Frage an Angelika Glöckner von Marius R. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Glöckner,
Die Vorratsdatenspeicherung (alternativ Mindestdatenspeicherung oder Mindestspeicherfrist) verstößt unter anderem gegen:
- Art. 10 Abs. 1 GG (BVerfG 2010)
- Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EuGH 2014)
- Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention
- Unschuldsvermutung gemäß des Rechtsstaatsprinzip(GG) und der
UN-Menschenrechtscharta
- Bundesdatenschutzgesetz
- Weiterhin: Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 13 Abs. 1 GG, Art. 13 Abs. 1 GG
Der Schaden sowohl für Bürger als auch die Demokratie ist hier in einem deutlichen Missverhältnis zum Nutzen des Instrumentes, dass nachgewiesenermaßen kaum zur Verbrechensbekämpfung beiträgt und auch Anschläge wie das Boston-Attentat und Charlie Hebdo nicht verhindern konnte. Sie schaffen damit ein Machtinstrument, dass ganz im Sinne derer ist, die Sie eigentlich damit bekämpfen wollen. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip scheint hier völlig bedeutungslos geworden zu sein.
Die gespeicherten Daten haben auch einen unglaublich hohen Marktwert, es wird Diskussionen geben, diese Daten anonymsiert freizugeben (wie es gerade mit den Mautdaten geplant ist).
Ebenso ist die Gefahr groß, dass weitere Ausnahmen und Ergänzungen leichter hinzugefügt werden können, wenn die VDS einmal in Kraft getreten ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein so potentiell gefährliches Instrument auf parlamentarisch Wege wieder abgeschafft wird, ist praktisch nicht vorhanden.
Da Sie als MdB lediglich ihrem Gewissen verpflichtet sind und ich davon ausgehe, dass Sie als Mitglied Regierungskoalition dieses Instrument befürworten, möchte ich Sie abschließend fragen, wie Sie Ihre Zustimmung zur Vorratsdatenspeicherung ethisch, moralisch und rechtlich begründen.
Vielen Dank und mit freundlichen Grüßen
Sehr geehrter Herr Rabung,
zunächst möchte ich mich für Ihre Anfrage zum Thema der Vorratsdatenspeicherung bedanken.
Die Erfassung von Daten und Informationen zur Erzielung und Wahrung einer - wie auch immer - definierten Sicherheit ist ein schwieriges Feld und, wie auch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur EU-Richtlinie über den Abruf und die Nutzung von Telekommunikatonsverbindungsdaten gezeigt hat, sowohl politisch als auch juristisch ein hoch umstrittenes Thema.
Gerade vor dem Hintergrund der technischen Nutzbarkeit sowohl im Bereich der Strafverfolgung als auch im Bereich der kommerziellen Nutzbarkeit ist hier äußerste Vorsicht geboten und es ist zwingend erforderlich – da gebe ich Ihnen absolut recht – dass sich eine solche Regelung nicht außerhalb des verfassungsrechtlich gesetzten Rahmens bewegen darf. In diesem Bereich spielt auch eine Kosten-Nutzen-Abwägung keine Rolle, da die Wahrung von Grundrechten durch nichts aufgewogen werden kann.
Einer generellen Absage der Nutzung von Daten kommt dies jedoch nicht gleich, da – sofern Grundgesetzkonform – die Vermeidung von Straftaten eben auch zum Auftrag der staatlichen Behörden und Institutionen gehört. Leider ist es jedoch so, dass vermiedene Straftaten eben nicht das mediale Echo finden, welches die tragischen Ereignisse von Boston, Paris oder Oslo auslösten. Eine Argumentation mit diesen Fällen ist daher meiner Meinung nach nicht statthaft. Zudem ist eine absolute Sicherheit sicherlich durch keine Regelung zu erzielen. Auch sehe ich Ihr Argument, wonach einmal von einem Parlament durchgeführte Entscheidungen durch Parlamente nicht wieder aufgehoben werden, als nicht zutreffend und unbegründet an. Natürlich steht es jedem Parlament unter Berücksichtigung von Mehrheitsanforderungen frei, einmal gesetzte Regelungen ganz oder teilweise wieder aufzuheben. Hiervon sind – und das mit sehr guten Grund – eben nur die in den ersten 20 Artikeln unserer Verfassung aufgeführten Grundrechte ausgenommen.
Der Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD sah eine Umsetzung der EU-Richtlinie über den Abruf und die Nutzung von Telekommunikationsverbindungsdaten vor. Wie bereits erwähnt, wurde diese durch den EuGH gestoppt, da sie eben nicht dem Europäischen Grundrechtskatalog entsprach. Das war eine richtige und wichtige Entscheidung. Die Forderung des Koalitionsvertrags der Umsetzung der Richtlinie ist dadurch natürlich ebenso hinfällig.
Das bedeutet aber auch, dass eine Umsetzung einer Vorratsdatenspeicherung – wie auch immer Sie geartet sein mag – genau mit den vom EuGH angesprochenen Prinzipien vereinbar sein muss. Dies soll und muss die Grundlage eines zustimmungsfähigen Gesetzesentwurfes sein. Der vom Bundesminister der Justiz vorzulegende Entwurf muss daher die strengen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes und des Europäischen Gerichtshofes als oberste Richtschnur beachten und auch dann muss und wird dieser Entwurf einer intensiven Bearbeitung und Debatte in den Gremien des Deutschen Bundestages unterliegen.
Derzeit existieren dazu nur Eckpunkte und ich bitte um Ihr Verständnis, dass ich anhand dieser Eckpunkte meine endgültige Entscheidung über ein Ja oder Nein zu einem Gesetzesentwurf, welcher sich noch in der Entwicklung befindet, nicht abschließend fassen kann.
Die Grundgesetzkonformität und die abschließenden Ergebnisse der Verhandlungsprozesse zu dem Gesetzesentwurf geben für mich den Ausschlag. Sobald Letztere feststehen, sehe ich mich in der Lage, eine dann angebrachte Abwägung von Kosten und Nutzen vorzunehmen und eine Entscheidung zu meinem Abstimmungsverhalten zu treffen.
Ich hoffe, dass meine Ausführungen Ihnen aufzeigen, dass ich als Abgeordnete und Vertreterin meines Wahlkreises meine Entscheidungen sorgfältig abwäge und sachlich vorgetragene Argumente gerne in meinen Willensbildungsprozess aufnehme.
Mit freundlichen Grüßen,
Angelika Glöckner