Frage an Andreas Dressel von Claudia H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Guten Tag, Herr Dressel,
was sagen Sie zur Bewertung des Olympia-Referendums durch den Rechnungshof? Darin heißt es u.a.: „Zum Zeitpunkt des Bürgerschaftsreferendums am 29. November 2015 werden noch keine abgeschlossenen Bedarfsplanungen, kein belastbarer Finanzrahmen für alle erforderlichen Maßnahmen, insbesondere für die Infrastrukturmaßnahmen, kein verbindliches Finanzierungskonzept und keine angemessene Nutzen-Kosten-Untersuchung vorliegen. Dagegen bestehen zu diesem Zeitpunkt erhebliche Planungsrisiken und Kostensteigerungsrisiken und vor Kenntnis des konkretes Angebots des IOC ein nicht abschätzbares Risiko aus der Übernahme von Gewährleistungen gegenüber dem IOC.“ (S. 52f)
Mein Kommentar dazu lautet: Honi soit qui mal y pense. Es ist allgemein bekannt, dass in Hamburg Volksentscheide entgegen Mehrheiten im Parlament stattgefunden haben. Musste jetzt auf Krampf schnell ein Thema her, um der Bürgerschaft mit der "bürgerfreundlichen Neuerung" Referendum Einfluss auf das Volksgesetzgebungsverfahren zu verschaffen? Ist die Durchsetzung des Instruments Referendum am Ende wichtiger als das Ergebnis der Abstimmung samt eventueller finanzieller Folgen? Irgendwo wird das Geld dann ja schon herkommen. Man sieht es an der Elbphilharmonie. Warum nicht dem Volk nicht die Chance geben, sich an übereilten Planungen zu beteiligen? Sollte das Volk nicht durch Eil-Referenden endlich die Gelegenheit erhalten, zu entscheiden, ob es in provinzieller Großmannssucht die Millionen aufs Spiel setzen will? Mit Blankoschecks für Großprojekte kennt man sich in Hamburg ja aus. Wenn das Geld verzockt ist, kann ja anderswo gekürzt werden.
Wie schätzen Sie die Nachhaltigkeit und längerfristige Akzeptanz von Referendumsentscheidungen angesichts der verkürzten Entscheidungsfrist im Vergleich zu Volksentscheiden im Allgemeinen ein?
Mit freundlichen Grüßen
C. H.
Sehr geehrte Frau H.,
vielen Dank für Ihre Frage.
Stellungnahmen des Rechnungshofes haben für uns stets ein hohes Gewicht und darum haben wir sie auch in den Bewerbungsprozess einfließen lassen. Es ist das Recht und die Pflicht des Rechnungshofes, Senat und Bürgerschaft sachgerechte Ratschläge zu derartigen Großprojekten zu geben. Da die Stellungnahme Anfang September erschienen war, ließ sie viele Planungsfortschritte, insbesondere den Finanzreport vom 8. Oktober, der viele offene Fragen klären konnte, unberücksichtigt.
Für das Referendum war der 29. November der richtige Zeitpunkt, denn Anfang diesen Jahres hätte Hamburg qualifizierte und fundierte Bewerbungsunterlagen beim IOC einreichen müssen. Das wäre demokratisch nur zu rechtfertigen gewesen, wenn die Hamburgerinnen und Hamburger vorher Ja gesagt hätten. Außerdem wäre es auch finanzpolitisch wenig sinnvoll gewesen, viele Millionen Euro in Planungen zu investieren, wenn die Bevölkerung am Schluss doch Nein sagen sollte, wie es dann ja geschehen ist. Es ist gut, dass der Rechnungshof diese Argumente in seiner Erklärung auch aufgenommen hat. Vor diesem Hintergrund haben Senat und SPD, CDU, GRÜNE und FDP in der Bürgerschaft gemeinsam für den 29. November 2015 votiert.
Die Bürgerbeteiligung ist stets weiter ausgebaut und auch von Seiten der Bürgerinnen und Bürger gefordert worden. Hamburg ist hinsichtlich der Bürgerbeteiligung und der direkten Demokratie bundesweit vorbildlich aufgestellt. Darauf sind wir stolz und dahinter wollen wir auch nicht wieder zurück. Darin sind wir uns im Parlament einig und auch mit dem Verein Mehr Demokratie, der Hamburg als Spitzenreiter in seinen Rankings aufführt. Ein Referendum, also ein Volksentscheid auf Initiative von Senat und Bürgerschaft, ergänzt diese gut ausgebaute direktdemokratische Bürgerbeteiligung um ein weiteres Element.
