Frage an André Hahn von Anne J. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Dr. Hahn,
ich nutze oft und gern Online-Petitionen, um als Bürgerin Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen. Dabei unterstütze ich Vorhaben auf kommunaler und auf sächsischer Ebene, auf Bundesebene und in Europa. Dies erfordert zwar einen gewissen Zeitaufwand, aber ich kann dies unterwegs oder zu Hause tun und muss nirgendwo dafür hinfahren. Somit finde ich dies das beste Mittel, um den Willen der Bürger*innen auszudrücken.
Leider wurden für zwei der Vereine, die ich mit einer Fördermitgliedschaft unterstütze, die Gemeinnützigkeit aberkannt bzw. besteht die Gefahr dazu.* Dies empfinde ich als einen Angriff auf die Zivilgesellschaft. Es muss die Abgabenordnung entsprechend angepasst werden, damit Bürger*innen mit diesen zeit- und resssourcensparenden Tools Ihre Meinung kundgeben können und auf Gesetzesebene mitwirken können.
Unternehmen hingegen können weiterhin jede Ausgabe für ihre Lobbyarbeit von der Steuer absetzen. Mir drängt sich der Verdacht auf, dass die Wirtschaft mit Hilfe des Steuerrechts systematisch begünstigt und die Zivilgesellschaft geschwächt werden soll.
Wie sehen Sie die gegenwärtige Bedrohung der Zivilgesellschaft und was gedenken Sie dagegen zu tun?
Mit freundlichen Grüßen
A. J.
* Change.org e.V.: https://changeverein.org/angriff-auf-unsere-zivilgesellschaft/
Campact e.V.: https://www.campact.de/presse/mitteilung/20191125-pm-politische-koerperschaft/
Sehr geehrte Frau Johannsen,
vielen Dank für Ihre Frage. Ich teile Ihre Einschätzung, wonach mit dem Entzug der Gemeinnützigkeit von Campact und die Androhung der Berliner Finanzverwaltung, auch Change.org die Gemeinnützigkeit abzuerkennen, gefährlich in zivilgesellschaftliche Strukturen eingegriffen wird. Mit Mitteln des Steuerrechts wird hier das Tätigkeitsfeld von zwei Vereinigungen, die einen wichtigen Beitrag bei der demokratischen Willensbildung leisten, erheblich eingeschränkt. Gerade für Organisationen, die ihre Arbeit über Spenden finanzieren, ist der Entzug der Gemeinnützigkeit ein Existenz bedrohender Vorgang. Dieses Vorgehen der Finanzverwaltung gegen Campact und Change.org fügt sich in die Reihe von Angriffen auf kritische Organisationen wie etwa Attac oder die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA). Auch sie sind in ihrer Existenz gefährdet, weil ihre Gemeinnützigkeit von Finanzämtern in Frage gestellt wird. DIE LINKE im Bundestag will daher mit einem Antrag (http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/19/154/1915465.pdf) eine Änderung des Steuerrechts erreichen, um diese Unsicherheit für zahlreiche Vereinigungen, die einen wichtigen Beitrag für eine demokratische Kultur in unserem Land leisten, zu beenden. Ich bin der Ansicht, dass eine lebendige Demokratie davon lebt, dass sich Bürgerinnen und Bürger aktiv und kritisch in das politische Geschehen einmischen. Dies muss seinen Niederschlag auch in den Steuergesetzen finden.
Mit freundlichen Grüßen,
Dr. André Hahn