Frage an Angelika Krüger-Leißner von Dieter M. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrte Frau Angelika Krüger-Leißner!
Am 05.07.2012 veröffentlichten 172 deutschsprachige Wirtschaftsprofessoren einen offenen Protestaufruf zu den Beschlüssen des letzten Eurogipfels.
In diesem Aufruf weisen die Ökonomen die Bürger und Politiker dringlich darauf hin, dass die bisher erfolgte und auch weiterhin vorgesehene Bankenrettung Steuerzahler, Rentner und Sparer solider Euro-Länder massiv gefährdet, da insbesondere in den Krisenländern die Bankschulden mehrere Billionen Euro betragen.
Werden Sie als unsere Abgeordnete diesen Aufruf im Parlament unterstützen?
Mit freundlichen Grüßen
Dieter Maßnick
Sehr geehrter Herr Maßnick,
vielen Dank für Ihre Anfrage. Ich möchte Ihnen heute auf Ihre Fragen antworten. Ich weiß, dass die aktuelle Situation in Europa und die damit einhergehenden Herausforderungen viele Menschen in unserem Land bewegen. Deshalb war die Abstimmung zum Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und Fiskalpakt am 29. Juni 2012 eine ganz wichtige.
Ich versichere Ihnen, ich nehme Ihre Sorgen ernst. Es sind auch meine. Ich habe mir täglich Gedanken gemacht und die Gespräche auf höchster europäischer Ebene stets verfolgt. Das Bundesverfassungsgericht hat den Bundespräsidenten um Aufschub bei der Ausfertigung der Gesetze zum ESM und Fiskalpakt gebeten. Dem liegen mehrere Eilanträge gegen die Gesetze zum ESM und Fiskalpakt zugrunde. Das Bundesverfassungsgericht erbittet sich in seiner Anfrage an den Bundespräsidenten genügend Zeit, um alle Unterlagen genau prüfen zu können. Das alles deutet schon darauf hin, dass es eine äußerst komplizierte und weitreichende Entscheidung war und noch immer ist.
Wir dürfen bei allen Sorgen um die Zukunft nicht vergessen, dass die Geschichte der Euro-panischen Union eine einzigartige Erfolgsgeschichte ist. Die Europäische Gemeinschaft war immer auf das miteinander ausgerichtet und darauf bedacht, sich gegenseitig zu unterstützen und zu helfen. Deutschland hat als starke Exportnation wirtschaftlich in besonderer Weise von dieser Gemeinschaft profitiert.
Von dieser Grundeinstellung ist auch meine Beurteilung des Europäischen Fiskalpaktes und des ESM getragen. Beide sind Ausdruck der innereuropäischen Solidarität. Diese Solidarität empfinde ich als sehr wichtig. Sie ist selbstredend keine Einbahnstraße. Die von Refinanzierungskrisen betroffenen Staaten müssen ihrer Verantwortung für den Abbau ihrer Verschuldung gerecht werden. Klare und strikte Bedingungen für Hilfsmaßnahmen, die Haushalte zu konsolidieren, sind unerlässlich. Aber ebenso wichtig ist es, Wachstum und Beschäftigung zu fördern.
Ich weiß nur zu gut, dass die notwendige Konsolidierung ohne wirtschaftliche Belebung nicht gelingen kann. Vor allem muss aber der Finanzsektor reguliert und an den Kosten der Krise beteiligt werden.
Jeder spürt: Es geht in Europa ums Ganze. Diesem Ernst der Lage müssen wir uns stellen und den Menschen in Deutschland reinen Wein einschenken. Die Regierung hat diese Aufgabe bisher nicht erfüllt. Wir sind alle von der harten ökonomischen Realität in Europa schlicht und einfach überholt worden. Die Krise schlägt eine Schneise der Verwüstung quer durch Europa und es ist kein Ende in Sicht! Die Krise erreicht auch uns. Wir leben auf keiner Insel der Glückseligen. Die Arbeitslosigkeit in Europa erreicht täglich neue Höchststände und Rekorde. Das Wachstum bricht ein. Das wird sich auch auf die Exporte Deutschlands und auf die Wettbewerbsfähigkeit von Arbeitsplätzen in Deutschland auswirken. Wenn wir an unseren Südgrenzen erst einmal mexikanische Verhältnisse haben, dann wird sich der Druck auf die Sozialbedingungen in Deutschland verschärfen! Die prognostizierten Folgen eines Scheiterns in der Krisenbewältigung malen eine düstere Aussicht auf die Zukunft.
In der SPD-Fraktion haben wir sehr kontrovers diskutiert. Wir hätten es uns leicht machen können. Aber wir haben hart mit der Regierung verhandelt und den Ton und die Stoßrichtung in der Debatte um den ESM und den Fiskalpakt entscheidend verändert. Konsolidierung und Wachstum, das ist der neue Zweiklang in Europa! Die ergänzenden Wachstumsim-pulse, die Sofortprogramme gegen die Jugendarbeitslosigkeit in Europa und die Finanzmarkttransaktionssteuer machen dieses Gesamtpacket aus ESM und Fiskalpakt für die Mehrheit auch in der SPD-Fraktion zustimmungsfähig.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass mir die Zustimmung zu diesem Gesetzespaket nicht leicht fiel. Besonders die verfassungsrechtlichen Fragen treiben mich immer noch um. Fakt ist, dass der Deutsche Bundestag als Vertreter des deutschen Volkes hier von Anfang an nicht mit einbezogen wurde und die Beratungen im Nachhinein unter Zeitdruck standen.
Ich möchte Ihnen aber in Erinnerung rufen, wie wir in Deutschland durch die Krise gekommen sind. Zusammen mit den Gewerkschaften und den Betriebsräten wurde Kurzarbeit auf der Basis gesicherter Tarifautonomie vereinbart. Es gab zwei Konjunkturpakete in Höhe von insgesamt ungefähr 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und einen Rettungsschirm, von rund einem Viertel des Bruttoinlandprodukts. Das hat Entschlossenheit gezeigt und dazu geführt, dass die Spekulation und die Arbeitslosigkeit bei uns nicht in die Höhe geschossen sind. Das hat uns durch die Krise gebracht und Wachstum und Beschäftigung gesichert und das ist in jedem Ort sichtbar geworden; z.B. in Kitaeinrichtungen und Schulen und das ist Zukunft.
Fakt ist aber auch, die Krise gefährdet mittlerweile die Grundlage der Europäischen Union. Gibt es keine erfolgversprechenden Strategien und Lösungen, ist ein Lebensmodell bedroht, das für uns alle selbstverständlich geworden ist. Und die Folgen dessen sind von niemanden zu überschauen.
Den von Ihnen angesprochenen Aufruf der Wirtschaftswissenschaftler habe ich gelesen. Aktuell ist das Parlament mit dem Thema Bankenunion nicht befasst. Ob eine, wie durch die Wissenschaftler angesprochene, Bankenunion zur Lösung der Krise beitragen kann und notwendig ist, kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht beurteilen. Vielleicht sehen wir uns beim Mühlenfest am 01.09. Ich würde mich freuen.
Mit herzlichen Grüßen,
Angelika Krüger-Leißner, MdB