Frage an Anette Kramme von Tom B. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrter Frau Kramme,
ihr Kollege Herr Oppermann hat mich mit den folgenden Fragen bezüglich der "Hartz-Regelungen" an Sie verwiesen.
Herr Oppermann hat in seiner Antwort die Position der SPD dargestellt, dass das soziokulturelle Existenzminimum stets gewahrt bleiben muss. Genau das ist im Sanktionsfalle nicht mehr gegeben, besonders bei vollständigen Sanktionen, bei denen auch keine Krankenkassenbeiträge gezahlt werden. Solange also Sanktionen zulässig sind, bleibt doch die Situation bestehen, dass Sanktionierte keinen Rechtsanspruch auf die Sicherstellung des Existenzminimums bzw. auf die Sicherstellung ihrer Ernährung haben. Bei vollständigem Entfallen der Leistungen ist aus praktischen Gründen (Transport, Lagerung etc) auch eine Ernährung über Lebenmittelgutscheine kaum umsetzbar, da hier nur ein Einkauf pro Monat möglich ist, neben den schweren Demütigungen, von denen auch wiederholt berichtet wird und die Betroffene häufig davon abhalten, diese Ermessensleistung in Anspruch zu nehmen. Auch auf Lebensmittelgutscheine besteht kein Rechtsanspruch, der Betroffene hat keine rechtliche Sicherheit, sich noch ernähren zu können. Ist zur Wahrung des Existenzminimums nicht die Abschaffung der Sanktionen erforderlich?
Mittlerweile dringt immer mehr an die Öffentlichkeit, dass bei vollständigen Sanktionen auch das Geld für die Unterkunft entfallen kann und die Betroffenen damit von der Obdachlosigkeit bedroht werden. Das steht im Widerspruch zu Herrn Oppermanns Aussage diesbezüglich, das Geld für die Unterkunft werde nicht angetastet. Liegt hier ein rechtswidriges Verhalten der Jobcenter vor oder ist bei dieser Aussage ein Fehler unterlaufen? Würde sich die SPD nach der Wahl dafür einsetzen, den Jobcentern bei rechtswidrigen Kürzungen auch Schadensersatz aufzuerlegen, damit die Geschädigten überhaupt wieder auf die Beine kommen können, da sie sonst in Schulden versinken?
Mit freundlichen Grüßen,
Tom Berthold, Dresden
Sehr geehrter Herr Berthold,
das Arbeitslosengeld II ist keine bedingungslose Sozialleistung. Wer eine zumutbare Arbeit ablehnt, kann nicht erwarten, dass die Solidargemeinschaft ihn vorbehaltlos alimentiert. Für mich steht aber außer Frage, dass heute zu viele Jobs als zumutbar gelten, die es aus meiner Sicht nicht sind. Ich bin mir auch im Klaren, dass wirkliche Missbrauchsfälle in unserem Grundsicherungssystem die Ausnahme sind. Die Mehrheit der ALG-II-Empfänger will arbeiten. Dies belegen zahlreiche wissenschaftliche Studien.
Bezüglich Ihrer Frage nach Kosten der Unterkunft sieht das Gesetz bisher eine Soll-Bestimmung (keine Muss-Bestimmung) vor. „Bei einer Minderung des Arbeitslosengeldes II um mindestens 60 Prozent des für den erwerbsfähigen Leistungsberechtigten nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs soll das Arbeitslosengeld II, soweit es für den Bedarf für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 erbracht wird, an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte gezahlt werden.“ (§ 31a Abs. 3 Satz 3).
Das will die SPD-Bundestagsfraktion ändern. Wir setzen uns dafür ein, dass dann, wenn eine Sanktion ausgesprochen wird, die Leistungen für Unterkunft und Heizung hiervon ausgenommen werden. Auch sonst fordert die SPD-Bundestagfraktion im Gegensatz zur Regierungskoalition keine Verschärfung des Sanktionsrechts. Im Gegenteil wollen wir, dass die Regelungen zu den Sanktionen im SGB II individueller auf den Einzelfall eingehen. Art und Umfang einer Sanktion müssen abgestuft und leichter zurückgenommen werden können. Zudem müssen die Sanktionsregelungen wissenschaftlich evaluiert werden, um zu überprüfen, inwieweit sie mit der Sicherstellung des soziokulturellen Existenzminimums in Konflikt geraten - ein Thema, das auch Sie ansprechen. Drittens sollten die gesetzlichen Regelungen dahingehend angepasst werden, dass eine schriftliche Rechtsfolgenbelehrung notwendige Voraussetzung für die Anwendung einer Sanktionsregelung ist. Viertens gibt es keinen erkennbaren Grund, warum Jugendliche härter sanktioniert werden sollen als Ältere. Sie sehen, wir wollen das Sanktionenrecht grundsätzlich überprüfen.
Dabei ist auch die Frage zu beantworten, in welchen Fällen eine Sanktion der falsche Weg ist. So bewirken Sanktionen bei Menschen mit psychischen Schwierigkeiten oder mit Suchtproblemen oftmals das Gegenteil dessen, was gewollt ist. Diesen Personen muss in allererster Linie geholfen werden, eventuelle Sucht- oder psychische Probleme in den Griff zu bekommen. Zur Hilfe gehören sowohl sozialpädagogische Begleitung als auch medizinische Unterstützung, wie z.B. Substitution oder Entzug.
Der komplette Verzicht auf die Möglichkeit zur Sanktion scheint mir jedoch der falsche Weg und wäre in der Gesellschaft wohl auch nicht vermittelbar. Es handelt sich beim Arbeitslosengeld II schließlich um eine Leistung, die auch von Menschen mit niedrigem Einkommen über ihre Steuern finanziert wird.
Mit freundlichen Grüßen
Anette Kramme