Was passiert mit den an die Ukraine gelieferten schweren Waffen, wenn der Krieg vorüber ist ?
Sehr geehrter Herr Larem,
Deutschland lässt der Ukraine bereits eine Vielzahl an Hilfen in nicht unerheblichem Maße, u.a. auch schwere Waffen, zukommen . Die Ukraine fordert (in teilweise unverschämtestem Ton, siehe Melnyk) weitere Waffen, darunter hochmoderne wie den Leopard II in nicht unerheblicher Menge. Wie bekannt wurde, ist der Ausrüstungsstand der Bundeswehr nicht ausreichend um die Landesverteidigung vollumfänglich zu gewährleisten.
Mich interessieren im Hinblick dessen folgende Fragestellungen:
- Werden die Waffen welche an die Ukraine geliefert wurden nach Beendigung des Konflikts an Deutschland zurückgeliefert oder rüstet Deutschland langfristig eine andere Armee auf ?
- Ist nicht die allererste Aufgabe der Regierung "dem deutschem Volke" zu dienen ? Inwiefern wird die Regierung dieser Aufgabe gerecht wenn auf der einen Seite die Landesverteidigung nicht gesichert ist, auf der anderen aber schwere Waffen in großer Zahl das Land verlassen ?
Sehr geehrter Herr B.,
vielen Dank für Ihre Anfrage vom 1. Mai 2022.
Der völkerrechtswidrige Angriff Putins auf die Ukraine markiert eine Zeitenwende. Es ist das erste Mal seit über 80 Jahren, dass auf europäischem Boden ein Land einen großflächigen militärischen Überfall auf ein friedliebendes Nachbarland gestartet hat. Vor allem die Frauen, Männer und Kinder in der Ukraine zahlen einen hohen Preis. Ihnen gelten unsere volle Solidarität und Unterstützung. Der Krieg gegen die Ukraine ist Putins Krieg. Deshalb gelten unser Respekt und unsere Anerkennung auch allen mutigen Menschen insbesondere in Russland, die öffentlich oder im Sinne des zivilen Ungehorsams den Aggressionskurs ihres Präsidenten verurteilen und zur Beendigung des Angriffs auf die Ukraine aufrufen.
Putins Angriff ist die mutwillige Zerstörung der europäischen Sicherheitsordnung, die wir nach dem Ende des Kalten Krieges geschaffen haben. Der Angriff bedeutet leider auch das Scheitern aller bisherigen diplomatischen Bemühungen – aber auch aller jüngsten Versuche militärischer Abschreckung. Dennoch war es richtig, dass wir diplomatische Lösungen gesucht und diejenigen unterstützt haben, die sich um Gespräche mit dem russischen Präsidenten bemüht haben. Wir dürfen auch in Zukunft nicht auf Diplomatie verzichten. Aber Putin ist gegenwärtig offenbar nicht zu einer diplomatischen Lösung bereit.
Am 28. April 2022 hat der Deutsche Bundestag erstmalig einen Antrag „Frieden und Freiheit in Europa verteidigen – Umfassende Unterstützung für die Ukraine“ (BT-Drs. 20/1550) zum Ukraine Krieg im Deutschen Bundestag verabschiedet. Er fasst unsere Position zum Ukraine Krieg sehr gut zusammen. Ich habe dem Antrag zugestimmt.
Wir verurteilen den brutalen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine. Wir begrüßen das bisher Geleistete der Bundesregierung, wie zum Beispiel die bereits geleisteten Waffenlieferungen. Wie Sie sicherlich bereits der Presse entnehmen konnten, begrüßen wir auch die Lieferung von schweren Waffen im Ringtausch.
Die Bundesregierung hat sich klare Leitlinien für die Unterstützung der Ukraine mit Waffen:
- Enge Abstimmung mit unseren Bündnispartnern,
- keine Einschränkung der deutschen Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit und
- keine Kriegsbeteiligung.
Enge Abstimmung: Die Bundesregierung trifft ihre Entscheidungen über die Unterstützung der Ukraine mit Waffen in enger Abstimmung mit den Bündnispartnern in der Europäischen Union und der NATO. Dazu finden ständig Gespräche und Abstimmungen auf allen Ebenen statt. Das betrifft auch die Frage, welche Waffenarten geliefert werden sollen. Wir wollen keine deutschen Alleingänge. Und wir treffen die nötigen Abwägungsentscheidungen gemeinsam mit den Partnern und handeln mit ihnen abgestimmt. Anders als hin und wieder behauptet, hat übrigens bisher kein Bündnispartner Schützen- oder Kampfpanzer westlicher Produktion an die Ukraine geliefert. Deutschland ist also nicht isoliert, sondern handelt wie die übrigen Verbündeten.
