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Andreas Schockenhoff
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Frage von Thorsten J. •

Frage an Andreas Schockenhoff von Thorsten J. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrter Herr Schockenhoff,

Sie haben die Anerkennung von Abchasien und Südossetien durch Russland völkerrechtswidrig genannt. Dazu habe ich 4 Fragen an Sie:

1. Wieso wird der Kosovo als eigenständiger Staat von Deutschland anerkannt, obwohl für dessen Unabhängigkeit keine völkerrechtlich legitimierte Resolution des Sicherheitsrats zustande gekommen ist? Und wieso ist dieser Vorgang nicht völkerrechtswidrig und verletzt nicht die territoriale Integrität Serbiens, während die Anerkennung Abchasiens und Südossetiens völkerrechtswidrig sein soll und die territoriale Integrität Georgiens verletzen soll?
2. Sie haben den Einmarsch Russlands in Georgien als nicht völkerrechtlich legitimiert genannt und deshalb Konsequenzen gefordert. Der Einmarsch der USA in den Irak war nach Aussagen von Völkerrechtlern ebenfalls nicht völkerrechtlich legitimiert, was mittlerweile auch durch mehrere Gerichtsurteile bestätigt worden ist. Trotz der fehlenden völkerrechtlichen Legitimation hat die CDU damals den Angriff der USA gegen den Irak unterstützt. Wieso spielt einmal bei Ihnen das eine Mal das Völkerrecht eine Rolle, das andere Mal nicht?
3. Die UN-Charta beinhaltet das Selbstbestimmungsrecht der Völker. In Referenden haben sowohl Abchasen als auch Südosseten klar für eine Unabhängigkeit gestimmt. Da Sie gegen die Unabhängigkeit dieser beiden Völker von Georgien sind, möchte ich Sie fragen, wie Sie zum völkerrechtlichen Selbstbestimmungsrecht der Völker und zur UN-Charta stehen?
4. Die eben genannten Beispiele können den Eindruck hinterlassen, dass Sie die UN-Charta und das Völkerrecht selektiv auslegen. Gilt aus Ihrer Sicht das Völkerrecht immer oder dürfen Staaten das Völkerrecht auch selektiv anwenden?

Mit freundlichen Grüßen
Thorsten Jakubowski

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Antwort von
CDU

Die Anerkennung des Kosovo lässt sich nicht mit einer Anerkennung von Abchasien und Südossetien vergleichen:

Der Kosovo stellt angesichts des Konflikts, der ethischen Säuberungen und der humanitären Katastrophe in den 90er Jahren sowie der langen Phase unter internationaler Verwaltung einen einzigartigen Fall dar, der keine Präzedenzen schafft. Der Versuch der Vereinten Nationen, eine einvernehmliche Lösung zu finden, scheiterte. Es waren jedoch alle Verhandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft worden. Durch die Verhandlungen des VN-Unterhändlers Ahtisaari sind ganz wesentliche Verpflichtungen für die Kosovaren -- wie beispielsweise der Schutz der serbischen Minderheit -- festgelegt worden, auf die sich das Kosovo verpflichtet hat. Um den von serbischer und russischer Seite geäußerten Zweifeln Rechnung zu tragen, es sei nicht alles versucht worden, um zu einer einvernehmlichen Regelung zu kommen, wurden dann noch die sog. Troika-Verhandlungen geführt. Dabei wurden dann alle möglichen Modelle wie beispielsweise deutsch-deutscher Grundlagen-Vertrag, Zypern-Regelung oder Hongkong-Lösung durchdiskutiert, allerdings ohne dass es zu einem Ergebnis kam. Es gab keinen Grund anzunehmen, dass weitere Verhandlungen noch irgendwelche Erfolgsaussichten bieten. Russland hat damals sogar selbst bestätigt, dass keine einvernehmliche Lösung möglich war.

Gegen die Auffassung, wonach die Anerkennung des Kosovo völkerrechtswidrig sei, spricht, dass völkerrechtlich von Niemandem in Frage gestellt wird, dass die Resolution 1244 weiterhin gültig ist, bis sie durch eine neue Sicherheitsratsresolution abgelöst wird. Resolution 1244 sagt aber nichts zum endgültigen Status und verbietet damit eine einseitige Unabhängigkeitserklärung nicht. Das wäre ja auch absurd! Denn das würde im Umkehrschluss bedeuten, dass eine Seite mit einer Blockade jegliche Lösungsmöglichkeit verhindern und die Kosovo-Frage zu einem permanten "frozen conflict" machen könnte. Ich denke, man kann dem Sicherheitsrat und insbesondere Russland und China nicht unterstellen, dass sie das gewollt haben. Auch die Tatsache, dass VN-Generalsekretär Ban die EU beauftragt hat, im unabhängig erklärten und von zahlreichen Staaten anerkannten Kosovo eine Rechtsstaatsmission durchzuführen, ist ein weiteres Argument, das gegen die Auffassung der Völkerrechtswidrigkeit spricht.

Zwar gab es im Falle Südossetiens und Abchasiens bisher einige Anläufe zu Gesprächen unter der Vermittlung der UNO, auch Außenminister Steinmeier hat sich im Sommer vermittelnd eigeschaltet. Doch von international gestützten Verhandlungen über eine einvernehmliche politische Lösung wie im Falle des Kosovo konnte keine Rede sein. So etwas wie der umfassende Ahtisaari-Plan bei der Kosovo-Krise gab es im Falle Abchasiens und Südossetiens nicht einmal in Ansätzen. Das alles zeigt: Die Verhandlungsmöglichkeiten wurden bei Weitem nicht ausgeschöpft. Und während im Kosovo fast neun Jahre bis zur Anerkennung der Eigenstaatlichkeit verstrichen, erfolgte in Russland dieser Schritt nur wenige Tage nach dem militärischen Vorstoß nach Südossetien und im russischen Alleingang.