In Zukunft wird es Senat und Bürgerschaft möglich sein, bei Themen und Vorhaben von grundsätzlicher und gesamtstädtischer Bedeutung, die ja in aller Regel auch bereits in der Öffentlichkeit breit diskutiert wurden, Gesetzentwürfe oder andere Vorlagen den Bürgerinnen und Bürgern direkt zur Entscheidung vorzulegen.
Entgegen anderslautender Falschbehauptungen bleiben die Instrumente Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide unangetastet. Die Volksgesetzgebung hat Verfassungsrang und muss daher zwingend berücksichtigt werden. Das neue Element des Bürgerschaftsreferendums ersetzt nicht das bereits bestehende Regelwerk der Volksgesetzgebung, sondern fügt sich in dieses ein.
Schon die hohen Hürden für Senat und Bürgerschaft bei Einleitung des Verfahrens stellen sicher, dass die Volksgesetzgebung nicht geschwächt wird. Außerdem sind die bestehenden Instrumente in der Ausgestaltung des Bürgerschaftsreferendums mit einbezogen worden: Bereits laufende Volksinitiativen oder Volksbegehren haben nach dem Beschluss der Bürgerschaft über die Einleitung eines Referendums die Wahl: Sie können entscheiden, ihre Vorlage als Gegenvorlage dem Referendum beizufügen und werden damit fair und gleichrangig in den Kontext der Willensbildung einbezogen. Sie können aber auch entscheiden, ihre Vorlage nicht dem Referendum beizufügen und ihr Verfahren weiter zu betreiben.
Gleichzeitig ist es erforderlich, dem aus einem Referendum sprechenden Volkswillen auch eine Verbindlichkeit zukommen zu lassen. Anderenfalls wäre das Referendum kein verlässliches und vertrauenswürdiges Instrument. Die Bürgerinnen und Bürger sollen bei der Befragung das letzte Wort haben. Aus diesem Grund ist in dem Gesetzentwurf vorgesehen, dass innerhalb einer gewissen Zeit eine Änderung durch die Politik oder andere Volksinitiativen nicht oder nur eingeschränkt möglich ist. Diese Wirkung tritt nur bei einem erfolgreichen Referendum ein. Denn dann liegt durch das Referendum eine schutzwürdige Entscheidung des Volkes vor. Bis dahin oder bei einem erfolglosen Referendum laufen die Volksabstimmungsverfahren wie dargelegt uneingeschränkt weiter.
Der Beschluss der Bürgerschaft über die Durchführung eines Referendums entfaltet daher keinerlei Wirkung auf laufende Volksinitiativen – außer, dass sie sich entscheiden müssen, wie sie weiter verfahren wollen.
Die detaillierte Ausgestaltung des Zusammenspiels von Volksinitiativen und Volksbegehren mit Bürgerschaftsreferenden ist im Ausführungsgesetz geregelt, das sich an der ausgewogenen und fairen Verfahrensvorgabe in der Verfassungsregelung orientiert und das Gebot der Rücksichtnahme beachtet.
Wie ist nun sichergestellt, dass Senat und Bürgerschaft nicht Volk und Volksinitiativen mit einem Referendum „überrumpeln“ können?
Im Ausführungsgesetz ist geregelt, dass der Senat frühzeitig (mindestens 6 Monate) in geeigneter Weise die Öffentlichkeit informiert, bevor er einen Vorschlag zur Initiierung eines Bürgerschaftsreferendums beschließt: Die Länge dieser Frist ist bewusst an der Sammlungsfrist für eine Volksinitiative orientiert. Damit unterstreicht der Gesetzentwurf, dass für Initiativen aus dem Volk auch anlässlich eines in Vorbereitung befindlichen Bürgerschaftsreferendums genug Zeit und Raum bleibt. Zusammen mit der Vorbereitungszeit für das Referendum - mindestens 4 Monate - ergibt sich sogar ein Gesamtvorlauf von mindestens 10 Monaten vor einem Referendum. In dieser Zeit kann jeder und jede in der Stadt sich eine Meinung bilden.
Das Olympia-Referendum bestätigte unsere Erwartungen an eine hohe Akzeptanz sehr deutlich: Die Hamburgerinnen und Hamburger fanden es gut und richtig, ein Votum abgeben zu können – ganz unabhängig davon, wie sie abstimmen wollten. An der Entscheidung hat fast so ein großer Anteil teilgenommen wie bei einer Bürgerschaftswahl.
Beste Grüße
Andreas Dressel