Frage an Anjes Tjarks von Thomas M. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrter Dr.Tjarks,
sie haben ja schon sehr umfangreich Stellung zu grüner Gesundheitspolitik bezogen. Ein Thema, das mich als Mitarbeiter in einer psychiatrischen Klinik sehr beschäftigt, ist dabei -wie so häufig- nicht berücksichtigt worden: die Neuordnung des Entgeltsystems für psychiatrische und psychosomatische Krankenhäuser. Hier befinden sich die aktuelle Verantwortlichen auf einem falschen Weg! Das sogenannte PEPP System wird die Behandlung schwer psychiatrisch Erkrankter gegenüber den weniger kranken Patienten wirtschaftlich schlechter stellen, da mit einer längeren Liegezeit (wie sie bei schweren psychiatrischen Erkrankungen üblich ist) die Vergütung sinkt. Dies stellt einen gefährlichen ökonomischen Anreiz für die stets am Gewinn orientierte kommerzialisierte Kliniklandschaft dar! Zunehmend absurd wird diese Regelung, wenn man bedenkt, dass mit der neuen juristischen Handhabung von Zwangsbehandlungen die Behandlungsdauern noch länger werden, da gerade die schwer Kranken über lange Phasen nicht wirksam behandelt werden. Zum wiederholten Male wird hier ein falscher Weg Richtung Kommerzialisierung der Gesundheitspolitik zuungunsten der Schwächeren eingeschlagen. Nahezu alle Fachleute haben sich bereits gegen diese fatale Weichenstellung ausgesprochen, einige Namen sind hier zu finden : http://www.weg-mit-pepp.de/
Im Wahlprogramm Ihrer Partei finde ich zu diesem wichtigen Thema nichts. Deshalb würde ich mich freuen, Ihre Meinung hierzu zu hören. Meine Frage: Darf ich damit rechnen, dass Sie persönlich und die Partei Bündnis 90/ Die Grünen sich gegen die Realisierung des Pauschalierenden Entgeltsystems Psychiatrie und Psychosomatik engagieren? Falls ja: wie stellen Sie sich die Zukunft der Psychiatriefinanzierung vor?
Mir ist bewusst, dass das hier keine Frage mit Relevanz für die meisten Wähler ist und wahrscheinlich nur von Fachpolitikern beantwortet werden kann. Deshalb ist Ihnen mein ganz besonderer Dank sicher, wenn Sie sie beantworten würden!!
Herzliche Grüße aus Altona,
Thomas Meister
Sehr geehrter Herr Meister,
herzlichen Dank für Ihre Anfrage. Die Initiative „Weg mit PEPP“ ist aus meiner Sicht mehr als verständlich. Aktuell verstößt der PEPP-Katalog 2013 gegen die gesetzlichen Vorgaben, die mit dem Krankenhausfinanzierungsreformgesetz (KHRG) vom 17. März 2009 zur Einführung eines durchgängigen, leistungsorientierten und pauschalierten Vergütungssystem für voll- und teilstationäre Leistungen von psychiatrischen und psychosomatischen Einrichtungen vorgegeben wurden. 2009 wurde im KHRG mit dem § 17d neu folgende Vorgabe gemacht:
„(1) Für die Vergütung der allgemeinen Krankenhausleistungen von Fachkrankenhäusern und selbständigen, gebietsärztlich geleiteten Abteilungen an somatischen Krankenhäusern für die Fachgebiete Psychiatrie und Psychotherapie, Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie (psychiatrische Einrichtungen) sowie Psychosomatische Medizin und Psychotherapie (psychosomatische Einrichtungen) ist ein durchgängiges, leistungsorientiertes und pauschalierendes Vergütungssystem auf der Grundlage von tagesbezogenen Entgelten einzuführen. Dabei ist zu prüfen, ob für bestimmte Leistungsbereiche andere Abrechnungseinheiten eingeführt werden können. Ebenso ist zu prüfen, inwieweit auch die im Krankenhaus ambulant zu erbringenden Leistungen der psychiatrischen Institutsambulanzen nach § 118 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch einbezogen werden können. Das Vergütungssystem hat den unterschiedlichen Aufwand der Behandlung bestimmter, medizinisch unterscheidbarer Patientengruppen abzubilden; sein Differenzierungsgrad soll praktikabel sein. Die Bewertungsrelationen sind als Relativgewichte zu definieren. Die Definition der Entgelte und ihre Bewertungsrelationen sind bundeseinheitlich festzulegen.“
Das heißt, der Gesetzgeber hatte bereits damals vorhergesehen, dass abweichend von den Fallpauschalen im somatischen Bereich Besonderheiten in der psychiatrischen Versorgung existieren. Deshalb hat er u.a. von unterschiedlichem Aufwand für die Behandlung von Patientinnen und Patienten gesprochen und einen Prüfauftrag für die Abrechnung von bestimmten Leistungsbereichen erteilt.
Welche Vorgaben der Gesetzgeber zur Entwicklung eines Vergütungssystems für die voll- und teilstationäre Versorgung von psychisch kranken Menschen gemacht hat, geht aus den Vorbemerkungen der Bundesregierung zu einer Kleinen Anfrage der bündnisgrünen Abgeordneten Maria Klein-Schmeink hervor: „Für diesen (…) Bereich soll ein pauschalierendes Entgeltsystem auf Basis tagesbezogener Entgelte eingeführt werden“ (http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/053/1705310.pdf).
Der PEPP-Katalog 2013 folgt nicht der Logik von tagesgleichen Entgelten, die erforderlich wären, sondern der Logik der somatischen Fallpauschalen. Nach dem G-DRG-Fallpauschalensystem (German-Diagnosis Related Groups-System) werden Krankenhäuser dafür ökonomisch belohnt, dass sie Patientinnen und Patienten mit einer möglichst kurzen Liegedauer behandeln. Aus grüner Sicht ist alleine der Diagnosebezug des PEPP-Katalogs kein ausreichend geeignetes Kriterium um den Aufwand in der stationären psychiatrischen Behandlung und Versorgung abzubilden. Ich teile Ihre Einschätzung, dass die Schwere des Krankheitsbildes zu berücksichtigen ist.
Ich teile auch die Einschätzung von Ruth Fricke, die als Betroffenenvertreterin auf die Gefahr von Anreizen für medizinischen Zwangsbehandlungen hinweist. Der Bundesgerichtshof hatte 2012 den Gesetzgeber aufgefordert die medizinischen Zwangsbehandlung von untergebrachten Patienten auf Menschen zu begrenzen, die in Lebensgefahr sind. Auch diese Vorgaben haben die Krankenhäuser bei der Behandlung von psychisch kranken Menschen einzuhalten.
Die zukünftige psychiatrische Versorgung muss flexibel sein, stationär-ambulant übergreifend und personenzentriert. Diese Flexibilität schließt eine Behandlung im Home Treatment zu Hause als stationsersetzende Intensivbehandlung ein. Deshalb wäre zunächst eine Strukturreform wichtiger als eine Vergütungsreform gewesen.
Die schwarz-gelbe Koalition hat bisher nicht zu erkennen gegeben, dass sie an einer inhaltlichen Debatte zur psychiatrischen Versorgung Interesse hat. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordern hingegen in ihrem Wahlprogramm einen „Aktionsplan zur Weiterentwicklung der gesundheitlichen Versorgung bei psychischen Erkrankungen“. Im Rahmen eines solchen Aktionsplans muss auch das PEPP korrigiert werden.
Mit besten Grüßen
Anjes Tjarks