Frage an Anette Kramme von Michael R. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Kramme,
sie ergänzten zu der Abstimmung vom 9.11. zur Vorratsdatenspeicherung ein einer Erklärung nach § 31 GO:
"[...] Fünftens. [...] Eine Zustimmung ist auch deswegen vertretbar, weil davon auszugehen ist, dass in absehbarer Zeit eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts möglicherweise verfassungswidrige Bestandteile für unwirksam erklären wird." (nachzulesen im Sitzungsprotokoll, Anlage 4, p. 13031f).
Nun ist ja eine Grundrechtsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eine reine Notbremse. Mit dem Verfahren werden nun wertvolle Ressourcen sowohl beim Gericht als auch bei den besorgten Bürgern gebunden, zudem entfaltet das Gesetz ja nun erst mal seine Wirkungen. Es entstehen Kosten, Firmen werden insbesondere E-Mail-Server ins Ausland verlagern usw. Zudem wird für mich persönlich eine Wählerstimme für die SPD nicht mehr in Betracht kommen, ganz egal, ob das Gesetz nun Bestand haben wird oder nicht.
Ich kann nicht verstehen, warum Sie Gesetzen zustimmen, bei denen Sie selber eine Verfassungswidrigkeit nicht ausschließen können; ja, dass Sie sogar eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass Teile des Gesetzes vom Bundesverfassungsgericht für ungültig erklärt werden, Sie für und nicht gegen das Gesetz stimmen lassen. Meinem politisch ungebildetem Verstand erscheint das als unlauter und verantwortungslos.
Ist das nun lediglich ein Auswuchs der Fraktionsdisziplin, oder wie kommt so etwas zustande?
Mit freundlichen Grüßen,
Michael Radziej
Sehr geehrter Herr Radziej,
herzlichen Dank für Ihre Anfrage zum Thema "Vorratsdatenspeicherung".
Ich teile das Unbehagen vieler Bürgerinnen und Bürger gegenüber den zunehmenden Überwachungsmaßnahmen durch unsere Sicherheitsorgane. Deshalb habe ich mich am 09. November dazu entschlossen, eine persönliche Erklärung zur namentlichen Abstimmung über das "Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen ..." zu unterzeichnen.
Zunächst zur Kritik am Gesetz selbst. Entgegen dem öffentlichen Eindruck, künftig würden quasi alle Telefonate abgehört, erstreckt sich die Regelung auf einen genau eingegrenzten Bereich von Daten. Schon in der Vergangenheit durften Telekommunikationsunternehmen Datum, Uhrzeit und Rufnummern von Gesprächen zu Abrechnungszwecken speichern. Neu hinzu kommt mit dem beschlossenen Gesetz, dass auch der Standort (die Funkzelle) bei Gesprächsbeginn gespeichert wird. Zudem besteht für die Telekommunikationsunternehmen von nun an die Pflicht zur Speicherung. Daten, die Aufschluss über den Inhalt der Kommunikation geben, dürfen hingegen nicht gespeichert werden.
Dies gilt entsprechend für die Kommunikation im Internet: Gespeichert wird, welcher Anschluss wann welche IP-Adresse zugewiesen bekam sowie Daten über die E-Mail-Versendung. Nicht gespeichert wird, welchen Inhalt die Mails hatten oder welche Internetseiten besucht wurden.
Die Daten werden wie bisher nur bei den Telekommunikationsunternehmen gespeichert. Staatsanwaltschaft und Polizei können nur dann auf diese Daten zugreifen, wenn dies durch einen richterlichen Beschluss gestattet wurde.
Mit dem diskutierten Gesetz haben wir die EU-Richtlinie 2006/24/EG umgesetzt. Deutschland konnte in dieser Frage nicht allein entscheiden. Aber wir haben uns damit durchgesetzt, die ursprünglich geplante Speicherung von 36 Monaten auf nur 6 Monate zu reduzieren.
Dennoch blieben Bedenken bei meinen Fraktionskollegen und mir. In der angesprochenen Erklärung haben wir diese zum Ausdruck gebracht. Die Einschränkung von Schutzrechten der Bürgerinnen und Bürger gegenüber den Strafverfolgungsbehörden ist in der Tendenz kritisch zu bewerten. Auch das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung lässt sich im Sinne eines Generalverdachts gegen die Bevölkerung interpretieren und stellt damit das Vertrauen zwischen Staat und Bürgerschaft auf die Probe.
Sie kritisieren die Formulierung unserer Erklärung:
"Eine Zustimmung ist auch deshalb vertretbar, weil davon auszugehen ist, dass in absehbarer Zeit eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts möglicherweise verfassungswidrige Bestandteile des Gesetzes für unwirksam erklären wird."
Selbstverständlich beschließt der Deutsche Bundestag keine Gesetze, von denen er weiß, dass sie sicher ganz oder in Teilen verfassungswidrig sind. Dies nehme ich für mich, und auch für die Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion in Anspruch. Die oben stehende Formulierung gibt wieder, dass in Deutschland das Bundesverfassungsgericht die Normenverwerfungskompetenz innehat. Ich gehe davon aus, dass eine zeitnahe Überprüfung erfolgt.
Sie mögen diese Entscheidung für politisch falsch halten. Das respektiere ich, und dafür stehe ich in der politischen Verantwortung.
Mit freundlichen Grüßen