Frage an Andreas Schockenhoff von Benjamin S. bezüglich Innere Sicherheit
Sehr geehrter Herr Schockenhoff,
wie ich sehe haben Sie der Vorratsdatenspeicherung im Bundestag zugestimmt. Da sie meinen Wahlkreis repräsentieren habe ich ein paar Fragen zu diesem Thema:
Sie bzw. die Politik argumentiert, dass eine weitreichende Überwachung des Bürgers nötig ist um die innere Sicherheit zu stärken und den Rechtsstaat wehrfähig gegen Terrorangriffe zu machen.
Das hört sich soweit ganz schön an, wenn man aber bedenkt, dass die Vorratsdatenspeicherung nur ein Teil eines großen Paketes zum Thema Sicherheit ist bekomme ich es mit der Angst zu tun.
Warum ist es nötig von jedem Bürger sämtliche biometrischen Daten einzufordern (Passbild, Fingerabdrücke im Reisepass) & gleichzeitig Gesetze zu erlassen, durch die der Bürger 24/7 überwacht & geortet werde kann? Und zwar bevor er überhaupt verdächtigt wird.
Diese Politik steht im Konflikt mit unserem Grundgesetz. Darüberhinaus wird durch diese Politik höchstens die Aufklärung nach einem Terroranschlag erleichtert. Denken Sie Terroristen, die zu allem bereit sind, sind nicht schlau genug diese Hürden zu umgehen?
Finden sie nicht, dass der Terrorismus schon gewonnen hat wenn wir uns selbst in unserer Freiheit einschränken, anstatt eine offene Gesellschaft zu propagieren? Sobald der Staat weitreichende Rechte zur Überwachung seiner Bevölkerung zulässt, werden diese Rechte auch genutzt & missbraucht. Das war schon immer so & lässt sich geschichtlich belegen. Wer bitte wird die Beamten überwachen, die uns überwachen?
Ich will niemand etwas unterstellen, aber wo bitte ist die Grenze zwischen "vermeintlichen Terroisten" & ganz gewöhnlichen kritischen Bürgern, die es in jeder Demokratie geben sollte? Wer garantiert mir, dass diese Grenze nicht schon längst verwischt ist? Wer grantiert der Bevölkerung, dass diese Daten nicht zum persönlichen/politischen Vorteil einer Minderheit genutzt werden?
Es wäre sehr freundlich von ihnen wenn sie dazu ihren Standpunkt klar machen könnten.
Mfg,
Benjamin Schönmann
Sehr geehrter Herr Schönmann,
vielen Dank für Ihre Anfrage über Abgeordnetenwatch. Der Bundestag und insbesondere die Kolleginnen und Kollegen in den zuständigen haben sich lange und ausführlich mit dem Gesetzentwurf zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und zur Umsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung befasst, nicht zuletzt auch deshalb, um den gesamten Bereich der verdeckten Ermittlungsmaßnahmen in der Strafprozessordnung im Einklang mit unserem Grundgesetz neu zu ordnen, was mit der Novelle gelungen ist.
Denn die Rechtspolitik bewegt sich im Bereich der Telekommunikationsüberwachung in einem Spannungsfeld. Dem Grundrechtsschutz der Bürger steht die ebenfalls verfassungsrechtlich gebotene Pflicht des Staates zu einer effektiven Strafverfolgung gegenüber. Das Bundesverfassungsgericht hat immer wieder das öffentliche Interesse an einer möglichst vollständigen Wahrheitsermittlung im Strafverfahren betont und die wirksame Aufklärung gerade schwerer Straftaten als einen wesentlichen Auftrag des staatlichen Gemeinwesens hervorgehoben, weil ein Gemeinwesen anders gar nicht funktionieren kann. Grundrechtsschutz der Bürger und Strafverfolgungsinteresse des Staates müssen deshalb in einen vernünftigen Ausgleich gebracht werden. Ermittlungsinstrumente sollten deshalb aus rechtspolitischer Sicht -- zumindest aus derjenigen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion - nicht weiter beschränkt werden, als dies verfassungsrechtlich geboten ist.
Die sogenannte Vorratsdatenspeicherung ist ein Ermittlungsinstrument, das für die wirksame Aufklärung gerade schwerer Straftaten unabdingbar ist. Vielfach wird übersehen, dass bereits nach der bisherigen Rechtslage Telekommunikationsunternehmen Verkehrsdaten zu Abrechnungszwecken speichern durften. Über die Verbindungsdaten haben die Telekommunikationsunternehmen nach den Vorschriften der Strafprozessordnung den Strafverfolgungsbehörden Auskunft zu erteilen, wenn es um die Verfolgung schwerer Straftaten oder von Straftaten, die mittels Telekommunikation begangen wurden, geht (§§ 100g u. h StPO). Die Anordnung der Erteilung einer Auskunft ist an strenge rechtsstaatliche Voraussetzungen (u. a. konkreter, durch bestimmte Tatsachen begründeter Verdacht, keine anderweitige Möglichkeit der Aufklärung, Richtervorbehalt) geknüpft. Die Verbindungsdatenabfrage hat sich in der Vergangenheit als unverzichtbar bei der Bekämpfung und Aufdeckung schwerer Kriminalität erwiesen. Mit der stetigen Zunahme sogenannter "Flatratetarife" ist allerdings eine Speicherung von Verbindungsdaten zu Abrechnungszwecken durch die Telekommunikationsunternehmen nicht mehr erforderlich. Die Möglichkeit, alleine durch Nutzung solcher Flatratetarife, Strafverfolgungsmaßnahmen zu erschweren oder zu vereiteln, dürfte insbesondere der organisierten Kriminalität nicht verborgen geblieben sein. Bereits deshalb war es erforderlich, eine entsprechende Speicherungsverpflichtung der Telekommunikationsunternehmen, unabhängig davon, ob diese Daten zu Abrechnungszwecken benötigt werden, gesetzlich festzulegen. Die bisherigen Schutzvorkehrungen sind dabei uneingeschränkt beibehalten worden.