Ihre Behauptung, das Völkerrecht spiele für mich "/das eine Mal eine Rolle, das andere Mal nicht/", ist falsch: Es spielt für mich immer die gleiche grundlegende Rolle. Das gilt auch für die Zeit vor, während und nach dem Irak-Krieg. Ich verweise darauf, dass Außenminister Fischer für die Bundesregierung in einem "Spiegel"-Interview (Heft 1/2003) auf die Frage, ob er ein militärisches Vorgehen gegen den Irak ohne ein neues VN-Mandat für völkerrechtswidrig halte, geantwortet hat: "/Die Resolution 1441 lässt offen, ob der Sicherheitsrat eine erneute Resolution verabschieden soll. Mit der Resolution 1441 gibt es keinen mandatsfreien Zustand mehr." /Dies war auch meine Auffassung./ /Denn wäre es ein völkerrechtswidriger Akt gewesen, dann wäre auch der von der rot-grünen Bundesregierung angeordnete Einsatz der Bundeswehrsoldaten völkerrechtswidrig gewesen. Die rot-grüne Bundesregierung hat den USA und anderen Partnern im Irak-Krieg militärische Hilfe geleistet durch Überflugrechte für die USA, Bewachung amerikanischer Einrichtungen durch Bundeswehrsoldaten, Entsendung von Patriot-Abwehrsystemen, Stationierung von Bundeswehr-ABC-Spürpanzern in Kuwait und den Einsatz deutscher Soldaten in den AWACS-Flugzeugen. Wir haben diese militärische Hilfeleistung unterstützt. Denn Deutschland konnte nicht neutral sein in einer Situation, in der zahlreiche seiner Bündnispartner zur Beseitigung der vom Irak ausgehenden "/Bedrohung für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit ... alle erforderlichen Mittel" /einsetzten, wozu sie der Sicherheitsrat durch die VN-Resolutionen 678 und 1441 ermächtigt hatte, weil sich der Irak bis zuletzt verweigert hatte, mit den Vereinten Nationen zusammen zu arbeiten. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hatte wiederholt festgestellt, dass von der Aufrüstung des Irak mit Massenvernichtungswaffen eine "/Bedrohung für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit"/ ausgegangen sei. Er hatte den Irak aufgefordert, "/bedingungslos auf den Erwerb und die Entwicklung von Massenvernichtungswaffen zu verzichten und bereits produzierte Waffen unter Kontrolle von VN-Inspektoren zu vernichten"/.

Falsch ist auch Ihre Behauptung, die CDU/CSU hätte "/damals den Angriff der USA gegen den Irak unterstützt/". Richtig ist vielmehr: dass sich CDU und CSU immer wieder für eine friedliche Lösung der Irak-Krise eingesetzt haben. Beispiele dafür sind:

- "/Es gilt alles zu unternehmen, um Saddam Hussein mit friedlichen Mitteln zur Wiederaufnahme der Waffeninspektionen zu bewegen." /(CDU/CSU-Antrag: "Für eine glaubwürdige Politik gegenüber der vom Irak ausgehenden Bedrohung", Drucksache 14/9972 vom 13.09.2002.

- "/Die Bundesregierung muss sich nachdrücklich dafür einsetzen, dass der von den Vereinten Nationen geforderte ... bedingungslose Verzicht auf Erwerb und Entwicklung von Massenvernichtungswaffen gewährleistet wird und bereits produzierte Waffen vernichtet werden. ... Ziel muss es sein, einen Krieg zu vermeiden." /(CDU/CSU-Antrag: "Die NATO auf die neuen Gefahren ausrichten", Drucksache 15/44 vom 12.11.2002)

- "/Der Irak muss seine Massenvernichtungswaffen vollständig abrüsten. Wir wollen das auf friedlichem Wege erreichen." /(CDU/CSU-Antrag: "Europa und Amerika müssen zusammenstehen", Drucksache 15/421 vom 11.02.2003)

- "/CDU und CSU bedauern sehr, dass es nicht gelungen ist, die Entwaffnung des Irak mit friedlichen Mitteln zu erreichen, denn wir dürfen nie vergessen: Krieg ist immer eine Niederlage von Diplomatie und Politik." /(Erklärung von Dr. Angela Merkel im Deutschen Bundestag angesichts der militärischen Aktionen im Irak am 20.03.2003)

Selbstverständlich stelle ich mich weder gegen das Selbstbestimmungsrecht der Völker noch gegen die UN-Charta, beide haben absolute Geltung. Ich kann Ihnen versichern, dass sich meine Meinung mit der allgemein herrschenden internationalen Meinung im Völkerrecht deckt. Mit Ihrer Argumentation gehen Sie davon aus, dass das Selbstbestimmungsrecht der Völker automatisch einen Freibrief zur Sezession für alle Bevölkerungsgruppen darstelle. Im Selbstbestimmungsrecht der Völker ist jedoch kein Recht zur Sezession enthalten! Vielmehr soll das Selbstbestimmungsrecht bestimmten benachteiligten Völkergruppen innerhalb eines Staates ein Anrecht auf Partizipation geben (siehe /Friendly Relations Declaration/ -- Erklärung der Generalversammlung der Vereinten Nationen von 1970!). Allenfalls in Fällen extremer Unterdrückung, wie es im Kosovo der Fall war, kann über eine Trennung nachgedacht werden. Dies ist jedoch in Südossetien nicht der Fall gewesen.

Dr. Andreas Schockenhoff