom- und Kohlekonzerns in einen Ökostromanbieter umzubauen, das ist für mich doch mindestens eine offene Frage.
Im Sinne einer Energiewende von unten würde ich sehr viel lieber als einen Kauf des Vattenfall-Stromvertriebs durch die Stadt einen massenhaften Wechsel der Stromkunden von Vattenfall zum städtischen Versorger Hamburg Energie sehen. Das wäre ein wichtiger Beitrag zur Energiewende, den jede Hamburgerin und jeder Hamburger ohne viel Mühe und völlig ohne Risiko leisten können, sofort und ohne auf ein Verkaufsangebot von Vattenfall zu warten.
Erlauben Sie mir noch eine Anmerkung zum Schluss: Die grün geführte Umweltbehörde hat zwischen 2008 und 2010 Hamburg Energie gegründet, die Rekommunalisierung der Netze betrieben und einen strategischen Plan für den Klimaschutz vorgelegt. Mit der SPD gab es 2011 einen Kurswechsel um 180 Grad. Die SPD hat die Rekommunalisierung gestoppt und bei der Fernwärme alle Rechtsansprüche gegenüber Vattenfall aufgegeben, sie hat die Entwicklung von Hamburg Energie behindert, die Klimaschutzmittel radikal zusammengestrichen, mit der Minderheitsbeteiligung an den Netzen die Interessen von Vattenfall und E.ON bedient und schließlich eine massive Kampagne gegen die Volksinitiative für die Netze gefahren. Dass die SPD nach ihrer Niederlage beim Volksentscheid plötzlich zum Sachwalter einer sozial verträglichen, klimafreundlichen und demokratisch kontollierten Energieversorgung werden würde, war nicht zu erwarten und es ist auch nicht eingetreten. Für die Bürgerenergiewende und eine fortschrittliche Energiepolitik im Sinne des Volksentscheids stehen in Hamburg allein die Grünen. Ich würde mich freuen, wenn Sie das bei Ihrer Wahlentscheidung am 15.2. mitbedenken.
Mit freundlichen Grüßen