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Andrej Hunko
BSW
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Frage von Kristina M. •

Frage an Andrej Hunko von Kristina M. bezüglich Bildung und Erziehung

Sehr geehrte Herr Hunko!

Die Vorgehensweise, dass die Schulen schrittweise wieder geöffnet werden sollen, ist mir unverständlich und ich finde sie der Situation nicht angemessen.

Sie sollten sich die über folgenden Links abrufbare Analysen zum Infektionsrisiko für und durch Kinder einmal anschauen:

https://www.kinder-verstehen.de/mein-werk/blog/corona-professor-drosten-und-die-politik/

und

https://www.kinder-verstehen.de/mein-werk/blog/corona-sind-kinder-nun-doch-virenschleudern/

So eine Analyse würde ich mir von der Bundes- und den Landesregierungen wünschen.

Für meinen 5 jährigen Sohn, Vorschulkind, gibt es derzeit KEINE PERSPEKTIVE, wann und ob er in diesem Kindergartenjahr noch einmal in die Kita wird gehen dürfen... möglicherweise darf er ab Ende Mai wieder in die Kita... möglicherweise!!!

Sämtliche Vorbereitung auf die Schule und alle Aktivitäten der Vorschulkinder finden nicht statt.

Für meinen 14 jährigen Sohn, 8. Klasse eines Gymnasiums, gibt es ebenfalls KEINE PERSPEKTIVE.

Der Online-Unterricht ist ein Witz. Seit Wochen gibt es überhaupt keinen Kontakt zu irgendeinem Lehrer, Aufgaben werden in einem virtuellen Google Classroom eingestellt... ohne Abgabetermine, ohne die Möglichkeit Fragen zu stellen, ohne Kontrolle, ohne Lösungen zur Selbstkontrolle. Einfach erbärmlich!

Warum öffnen die Schulen in Österreich und der Schweiz in Kürze wieder?

Warum hat man in Island und Schweden die Kitas und Grundschulen die ganze Zeit über geöffnet gelassen?

Haben Sie schon gelesen, dass sich die WHO mittlerweile positiv über schwedens Weg äußert?

Alle bisherigen Studien und Beobachtungen unterstützen die Annahme, dass Kinder bzw. Kinder in der Schule die Epidemie nicht unterhalten wird. Aktuelle Studiendaten gibt es beispielsweise aus Holland und Australien. In Schweden sind die Fallzahlen bei unter 20-Jährigen gleich wie in anderen Ländern, obwohl die Schulen nie geschlossen wurden.

Alle Länder mit verfügbaren Fallzahlen zeigen das gleiche Bild: Bis ins Alter von ca. 15 Jahren sind Abstrich-positive Fälle mit weniger als 1% aller Betroffenen selten. Es gibt mehrere wissenschaftliche Erklärungsansätze. Dazu gehören eine geringere Expression des Rezeptors (Andockstelle) für SARS-CoV-2 an Atemwegszellen und das Fehlen einer überschiessenden Immunantwort.

Kinder werden selten infiziert und infizierte Kinder sind selten Indexpersonen für die Weiterverbreitung des Virus.

Quelle: https://www.kinderaerzteschweiz.ch/Fuer-Mitglieder/Coronavirus---COVID-19

Wie verhält es sich eigentlich mit den Infektionen von Kindern in den letzten Wochen, seit die Notbetreuungen eingerichtet sind.

Die Kinder, deren Eltern in systemrelevanten Berufen arbeiten (Pflegepersonal, Ärzte, Kassierer, Polizisten), die ja zu besonders vielen Menschen Kontakt haben und somit besonders gefährdet sind, sich anzustecken, sind ja demnach ebenfalls einem höheren Risiko ausgesetzt.

Wie viele Kinder und Erzieher haben sich in Kitas angesteckt?

Wurden Infektionsketten erstellt, aus denen zu entnehmen ist, wo sich Kinder und Erzieher angesteckt haben könnnten?

Wurden Notkitas geschlossen, weil Kinder oder Erzieher positiv getestet worden sind?

Man hört und liest nichts davon...

Das RKI hat ja leider die letzten Wochen nicht genutzt, um eigene Studien zu erstellen.
Aber die vorhandenen Studien zeigen einen klaren Weg auf.

Es ist an der Zeit, aus der Schockstarre zu erwachen und Kindern ihr Recht auf Bildung uneingeschränkt wieder zuzugestehen - ohne Einschränkung und psychologisch schädlichen und praktisch nicht umsetzbare Regeln.