Verteidigungsfähigkeit erhalten: Die Verbündeten sind sich darüber einig, dass die Fähigkeit zur Verteidigung des NATO-Bündnisgebietes zu jedem Zeitpunkt sichergestellt sein muss. Daraus resultieren schwierige Abwägungsfragen bei der Entscheidung darüber, welche Waffen in die Ukraine geliefert werden können. Bundeskanzler Olaf Scholz hat erläutert, dass es zu seinem Amtseid gehört, die Fähigkeit der Bundeswehr zur Bündnis- und Landesverteidigung nicht zu schwächen. Daher sollen keine Waffen aus den Beständen der Bundeswehr geliefert werden, die ihre Fähigkeit einschränken, Deutschland oder das Gebiet unserer Verbündeten in der NATO gegen einen russischen Angriff zu verteidigen. Wir können nicht einfach darauf vertrauen, dass schon nichts passieren wird. Sondern wir müssen so aufgestellt sein, dass unsere Botschaft an den russischen Präsidenten Putin plausibel ist. Wenn wir sagen, wir werden jeden Quadratmeter des Bündnisgebietes verteidigen, müssen wir das auch zu jeder Zeit sicherstellen können. Die Bedrohung des Nato-Gebiets durch Russland besteht fort. Auch deswegen haben etwa die baltischen Partner um eine verstärkte Bundeswehrpräsenz gebeten. Und die Bundeswehr ist in der Slowakei und Litauen mit Verbänden stark engagiert. Die Nato hat das Ziel ausgegeben, dass das Bündnis bei einem konventionellen Angriff 12 Tage mit Munition und Ausrüstung standhalten können muss. Diese Verpflichtung gilt und darf nicht vergessen werden. Auch darum haben wir das Sondervermögen Bundeswehr von 100 Milliarden Euro initiiert. Wir liefern der Ukraine aus den bestehenden Beständen der Bundeswehr das, was die Bundeswehr zum derzeitigen Zeitpunkt guten Gewissens entbehren kann. Gemeinsam mit den Verbündeten wird immer wieder überprüft, ob eine andere Abwägungsentscheidung zwischen Sicherstellung der Fähigkeit zur Bündnisverteidigung und Unterstützung der Ukraine möglich ist.
In diesem Zusammenhang gehört auch die Debatte um die Schützenpanzer "Marder". Die funktionstüchtigen Marder-Schützenpanzer der Bundeswehr befinden sich im Einsatz. Sie sind Teil der Mission "enhanced Forward Presence" (eFP) in Litauen und dienen konkret der Bündnisverteidigung an der NATO-Ostflanke. Die in Deutschland verbleibenden Marder dienen den Soldatinnen und Soldaten, die sich auf ihren Einsatz bei der kommenden eFP vorbereiten, für Trainingszwecke. Im Übrigen weisen alle erfahrenen Heeres-Experten immer wieder darauf hin, dass westliche Panzersysteme auch von den gut ausgebildeten Soldatinnen und Soldaten der Ukraine nicht einfach so eingesetzt werden können. Marder-Schützenpanzer operieren im Zusammenspiel mit Kampfpanzern und Infanteriesoldaten. Dieses Zusammenspiel muss geübt werden, damit der Einsatz Erfolg hat. Hinzu kommt, dass die Marder eine umfangreiche technische und logistische Unterstützung benötigen. Die Instandhaltung von Kettenfahrzeugen ist technisch herausfordernd. Es werden Spezialwerkzeuge und Ersatzteile benötigt. Diese Ersatzteile sind derzeit auch bei der Bundeswehr Mangelware, so dass vorhandene Marder ausgeschlachtet werden und als Ersatzteillieferanten herhalten müssen. Die ukrainischen Mechaniker kennen die Marder nicht – ohne umfangreiche Schulungen wären sie nicht in der Lage, defekte Fahrzeuge instand zu setzen. Und Kettenfahrzeuge verschleißen gerade im Einsatz schnell.
Keine Kriegsbeteiligung Deutschlands oder der NATO: Alle Bündnispartner sind sich in dem Ziel einig, dass ein Übergreifen des Krieges auf andere Staaten und damit ein Flächenbrand verhindert werden muss. Und alle Partner sind sich deswegen auch einig, dass die NATO nicht zur Kriegspartei werden darf. Sie tun alles dafür, eine direkte militärische Konfrontation zwischen der NATO und der hochgerüsteten militärischen Supermacht Russland mit seinen Atomwaffen zu vermeiden. Es soll jede Eskalation verhindert werden, die zu einem Dritten Weltkrieg führt. Aus diesem Grund ist die NATO etwa dem Wunsch der Ukraine nach Einrichtung einer Flugverbotszone nicht nachgekommen. Denn diese hätte einen direkten Eingriff von NATO-Flugabwehr und Kampfflugzeugen in den Krieg bedeutet.
Ab welchem Punkt Russland die NATO oder einzelne NATO-Partner wie Deutschland als Kriegspartei wahrnimmt, lässt sich keinem Lehrbuch entnehmen. Putin steht gewaltig unter Druck, Russland steckt in dramatischen Schwierigkeiten, die Sanktionen richten gewaltige Schäden in Russlands Wirtschaft an und die Kette militärischer Niederlagen kann auch die russische Regierungspropaganda nicht mehr schönreden. Daher werden alle Schritte genau überlegt und eng mit den Partnern abgestimmt.