Nicht zuletzt diese Erwägungen haben die Bundesregierung bewogen, der Richtlinie Nr. 2006/24/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 15. März 2006 über die Vorratsspeicherung von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste oder öffentlicher Kommunikationsnetze erzeugt oder verarbeitet werden, zuzustimmen. Die Bundesregierung hat dies mit Unterstützung des Deutschen Bundestages getan. In dem Entschließungsantrag der Fraktionen von CDU/CSU und SPD vom 7. Februar 2006 (BT- Drs. 16/545), der mit der Mehrheit der Stimmen des Deutschen Bundestages angenommen wurde, wurde die Bundesregierung aufgefordert, dem Text der Richtlinie bei der abschließenden Befassung des Rates der Europäischen Union zuzustimmen (Nr. II. 1 der Beschlussempfehlung). Auch der Deutsche Bundestag hat in diesem Beschluss ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ein Zugriff auf Telekommunikationsverkehrsdaten insbesondere bei Straftaten mit komplexen Täterstrukturen, wie sie für den internationalen Terrorismus und die organisierte Kriminalität kennzeichnend sind, und bei mittels Telekommunikation begangenen Straftaten unverzichtbar ist (Nr. I. 5 und 6 der Beschlussempfehlung).
Dem Deutschen Bundestag war dabei bewusst, dass das hierfür gewählte Instrument der Richtlinie möglicherweise nicht ganz frei von kompetenzrechtlichen Risiken ist. Er hat sich dennoch dafür ausgesprochen, weil es sich insoweit um einen Kompromiss der EU-Mitgliedstaaten gehandelt hat und es der Bundesregierung gelungen ist, in der Richtlinie Regelungen mit Augenmaß (z. B. keine Speicherung von Gesprächsinhalten, Beschränkung der Speicherungsfrist auf 6 Monate, Datenabfrage nur bei Verdacht erheblicher oder mittels Telekommunikation begangener Straftaten) zu erreichen.
Die Richtlinie wird mit dem Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie Nr. 2006/24/EG (BT-Drs. 16/5846; 16/6979), das am 9. November im Deutschen Bundestag verabschiedet worden ist, in nationales Recht umgesetzt. Mit dem Gesetz werden die oben genannten Vorgaben, mit denen sowohl dem Interesse an einer effektiven Strafverfolgung als auch dem Schutz der Grundrechte in ausgewogener Weise Rechnung getragen wird, eingehalten: Von den Telekommunikationsunternehmen dürfen nur die Verkehrsdaten gespeichert werden. Die Speicherungsfrist ist auf sechs Monate begrenzt. Die Anordnung der Erteilung einer Auskunft über diese Daten ist nach wie vor an strenge rechtsstaatliche Voraussetzungen (u. a. konkreter, durch bestimmte Tatsachen begründeter Verdacht einer Straftat von erheblicher Bedeutung oder einer Straftat, die mittels Telekommunikation begangen wurde; keine anderweitige Möglichkeit der Aufklärung; Richtervorbehalt) geknüpft. Eine anderweitige Verwendung dieser Daten ist nur zu Zwecken der Abwehr erheblicher Gefahren für die öffentliche Sicherheit möglich, wenn dies gesetzlich unter Beachtung der Verwendungsbeschränkungen im Telekommunikationsgesetz festgelegt ist. Eine Verwendung beispielsweise zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche ist nicht zulässig.
Der in der öffentlichen Diskussion vielfältig erweckte Eindruck, dass aufgrund der Neuregelung nun jeder voraussetzungslos von staatlichen Stellen abgehört werden kann, ist also falsch. Grundvoraussezung für die Anordnung von Telefonüberwachungsmaßnahmen ist nach wie vor, dass ein durch Tatsachen begründeter Verdacht für eine schwere Straftat vorliegt.
Das Gesetz berücksichtigt aber auch die verfassungsrechtlich gebotene Pflicht des Staates zu einer effektiven Strafverfolgung. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist überzeugt, dass die Ermittlungsbehörden für eine effektive Bekämpfung schwerer Kriminalität über diese wichtigen Ermittlungsinstrumente verfügen müssen. Dazu zählt auch die Vorratsdatenspeicherung. Von Überwachungsstaat kann also keine Rede sein.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen meine Position in der Frage deutlich machen.
Mit freundlichen Grüßen
Andreas Schockenhoff MdB