Mit freundlichen Grüßen,
K. M.

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Antwort von
BSW

Liebe Frau Merten,

vielen Dank für Ihre Fragen und Anregungen, auf die ich gerne eingehe.

Persönlich habe ich immer wieder darauf gedrängt, dass alle Corona-Maßnahmen auf Basis evidenzbasierter wissenschaftlicher Fakten beschlossen werden. Zu der Frage, welche Bedeutung Kinder zur Verbreitung der Virusinfektion haben, war durchgängig die Informationslage sehr dürftig. Ich habe mehrfach darauf hingewiesen, dass nach meinem Kenntnisstand das Infektionsgeschehen in Ländern, die auf die Schließung von Kitas und Grundschulen verzichtet haben, offenbar deshalb nicht signifikant anders verlaufen ist. Dazu stand ich unter anderem kontinuierlich im Austausch mit der isländischen Leiterin des dortigen Roten Kreuzes. Island ist, ähnlich wie die meisten anderen skandinavischen Länder, auf Grundlage eigener Studien zur Ansicht gekommen, dass das Infektionsrisiko bei Kindern vernachlässigbar ist. Wie Sie richtig schreiben, wurden die Kindergärten dort ähnlich wie in Schweden nie vollständig geschlossen. In meiner „Corona-Rede“ in Aachen am 16. Mai habe ich auf die Situation in Kindergärten hingewiesen: „Warum eröffnen erst Shopping-Malls, während Kindergärten geschlossen bleiben, obwohl Untersuchungen bestätigen, dass Kinder kein oder nur ein geringes Risiko als Überträger darstellen?“

Auch Experten wie der pädiatrische Infektiologe und Leiter der Kinderklinik der LMU München, Prof. Dr. med. Johannes Hübner, hatten bereits im März gefordert, SARS-CoV2 bei kleinen Kindern genauer zu untersuchen, weil er bei diesen viel schwächere Infektionen beobachtete. Die schwierige Situation in den Kitas war in meinem Team immer wieder Thema, weil unter meinen Mitarbeitern auch Eltern mit Kitakindern sind. Einer davon ist auch aktiv im Landeselternbeirat der Kitas in NRW, der wiederum mehrfach in diesen Angelegenheiten beim NRW-Familienministerium vorstellig geworden ist. Die Schließungssituation hatte vielfältige negative Auswirkungen für die Kinder und ihre Familien (und zugegebenermaßen manchmal auch positive, die aber weniger ins Gewicht fallen).

Die nur sehr reduziert stattfindende Vorbereitung der Vorschulkinder auf den Übergang zur Grundschule, die Sie ansprechen, musste mein Mitarbeiter Darius Dunker selbst bei seinem Sohn miterleben. Es war richtig, dass die Vorschulkinder zumindest für einige Wochen wieder die Kita besuchen durften. NRW hat sich entschieden, wenigstens die Wiederöffnung der Kitas sehr genau wissenschaftlich zu begleiten. Diese Entscheidung fiel spät, ist aber zur Verbesserung des Faktenwissens zu begrüßen. Nach den ersten vorgestellten Zwischenergebnissen sind weiterhin keine relevanten Beiträge kleiner Kinder zur Infektionsdynamik zu verzeichnen.

Sie verweisen auf das Recht der Kinder auf Bildung. Ich stimme Ihnen völlig zu, dass dieses nicht weiter unter die Räder geraten darf. Leider sind auch einige weitere Kinderrechte (und Elternrechte) in der Phase der strikten Corona-Maßnahmen verletzt worden und werden teilweise weiterhin verletzt. Ohne Frage ist die SARS-CoV2-Epidemie eine ernstzunehmende globale Herausforderung. Maßnahmen, ihr zu begegnen, müssen aber wissenschaftlich fundiert und rechtsbasiert sein. Eingriffe in Grundrechte (auch die Kinderrechte) müssen so gering wie möglich (zeitlich und im Umfang) gehalten werden, wenn sie nicht vermieden werden können, und es muss begründet werden, warum im jeweiligen Fall keine andere Lösung vertretbar ist. Wichtig ist mir besonders, dass ein rationaler Diskurs zu diesen Fragen möglich ist, bei denen verschiedene Auffassungen ernsthaft angehört werden.

Mit freundlichen Grüßen
Ihr Andrej Hunko

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