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Frage von Oliver J. •

Frage an Andreas Dressel von Oliver J. bezüglich Innere Sicherheit

Sehr geehrter Herr Dr. Dressel,

ich gehe auf das Gymnasium Ohmoor in Hamburg Niendorf und dort führt unser Jahrgang im Rahmen des Politikunterrichts gerade ein Projekt zum Thema Sicherungsverwahrung durch.
Hierzu würde ich Ihnen gerne einige Fragen stellen.
Ich hoffe, Sie sind damit einverstanden, dass die Ergebnisse auf dem kommenden Europamarkt am 14. Mai veröffentlicht werden.
Hinzukommen bitte ich Sie, mir möglichst zeitnah eine Antwort zu geben, da wir bereits in wenigen Wochen die Präsentation und die dazugehörigen Ergebnisse abgeben müssen.
Folgende Fragen bitte ich Sie zu beantworten:

1. Was ist Ihre Meinung dazu, dass der europäische Gerichtshof die Sicherungsverwahrung zwar als menschenrechtswidrig beschlossen hat, sie aber trotzdem in vielen europäischen Städten ausgeführt wird?

2. Welche Möglichkeiten sehen Sie, als Jurist die Sicherungsverwahrung so umzugestalten, dass sie nicht mehr als menschenrechtswidrig, sowie vom europäischen Gerichtshof anerkannt wird?

3. Welche Alternativen sehen Sie?

4. Viele Mitbürger empfinden es als beängstigend, wenn sie zu Ohren bekommen, dass Schwerverbrecher auf freiem Fuß in ihrer Stadt/ Umgebung leben. Was können Sie und die Regierung gegen diese Verängstigung tun?

Wir danken Ihnen im Voraus für Ihre Mühe.

Mit freundlichen Grüßen
Oliver Janus

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Janus,

infolge eines Büroversehens bei uns ist der vorbereitete Antwortentwurf leider nicht in den Postausgang gelangt, sorry.

Das hole ich jetzt nach! Und beantworte die Fragen zusammenfassend:

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat im Dezember 2009 entschieden, dass eine zunächst auf zehn Jahre begrenzte Sicherungsverwahrung nicht rückwirkend verlängert werden darf und die Bundesrepublik Deutschland mit der rückwirkenden Anwendung des § 67d Absatz 3 StGB in seiner Fassung nach Streichung der zeitlichen Begrenzung der Sicherungsverwahrung gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) verstoßen hat.

Bis 1998 konnte die Sicherungsverwahrung nur auf zehn Jahre befristet angeordnet werden. Durch eine Gesetzesänderung im Jahr 1998 konnte sie lebenslang bestehen bleiben. Nach 1998 wurden zahlreiche zuvor angeordnete Verwahrungen über die Zehn-Jahres-Frist hinaus verlängert - was nach Ansicht der Straßburger Richter gegen das Rückwirkungsverbot verstößt. Der EGMR hat seine Entscheidung u. a. damit begründet, dass die Sicherungsverwahrung wie eine Freiheitsstrafe mit Freiheitsentziehung verbunden sei und es in der Bundesrepublik Deutschland keine wesentlichen Unterscheide zwischen dem Vollzug einer Freiheitsstrafe und dem der Sicherungsverwahrung gebe. Die Sicherungsverwahrung sei im Sinne der EMRK als Strafe zu qualifizieren, so dass die nachträgliche Verlängerung der Sicherungsverwahrung das Recht auf Freiheit in Artikel 5 EMRK und das Rückwirkungsverbot in Artikel 7 EMRK verstoße. Das Rückwirkungsverbot besagt, dass niemand wegen eines Gesetzes verurteilt werden darf, das zum Zeitpunkt der Tat noch nicht bestand.

Um die Begründung des EGMR zu verstehen, muss man folgendes wissen:
Grundsätzlich stellt die Sicherungsverwahrung nach dem deutschen Strafrecht keine Strafe, sondern eine sog. Freiheitsentziehende Maßregel dar. Eine Maßregel ist eine vom Strafgericht angeordnete Rechtsfolge für eine rechtswidrige Tat, die von der Schuld des Täters unabhängig ist und zum Schutz vor gefährlichen Straftätern oder zu deren Besserung im Anschluss an eine Freiheitsstrafe angeordnet wird. Das deutsche Strafrecht fährt somit im Hinblick auf die Rechtsfolgen einer Straftat quasi zweispurig, indem es zwischen Strafe und Maßregel unterscheidet. Da die Sicherungsverwahrung grundsätzlich erst nach Verbüßung der Haftstrafe beginnt, sich aber bisher in Deutschland nach Ansicht der Straßburger Richter praktisch nicht sehr von der Strafhaft unterscheidet, hat der EGMR sie als "doppelte Bestrafung" verboten.

