Welchen Sinn hat Steuerklasse 6? Warum werde ich für Fleiß steuerlich bestraft?
Sehr geehrter Herr Rainer,
ich arbeite unter der Woche in Teilzeit im Büro und am Wochenende in Teilzeit in der Pflege. Vor Kurzem habe ich meine Tätigkeit in der Pflege von einem Minijob auf Teilzeit ausgeweitet, da mir diese Arbeit Freude bereitet und ich zugleich eine große Not in diesem Bereich sehe.
Nun verstehe ich nicht, warum ich für diese Teilzeittätigkeit in der Pflege in Steuerklasse 6 fast 50 % Steuern zahlen muss. Können Sie mir das bitte erklären und sagen, ob Sie diese Regelung für gerecht halten?
Ich bitte Sie, nicht mit allgemeinen Phrasen zur Wertschätzung der Pflege zu antworten – die Frage lässt sich genauso auf andere Zweitjobs anwenden. Ich verstehe nicht, warum fleißige Bürger durch die Steuerklasse 6 bestraft werden, während passives Einkommen aus Kapitalanlagen mit maximal 25 % besteuert wird.
Vielen Dank für Ihre Zeit und Ihre Antwort.
Mit freundlichen Grüßen
Stefan N.
Sehr geehrter Herr N.,
vielen Dank für Ihre Nachricht und für Ihre engagierte Arbeit in der Pflege – eine Tätigkeit, die unbestritten von großer gesellschaftlicher Bedeutung ist. Dennoch möchte ich auf Ihre Frage sachlich eingehen, da Wertschätzung für den Pflegeberuf und die steuerlichen Regelungen zwei unterschiedliche Themen sind.
Zu Ihrer Frage: Der Grund für die höhere Abgabenlast auf Ihren Zweitjob liegt in der Funktionsweise der Steuerklassen. Beim ersten Einkommen – also dem Hauptjob – wird der Grundfreibetrag von aktuell 12.000 Euro berücksichtigt. Das bedeutet, dass bis zu dieser Grenze keine Einkommensteuer gezahlt wird. Beim Zweitjob hingegen (in Steuerklasse 6) wird der Grundfreibetrag nicht erneut angewendet, weshalb die Abgaben hier höher ausfallen.
Grundsätzlich gilt zudem: Je mehr man verdient, desto höher wird die Abgabenlast. Dies betrifft sowohl einen einzelnen Job mit hohem Einkommen als auch zwei Jobs, deren Gesamtverdienst ein ähnlich hohes Einkommen ergibt. Der Effekt der Steuerprogression – also der Anstieg des Steuersatzes bei wachsendem Einkommen – ist dabei in beiden Fällen vergleichbar. Ein Teil der gezahlten Steuern lässt sich durch die jährliche Steuererklärung zurückholen– insbesondere, wenn Sie berufliche Aufwendungen oder andere Abzugsbeträge geltend machen. Dennoch überlegen viele Menschen aus diesem Grund, eher einen Minijob als Zweitjob auszuüben, da dieser in der Regel steuerfrei und nicht sozialversicherungspflichtig ist.
Was den Vergleich mit Kapitalanlagen betrifft, möchte ich darauf hinweisen, dass auch hier eine Doppelbesteuerung stattfindet. Gewinne aus Kapitalanlagen stammen oft aus Unternehmenserträgen, die bereits auf Ebene der Kapitalgesellschaft mit Körperschaftssteuer und Gewerbesteuer belastet wurden. Diese Belastungen sind in der Regel ähnlich hoch wie die Steuerabgaben, die auf ein Einkommen aus einem Zweitjob entfallen.
Ich hoffe, diese Erläuterungen helfen Ihnen dabei, die Situation besser einzuordnen.
Mit freundlichen Grüßen
Alois Rainer, MdB