Frage an Andrej Hunko von Ralf O. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Hunko,
1) Wie steht Ihre Partei zur WTO und zum Freihandel? Der G-20-Gipfel hat die nächste Doha-Runde der WTO faktisch für gescheitert erklärt und befürwortet zur weiteren Liberalisierung des Welthandels bilaterale statt multilaterale Handelsabkommen.Wie stehen Sie und Ihre Partei zu einem Freihandelsabkommen zwischen der EU und den ASEAN+3(China, Japan, Südkorea) und der von Merkel propagierten TAFTA (Transatlantic Free Trade Area)? Nach dem Frehandelsabkommen der EU mit Südkorea: Was halten sie von einem Freihandelsabkommen zwischen Deutschland, bzw,der EU mit China? Oder befürworten sie mehr die Forderungen von ATTAC in Richtung stärkere Regionalisierung?
2)Laut SZ scheinen die Forschungsgelder für ITER und Galileo nicht mehr zu reichen, sodaß über die Streichung eines der beiden Projekte diskutiert wird.Wie stehen sie zu beiden Projekten und:Welchem würden sie im Entscheidungsfall den Vorrang geben?? Wie stehen sie zur Kernfusion--wäre dies nicht die Lösung unserer Energieprobleme für die Zukunft? Allerdings hört man, daß einige Länder Hybridreaktoren ( mit Atomkraft) bauen wollen, da sie nicht an einen schnellen Erfolg von ITER glauben und ihren Energiebedarf zuverlässig decken wollen.Wäre es nicht sinnvoll, angesichts des weltweiten Revivals der Kernkraft neuere Reaktortypen zu bauen und nachzuziehen oder glauben sie, daß die regenerativen Energie ausreichen, um die Lücke zu füllen?
3) Wie stehen sie zur Elektromobilität und Elektroautos und Elektrorollern? Sehen Sie darin eine gangbarte Alternative zu den bisherigen Autos? In welchem Zeitraum und in welchem Umfang sehen sie hier Entwicklungsperspektiven?
4)Wie steht die Linkspartei zum Euro? Ex-BDI-Chef Olaf Henkel hat im Bloomberg-TV erklärt, es gebe Überlegungen, in Europa 2 Eurozonen einzuführen--eine für wirtschaftlich schwächere, eine für stärkere Länder? Befürworten sie dies?
Was hält die Linkspartei von einer europäischen Wirtschaftsregierung?
Mit freundlichen Grüßen
Ralf Ostner
Sehr geehrter Herr Ostner,
vielen Dank für Ihre Fragen. Da es sehr viele sind, die teilweise sehr in die Tiefe gehen, werde ich versuchen, sie gebündelt zu beantworten.
Zu 1): DIE LINKE steht dem Freihandel grundsätzlich kritisch gegenüber, weil er ungleiche Handelspartner unter Bedingungen zusammen bringt, die in der Regel zum Nachteil der schwächeren Seite ausgehen. Wir sind der Meinung, dass der Welthandel solidarisch und kooperativ organisiert werden muss und nicht allein nach Kriterien des Wettbewerbs. Leider wird aber genau diese Art von Welthandel auf von der WTO gefördert. Aus diesem Grund hat die Linksfraktion im Bundestag beispielsweise gegen das geplante Freihandelsabkommen der EU mit Kolumbien und Peru gestimmt. Hierzu kann ich ihnen folgendes Material empfehlen:
Themenblatt Handelspolitik:
http://linksfraktion.de/themen/handelspolitik/
„Freihandelsabkommen dienen nur einer kleinen Elite in Kolumbien und Peru“ (Rede von Heike Hänsel)
http://linksfraktion.de/reden/freihandelsabkommen-dienen-kleinen-elite-kolumbien-peru/
Diverses zu Freihandel auf linksfraktion.de:
http://linksfraktion.de/suche/?q=freihandel
http://linksfraktion.de/suche/?q=freihandel&t=2%2C3%2C4%2C5%2C6%2C7
Zu 2): Abgesehen davon, dass beide Projekte nicht vergleichbar sind: Hier stünden Pest oder Cholera zur Wahl. Unsere Fraktion will einen Ausstieg aus dem Bau des Kernfusionsreaktors ITER und damit das Ende von EURATOM in seiner derzeitigen Form. 90 Prozent der EURATOM-Förderung fließen in den Bau des ITER. Deutschland soll insgesamt mehr als drei Milliarden Euro in das Projekt investieren. Zur notwendigen Energiewende kann ITER das nächste halbe Jahrhundert lang nichts beitragen, bindet aber immer mehr Mittel, die für andere Forschung und Entwicklung fehlen. Wir sagen: Mit diesem Geld muss die Energiewende im Hier und Heute entwickelt und erforscht werden.