Die Entscheidung des EGMR betrifft in ganz Deutschland rund 100 Personen, in Hamburg ca. 17 Personen. Aber die Entscheidung gilt eben nur für die Straftäter, deren Sicherungsverwahrung rückwirkend verlängert worden war.

Im Dezember 2010 wurde die Unterbringung von verurteilten Straftätern, die nach der Entscheidung des EGMR hätten freigelassen werden müssen, durch das sog. Therapieunterbringungsgesetz (ThUG) neu geregelt. Es ist am 1. Januar 2011 in Kraft getreten und regelt, dass Straftäter, die nach der Entscheidung des EMRK nicht länger in der Sicherungsverwahrung untergebracht werden können, weiter in einer geschlossenen Einrichtung untergebracht werden dürfen, wenn folgende Umstände vorliegen:

1. eine psychische Störung, die dazu führt, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung einer anderen Person erheblich beeinträchtigt wird und
2. die Unterbringung deshalb zum Schutz der Allgemeinheit erforderlich ist.

Das ThUG regelt allerdings nicht, wie die Betroffenen letztlich untergebracht werden sollen. Die Verantwortung, die Unterbringung der gefährlichen Straftäter in der Sicherungsverwahrung menschenrechtskonventions- und verfassungskonform umzusetzen, tragen die Bundesländer, da ihnen seit der Föderalismusreform im Jahr 2006 die Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug obliegt. In Hamburg erfolgt die Unterbringung nun in einem besonders abgetrennten Bereich im Zentralkrankenhaus der Untersuchungshaftanstalt am Holstenglacis. Langfristig ist insoweit eine Unterbringung im Nordverbund wünschenswert.

Mittlerweile hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die derzeitigen Regelungen zur Sicherungsverwahrung auch mit dem Grundgesetz unvereinbar sind. Es hat dem Bundesgesetzgeber aufgegeben, die Sicherungsverwahrung innerhalb von zwei Jahren neu zu regeln. Auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts können jedoch hochgefährliche und psychisch gestörte Straftäter weiterhin dauerhaft verwahrt werden. Damit besteht Klarheit. Nun muss die Bundesregierung einen Vorschlag für ein verfassungskonformes Gesetz zur Sicherungsverwahrung vorlegen.

Hamburg wird diese Bemühungen konstruktiv begleiten und die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger ernst nehmen. Für uns ist dabei klar: Die Sicherheit der Menschen muss Vorrang haben.

Hamburg wird nun prüfen, ob die Sicherungsverwahrung in Fuhlsbüttel den Vorgaben des BVerfG entspricht. Dort hatte der vorherige Senat insgesamt 31 Plätze für die Sicherungsverwahrung geschaffen.

Aktuell wirkt sich das BverfG-Urteil in Hamburg auf vier so genannte Altfälle aus. Die Gerichte werden nun bis Ende 2011 prüfen, ob sie wegen ihrer hohen Gefährlichkeit und einer psychischen Störung weiter in Sicherungsverwahrung bleiben können.

Jeder gegebenenfalls zu entlassende Sicherungsverwahrte wird in einer geeigneten und gut strukturierten Einrichtung untergebracht. Wir werden in jedem Einzelfall entscheiden, ob und gegebenenfalls welche ergänzenden polizeilichen Maßnahmen erforderlich sind.

Eine Möglichkeit, die wir als SPD in Hamburg favorisieren, ist eine weiter verschärfte Führungsaufsicht durch Aufenthaltsüberwachung mit einer elektronischen Fußfessel mittels GPS-Signal. Damit könnten gerichtlich ausgesprochene Aufenthalts- und Kontaktverbote, Melde- und Bewegungsauflagen überwacht und rechtlich abgesichert werden. Allerdings sind die technischen Voraussetzungen für die elektronische Fußfessel noch in Arbeit. Auch die rechtlichen Voraussetzungen zur Einführung einer solchen Überwachung sind zu schaffen.

Unser Ziel ist es, das Gefährdungsrisiko zu minimieren und den weitestgehenden Schutz der Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten.

Viele Grüße aus dem Rathaus
Dr. Andreas Dressel MdHB