Frage an Andrej Hunko von Constantin M. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Hunko,
Okkupation und Annexion der Halbinsel Krim in die Russische Föderation stellen einen gravierenden Verstoß gegen zahlreiche völkerrechtliche Normen (Gewaltverbot, territoriale Souveränität etc.) dar.
Es mag dahinstehen, inwieweit der EGMR unter dem Blickwinkel menschenrechtlicher Fragestellungen im Rahmen einer Staatenbeschwerde der Ukraine (Vgl. etwa Ilașcu und Banković) die Frage der Annexion bewerten darf.
Wer es mit der Stärke des Rechts ernst meint, der kommt nicht umhin, auf eine Klärung anhand völkerrechtlicher Maßstäbe zu drängen. Dass eine solche Klärung auch im Falle von Streitigkeiten über territoriale Ansprüche Erfolg zeitigen kann, beweist etwa das Urteil des Int. Seegerichtshofs über den Verlauf der Seegrenze zwischen Bangladesch und Myanmar.
Einzig zur autoritativen Entscheidung der Streitigkeit über die völkerrechtliche Nichtigkeit der Annexion der Krim berufen ist der Internationale Gerichtshof. Das Problem hierbei besteht jedoch darin, dass der IGH derzeit keine Gerichtsbarkeit haben dürfte, da Russland eine generelle Unterwerfungserklärung nach Art. 36 Abs. 2 IGH-Statut nicht abgegeben hat und weder eine Zuständigkeitsklausel in einem völkerrechtlichen Vertrag (evtl. das Truppenstatut der Streitkräfte in Sevastopol) noch die russische Zustimmung zu einer ad-hoc Vereinbarung nach Art. 36 Abs. 1 IGH-Statut ersichtlich sind.
Die russische Seite hat stets auf völkerrechtliche Argumente verwiesen, die ihr Vorgehen in Bezug auf die Krim rechtfertigen sollen. Wenn Russland jedoch der Auffassung ist, Völkerrecht nicht gebrochen zu haben, dann sollte es sich auch dem IGH stellen.
Daher frage ich Sie:
1. Werden Sie in Gesprächen mit russischen Gesprächspartnern darauf drängen, dass sich Russland in der Krim-Frage der Gerichtsbarkeit des IGH unterwirft?
2. Werden Sie öffentlich dafür eintreten, dass eine Unterwerfung unter die Gerichtsbarkeit des IGH für die Aufhebung der bestehenden Sanktionen notwendige Bedingung ist?
Sehr geehrter Herr Merlan,
vielen Dank für Ihre Fragen. Zunächst möchte ich Ihnen mitteilen, dass ich Ihre Darstellung der Entwicklungen um die Krim nicht teile. Ich möchte hierfür auf den Artikel von Reinhard Merkel in der FAZ verweisen, dessen Einschätzung ich weitgehend teile (Reinhard Merkel: Kühle Ironie der Geschichte. Die Krim und das Völkerrecht, http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/die-krim-und-das-voelkerrecht-kuehle-ironie-der-geschichte-12884464.html). Zwar bin ich der Meinung, dass die Anerkennung der Krim-Session durch die Aufnahme in die Russische Föderation dem Völkerrecht widerspricht, es handelt sich jedoch nicht um eine Annexion. Ich zitiere hierzu den erwähnten Text:
„‚Annexion‘ heißt im Völkerrecht die gewaltsame Aneignung von Land gegen den Willen des Staates, dem es zugehört, durch einen anderen Staat. Annexionen verletzen das zwischenstaatliche Gewaltverbot, die Grundnorm der rechtlichen Weltordnung. Regelmäßig geschehen sie im Modus eines ‚bewaffneten Angriffs‘, der schwersten Form zwischenstaatlicher Rechtsverletzungen. Dann lösen sie nach Artikel 51 der UN-Charta Befugnisse zur militärischen Notwehr des Angegriffenen und zur Nothilfe seitens dritter Staaten aus - Erlaubnisse zum Krieg auch ohne Billigung durch den Weltsicherheitsrat. Schon diese Überlegung sollte den freihändigen Umgang mit dem Prädikat „Annexion“ ein wenig disziplinieren. Freilich bietet dessen abstrakte Definition auch allerlei irreführenden Deutungen Raum. Aus einer von ihnen scheint sich das völkerrechtliche Stigma ableiten zu lassen, das der Westen derzeit dem russischen Vorgehen aufdrückt und an dem er die eigene Empörung beglaubigt.
Aber das ist Propaganda. Was auf der Krim stattgefunden hat, war etwas anderes: eine Sezession, die Erklärung der staatlichen Unabhängigkeit, bestätigt von einem Referendum, das die Abspaltung von der Ukraine billigte. Ihm folgte der Antrag auf Beitritt zur Russischen Föderation, den Moskau annahm. Sezession, Referendum und Beitritt schließen eine Annexion aus, und zwar selbst dann, wenn alle drei völkerrechtswidrig gewesen sein sollten. Der Unterschied zur Annexion, den sie markieren, ist ungefähr der zwischen Wegnehmen und Annehmen. Auch wenn ein Geber, hier die De-facto-Regierung der Krim, rechtswidrig handelt, macht er den Annehmenden nicht zum Wegnehmer. Man mag ja die ganze Transaktion aus Rechtsgründen für nichtig halten. Das macht sie dennoch nicht zur Annexion, zur räuberischen Landnahme mittels Gewalt, einem völkerrechtlichen Titel zum Krieg.“
Darüber hinaus halte ich es für einen Fehler, allein Russland völkerrechtswidriges Vorgehen vorzuwerfen. Seit dem Kosovo-Krieg 1998, der einen wichtigen Präzedenzfall für den Bruch des Völkerrechts darstellt, ist es bedauerlicherweise immer „normaler“ geworden, das Völkerrecht zu missachten, bspw. im US-Drohnenkrieg oder den militärischen Interventionen in Syrien.
Was Ihre Fragen betrifft:
Ich würde eine völkerrechtliche Klärung der Sezession der Krim von der Ukraine und der anschließenden Aufnahme in die Russische Föderation durch den IGH grundsätzlich begrüßen. Hierzu müsste aber nicht nur Russland eine entsprechende Unterwerfungserklärung abgeben, sondern auch die Ukraine. Beide Staaten haben dies bislang nicht getan. Angesichts des hohen Konfrontationsniveaus des Konfliktes halte ich einen solchen Schritt derzeit für unrealistisch, auch wenn er wünschenswert wäre. Die realistischste Chance auf eine politische und damit friedliche Lösung der Ukraine-Krise scheint mir weiterhin das zweite Minsker Abkommen zu sein. Schon dieser Prozess, der wesentlich weniger hohe Hürden bereithält als der Gang über den IGH, ist ins Stocken geraten. Und zwar nicht nur wegen den Aufständischen in den sogenannten Volksrepubliken oder wegen der russischen Position, sondern maßgeblich auch, weil die ukrainische Regierung nicht bereit ist, ihre Verpflichtungen umzusetzen.
Eine Kopplung der Unterwerfung unter den IGH an die Aufhebung der Sanktionen halte ich für kontraproduktiv. Ich lehne die Sanktionspolitik ab und bin überzeugt, dass sie eine Lösung der Krise behindert und nicht befördert – unter anderem, weil sie der ukrainischen Regierung Anreize gibt, Minsk II nicht umzusetzen.
Mit freundlichen Grüßen
Andrej Hunko