Frage an Anjes Tjarks von Alexander T. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Tjarks,
Ich bin der Meinung das wir es uns nicht leisten können nicht "Grün" zu denken, allerdings gibt mir Folgendes zu denken:
In der Bundestagsabstimmung über den Vertrag von Lissabon hat auch die Grüne Fraktion für den Vertrag und die Begleitgesetze gestimmt.
Im Artikel 42 Des Vertrags von Lissabon heißt es Sinngemäß:
Die Mitgliedstaaten stellen der Union für die Umsetzung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zivile und militärische Fähigkeiten als Beitrag zur Verwirklichung der vom Rat festgelegten Ziele zur Verfügung.
Die Mitgliedstaaten, die zusammen multinationale Streitkräfte aufstellen, können diese auch für die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik zur Verfügung stellen.
Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern.
Im Grünen Wahlprogramm heisst es:
Die Bundeswehr muss europatauglicher und UN-fähiger werden. Wir wollen die Bundeswehr auf 200.000 Soldatinnen und Soldaten verkleinern, die Wehrpflicht abschaffen, den Zivildienst umwandeln und die Freiwilligendienste ausbauen. In der Bundeswehr wollen wir einen freiwilligen militärischen Kurzdienst von zwölf bis 24 Monaten einführen, der Frauen und Männern offen steht. Die Bundeswehr soll eine Freiwilligenarmee im Auftrag des Parlamentes werden.
Militärischen Abenteuern wie dem Irak-Krieg, Ressourcenkriegen oder Bundeswehreinsätzen im Innern erteilen wir eine Absage.
Der Vertrag von Lissabon besagt also genau das Gegenteil von Ihrem Wahlprogramm. Im Lissabonner Vertrag wird schriftlich festgehalten, dass wir uns verpflichten die militärischen Fähigkeiten zu verbessern, was nichts anderes als Aufrüstung heißt. Im Wahlprogramm Ihrer Partei steht eine Verringerung der Truppen auf 200.000 Soldatinnen und Soldaten.
Wieso stimmt die Grüne Bundestagsfraktion für den Vertrag der genau das Gegenteil von Ihrem Wahlprogramm darstellt?
Sehr geehrter Herr Tesche-Vagt,
vielen Dank für Ihre Frage. Der Vertrag von Lissabon widerspricht nicht dem grünen Programm. Im Vertrag von Lissabon steht: „Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern.“ Das kann sowohl Aufrüstung bedeuten, als auch eine Bündelung bisher gedoppelter Strukturen bzw. eine Arbeitsteilung hinsichtlich bestimmter Kapazitäten und Fähigkeiten wie z.B. Transport, Evakuierung u.a. bzw. eine gemeinsame Beschaffungspolitik, mit der sogar Einsparungen erreicht werden können. Es besteht also nicht automatisch ein Widerspruch zwischen der grünen Forderung, z.B. die Bundeswehr zu verkleinern, und einer Verbesserung militärischer Fähigkeiten. Ob „Verbesserung“ also eine qualitative Optimierung bedeutet oder eine rein quantitative Aufstockung, hängt politischen Entscheidungen und Mehrheiten ab.
Außerdem: Umfang und Ausstattung der Streitkräfte sowie die Höhe der Militäretats werden weiterhin im Kompetenzbereich der Mitgliedstaaten bleiben. Außerdem wird jede Regierung für sich öffentlich in Anspruch nehmen, dass sie bereits in der Vergangenheit ihre militärischen Fähigkeiten „schrittweise“ verbessert habe und dies auch in Zukunft „schrittweise“ tun werde. Ein „Anschubfonds“ kann durchaus Sinn machen, wenn die daraus finanzierten militärischen Kapazitäten z.B. ermöglichen, in den einzelnen Mitgliedstaaten militärische Kapazitäten abzubauen und auf EU-Ebene zu bündeln. Nach Auffassung der Bündnisgrünen kann eine stärkere militärische Zusammenarbeit friedenspolitisch dann Sinn machen, wenn dadurch militärische Überkapazitäten abgebaut, Streitkräfte reduziert und Verteidigungsausgaben eingespart werden. Uns ist aber bewusst, dass wir dieses Ziel gegen industriepolitische Einflussnahmen verteidigen müssen.
Schließlich: Ich halte den Vertrag von Lissabon nicht für die beste aller europäischen Welten. Ich halte ihn aber für die beste aller möglichen europäischen Welten - und die ist mit Irland, Tschechien und auch Großbritannien schon schwer zu erreichen. Eine Vertiefung der Europäischen Union halte ich aber für zwingend und deswegen bin ich auch ein großer Befürworter dieses Vertrages, weil es keinen anderen Weg zur Vertiefung der EU gibt.
Mit freundlichen Grüßen
Anjes Tjarks