Seit 2014: Finanzielle Unterstützung, Diplomatie und Sanktionen gegen Russland
Die Unterstützung der Ukraine mit militärischem Gerät schließt an die bisherige Hilfe Deutschlands an. Wir unterstützen die Ukraine seit langem. Seit 2014 hat Deutschland gut zwei Milliarden Euro an finanzieller Unterstützung geleistet. Kein Land hat die Ukraine in den vergangenen Jahren finanziell mehr unterstützt. Das war für die Stabilität und Durchhaltefähigkeit der Ukraine von großer Bedeutung. Denn das Land war durch die ständige russische Destabilisierung und die daraus resultierende Unsicherheit wirtschaftlich stark gefährdet und unter Druck.
Gleichzeitig hat Deutschland gemeinsam mit Frankreich im sogenannten Normandie-Format (Ukraine, Russland, Frankreich, Deutschland) versucht, den seit 2014 in der Ost-Ukraine herrschenden Krieg durch Verhandlungen zu beenden und eine diplomatische Lösung zu finden.
Als sich im Dezember 2021 abzeichnete, dass eine russische Invasion geplant sein könnte, haben wir mit den europäischen und transatlantischen Partnern umfangreiche Sanktionspakete vorbereitet. So konnten wir mit Beginn der Invasion am 24. Februar 2022 sofort handeln und uns Putin mit Geschlossenheit und konsequentem Handeln entgegenstellen. Die Sanktionen wirken. Sie haben verheerende Folgen für die russische Volkswirtschaft. Die Sanktionen werden fortlaufend analysiert und weitere Maßnahmen beschlossen. Auch dies geschieht eng abgestimmt mit den Partnern.
Wir leisten darüber hinaus auch finanzielle Rüstungshilfe. Die Bundesregierung ermöglicht es so, dass die Ukraine sich direkt von hiesigen Rüstungsfirmen beliefern lassen kann. Deutschland zahlt diese Bestellungen – und zwar schnell. Bundeskanzler Olaf Scholz hat dafür gesorgt, dass zwei Milliarden Euro als Rüstungshilfe für Partnerländer zur Verfügung gestellt werden – zum großen Teil zugunsten der Ukraine. Damit wird der Ukraine ein weiterer Weg eröffnet, sich wirksam gegen die russischen Truppen wehren zu können. Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht hat dazu die deutsche Rüstungsindustrie frühzeitig aufgefordert zusammenzustellen, welches Material sie in nächster Zeit liefern kann. Die Ukraine hat nun aus dieser Liste Waffen ausgewählt und wird direkt Verträge mit den Herstellern abschließen. Deutschland stellt das für den Kauf notwendige Geld zur Verfügung. Darunter sind wie bisher Panzer- und Flugabwehrwaffen, Panzerrichtminen, Munition und das, was man im Artilleriegefecht einsetzen kann. Die erforderlichen Ausfuhrgenehmigungen für solche Rüstungsgüter werden in beschleunigten Verfahren nach Prüfung im Einzelfall rasch erteilt. Wie zuletzt bei der Lieferung von Flugabwehrpanzern des Typen Gepard an die Ukraine durch den Rüstungskonzern Krauss-Maffei Wegmann. Dieser verfügt über Gepard Luftverteidigungssysteme aus früheren Beständen der Bundeswehr, die an die Ukraine verkauft werden.
Wie Sie sicherlich schon gehört haben, liefern wir auch Panzer für die Ukraine per „Ringtausch“: Deutschland ermöglicht es in Abstimmung mit den anderen NATO-Partnern, dass Schützen- und Transportpanzer sowjetischer oder russischer Bauart an die Ukraine geliefert werden, die sofort eingesetzt werden können. Denn die Waffen für die Ukraine müssen ihr vor allem unmittelbar helfen. Sie sollen in den laufenden Kämpfen eingesetzt werden können, damit sich die Ukraine gegen die russischen Angriffe jetzt verteidigen kann. Deswegen sind insbesondere Waffenlieferungen aus Osteuropa sinnvoll, wo ähnliche oder baugleiche Waffensysteme vorhanden sind wie die, an denen die ukrainischen Soldatinnen und Soldaten ausgebildet wurden. Die westlichen NATO-Partner und auch Deutschland werden die östlichen Partner dann sukzessive mit modernen Waffensystemen ausstatten, sobald dieses Gerät verfügbar ist. Dazu sollen zum Beispiel bei der Industrie eingelagerte Panzer modernisiert und dann an die Partner geliefert werden. So stärken wir perspektivisch gleichzeitig die Bündnisverteidigung der NATO.
Ob die Waffen nach Kriegsende an Deutschland zurückgeliefert werden, ist zur Zeit nicht die Frage. Wir gehen davon aus, dass die Ukraine Waffen und Munition einsetzt und verbraucht.
Wir erhalten die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands (siehe oben).
Mit herzlichen Grüßen
Ihr
Andreas Larem
Mitglied des Deutschen Bundestages