Frage an Andreas Schwarz von Manuel M. bezüglich Verkehr
Sehr geehrter Herr Schwarz,
die Grünen schneiden ja nach den Umfragewerten der letzten Zeit, nicht zuletzt wegen Stuttgart21, recht gut ab. Eventuell schaffen sie es ja in die Regierungsverantwortung.
Wird es mit den den Grünen ein Stuttgart21 geben?
Mit freundlichen Grüßen
Manuel Müller
Sehr geehrter Herr Müller,
vielen Dank für Ihre Frage.
Wir Grünen lehnen „Stuttgart 21“ ab und stellen die Schnellfahrstrecke „Wendlingen am Neckar-Ulm“ in ihrer derzeitigen Planung in Frage, da die Projekte verkehrspolitisch fragwürdig und viel zu teuer sind.
Die meisten Bahnreisenden fahren rund 100 Kilometer pro Fahrt. Für sie sind pünktliche Züge, Direktverbindungen oder bequeme Umsteigemöglichkeiten sowie günstige Preise wichtig. Das Projekt „Stuttgart 21“ setzt jedoch gegenteilige Prioritäten, ist völlig am Bedarf vorbeigeplant und verhindert so dringend notwendige Investitionen in eine zukunftsfähige Eisenbahninfrastruktur. Die Leistungsfähigkeit von „Stuttgart 21“ ist nicht gegeben, wenn im Tiefbahnhof unrealistisch kurze Aufenthaltszeiten für Nahverkehrs- und Fernverkehrszüge zugrunde gelegt werden. Kurze Aufenthaltszeiten reichen bei starkem Fahrgastaufkommen nicht aus und führen daher zwangsläufig zu Verspätungen im gesamten Streckennetz der Bahn. Ein Fahrzeitgewinn von 26 Minuten wird so schnell zu einem verpassten Anschluss in Mannheim, Stuttgart oder Plochingen.
Daran schließt sich ein Problem an: Mit dem Tiefbahnhof ist der integrale Taktfahrplan, also das gleichzeitige Ankommen und Umsteigen in alle Hauptrichtungen zu einem bestimmten Zeitpunkt, nicht machbar. Ein Eisenbahnknoten für einen integralen Taktfahrplan benötigt genug Umsteigemöglichkeiten. Die Züge müssen länger halten können - und zwar alle auf allen Gleisen. Dafür reicht der achtgleisige Tiefbahnhof jedoch nicht aus. Dabei ist gerade der integrale Taktfahrplan, der den Reisenden ein bequemes und rasches Umsteigen erlaubt, für die Fahrgäste von großer Bedeutung. Schließlich sollen die Fahrzeitgewinne im Fernverkehr nicht beim Umsteigen in Stuttgart wieder zunichte werden.
Die Schnellfahrstrecke zwischen Wendlingen und Ulm ist für Güterzüge nicht befahrbar. Sie weist eine Steigung von bis zu 31 Promille auf, die nur Schnellgüterzüge mit einem Gewicht von maximal 1.000 Tonnen und 500 Metern Länge überwinden können. Solche Züge existieren aber gar nicht. Seit Jahren tendiert der Güterbahnverkehr zu höheren Transportgewichten und steigenden Zuglängen, um rentabel und konkurrenzfähig zu bleiben. Die Neubaustrecke bringt also gegenüber der Altstrecke über die Geislinger Steige, die der Schienengüterverkehr schon heute meidet, keinen Vorteil. Nach neueren Schätzungen werden sich die Gesamtkosten von „Stuttgart 21“ und der Schnellfahrstrecke zwischen Wendlingen und Ulm auf bis zu 11 Mrd. Euro belaufen. Mit dieser Summe könnten alle Infrastrukturmaßnahmen finanziert werden, die notwendig sind, um bis 2025 die für eine verdoppelte Transportleistung notwendige Trassenkapazität zu schaffen. Dies wäre ein wesentlicher Beitrag zur Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene. Wir setzen uns für baulich, ökologisch und wirtschaftlich weniger riskante Alternativen ein, die die Verbindung Stuttgart-Ulm beschleunigen und ausbauen.
Wir wollen eine Volksabstimmung über die Beteiligung des Landes an „Stuttgart 21“ einleiten. Die Ergebnisse der Sach- und Fachschlichtung, die im Herbst 2010 unter Leitung von Heiner Geißler durchgeführt wurde, hat unsere Analyse bestätigt, dass „Stuttgart 21“ die erforderliche Leistungsfähigkeit nicht erreicht und im Kosten-Nutzen-Verhältnis nicht vertretbar ist. In den Empfehlungen des Schlichters nimmt der geforderte Stresstest eine zentrale Rolle ein. Sollte die Bahn ebenso wie in der Fachschlichtung auch beim Stresstest nicht nachweisen können, dass das Ziel eines Leistungszuwachses in der Spitzenzeit erreichbar ist, würden Nachbesserungen in erheblichem Umfang eine starke Verteuerung des Projekts zur Folge haben. Damit die Ergebnisse des Stresstests zweifelsfrei anerkannt werden können, verlangen wir die Begleitung durch einen Lenkungskreis mit ExpertInnen der Träger und der Gegner sowie einer Moderation. Der Stresstest kann - je nach Ausgang - Planungsänderungen in erheblichem Umfang nach sich ziehen. Wir fordern deshalb als logische Konsequenz einen Bau- und Vergabestopp, bis die Ergebnisse vorliegen.
Wir halten es für dringend geboten, die Bevölkerung bei vergleichbaren größeren Infrastrukturmaßnahmen frühzeitig in Planungs- und Entscheidungsprozesse einzubeziehen.
Mit freundlichen Grüßen
Andreas Schwarz