Bei GALILEO handelt es sich um ein europäisches Satellitennavigationssystem, das offiziell als ziviles Vorhaben firmiert. Die Kosten für den Aufbau sind – wie üblich bei Großprojekten dieser Art – weit höher sein als angenommen. Ein Bericht des Finanzministeriums listet das jährliche Defizit auf 750 Millionen Euro. Wenig bekannt ist, dass GALILEO aber vor allem militärischen Zwecken dienen soll. Dies hatte das Europäische Parlament 2008 bekräftigt („[…] erachtet es als notwendig, die Nutzung von Galileo und GMES für Sicherheits- und Verteidigungszwecke zu ermöglichen“). Unsere Fraktion steht GALILEO deshalb außerordentlich skeptisch gegenüber und fordert eine eindeutige Begrenzung auf die zivile Nutzung.
Zu 3): Auf diesem Gebiet bin ich kein Experte, da Kolleginnen und Kollegen in der Linksfraktion das Thema bearbeiten. Ich denke jedoch, dass es bei der Frage der Elektromobilität weniger auf die Antriebsart ankommt, als auf die Herstellungsweise des Betriebsstromes. Diese entscheidet über die Klimaverträglichkeit der Fahrzeuge. Denn wenn der Strom der Elektrofahrzeuge aus Atomstrom oder beispielsweise Kohlestrom kommt, ist gegenüber herkömmlichen Benzin- und Dieselfahrzeugen wenig gewonnen. Wichtig scheint mir auch, dass nicht der private Personenverkehr privilegiert wird, sondern dass der Öffentliche Nahverkehr im Zentrum der Anstrengungen steht. Weiterführende Informationen zur Position der Linksfraktion finden Sie auch hier: http://linksfraktion.de/themen/elektroauto-elektromobilitaet/
Zu 4): Ich sehe das Hauptproblem darin, dass der Euro von Beginn an Konstruktionsfehler hatte, die nicht behoben wurden. Dies hatte ich – ebenso wie viele andere Linke und die damalige PDS im Bundestag - bei der Einführung des Euro kritisiert. Mit der Einführung wurden die notwendigen Angleichungsprozesse nicht eingeleitet - die Konkurrenz der Staaten innerhalb des Euroraums wurde sogar verschärft. Die aktuelle Krisenpolitik, die maßgeblich von der deutschen Bundesregierung vorangetrieben wird, hat die Spaltung zwischen den Euro-Ländern noch weiter verstärkt, so dass das gesamte Projekt zu scheitern droht.
Ich denke, dass es nicht primär um die Zustimmung oder Ablehnung des Euro geht. Die entscheidende Frage ist das „wie“. In der aktuellen Form führt der Euro in Kombination mit der meiner Meinung nach völlig falschen Krisenpolitik dazu, dass die Länder Südeuropas in eine verheerende Situation gezwungen werden. Um dies zu vermeiden müsste der Euro anders konstruiert werden. Hierzu gehört eine Harmonisierung der Steuerpolitik, um Steuerdumping zu vermeiden. Vor allem müssten aber die immensen Handelsungleichgewichte behoben werden. u.a. durch deutliche Lohnerhöhungen in Deutschland. Da dies nicht der Fall ist und primär die Interessen großer Konzerne und der Banken bestimmend sind, droht der Euro nun zu scheitern – mit fatalen Folgen für die Menschen in den Ländern, die ihn als gemeinsame Währung haben. Zu dieser Frage empfehle ich Ihnen auch einen aktuellen Text zur Diskussion um den Euro: http://andrej-hunko.de/start/aktuell/1559-wie-sollen-wir-bis-dahin-ueberleben-ein-beitrag-zur-euro-debatte sowie die aktuellen Studien der Rosa-Luxemburg-Stiftung http://www.rosalux.de/internationale-politik/specials/linke-strategien-zur-eurokrise.html
Mit freundlichen Grüßen
Andrej Hunko