Frage an Alexandra Dinges-Dierig von Christian W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Dinges-Dierig,
vor kurzem wurde ja bekannt, dass die USA (genauer die NSA) den Bundesnachrichtendienst benutzt hat, um deutsche Unternehmen und Politiker zu überwachen, indem sie ihm sogenannte Selektoren mitteilte, die dieser in die Überwachung einbezog.
Da der BND diese Selektoren nicht gegen deutsche Unternehmen und Politiker hätte verwenden dürfen, ist dies eine deutsche Angelegenheit. Weshalb werden dort überhaupt die USA gefragt, ob diese Selektoren dem Bundestag mitgeteilt werden dürfen, anstatt es einfach zu tun? Der BND hat sich nicht an seine Aufgaben gehalten und um das Aufzuklären muss die Liste mitgeteilt werden. Hätten die USA nicht gewollt, dass deren Liste an die Öffentlichkeit kommt, hätten sie den BND nicht entgegen seiner Aufgaben dazu benutzen dürfen um Deutsche zu überwachen. Dies haben sie allerdings getan und müssen dann auch mit einer Aufarbeitung der Angelegenheit rechnen.
In Angesicht der überfassenden Überwachung wie sie durch Edward Snowden bekannt wurden, sehe ich auch nicht mehr ein, weshalb solche Tätigkeiten des BND, welche eindeutig nicht zu seinem Aufgabenbereich gehören und ihm dort selbst klargewesen sein muss, dass er sich im illegalen Bereich und keiner Grauzone befand, im geheimen parlamentarischen Kontrollgremium geklärt werden sollen. Um auch den Bürgern zu zeigen, dass der BND noch einer staatlichen Kontrolle unterliegt und sich nicht straffrei über jedes Gesetz hinwegsetzen kann, sollten solche offensichtlichen Fehler öffentlich aufgearbeitet werden.
Mit freundlichen Grüßen,
Christian Wulff
Sehr geehrter Herr Wulff,
haben Sie vielen Dank für Ihre Frage. Zurzeit wird, auch hier im Parlament, sehr viel über die von Ihnen angesprochene Selektoren-Liste der National Security Agency (NSA) der USA und deren Einspielung in die Systeme des Bundesnachrichtendienstes (BND) gesprochen.
Vorneweg möchte ich, um möglicherweise Missverständnissen vorzubeugen, betonen, dass es sich bei dem von der BND-Einrichtung Bad Aibling aufgefangenem Datenverkehr um Kommunikation aus Krisenregionen, wie etwa Afghanistan, handelt. Die Selektoren dienen dann dazu, die große Menge an Daten, die aus diesen Regionen gesammelt werden, zu filtern und nachrichtendienstlich potentiell relevante Vorgänge zu finden. Es handelt sich also nicht, wie teilweise in Veröffentlichungen suggeriert wird, etwa um ein Abfangen innerdeutschen oder innereuropäischen Datenverkehrs. Natürlich ist dennoch nicht auszuschließen, dass auch die Kommunikation von Europäern in den angesprochenen Gebieten erfasst wird. Außerdem gibt es technische Verfahren, wie Daten von Grundrechtsträgern besonders herausgefiltert und sofort gelöscht werden.
Obwohl also die Anzahl der Fälle, in denen relevante Informationen über etwaige europäische Ziele an die NSA weitergegeben wurden, relativ gering sein dürfte, besteht dennoch erheblicher Aufklärungsbedarf bezüglich der bisherigen Verfahrensweise und etwaiger Fehler seitens der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BND. Dieser Prozess läuft, sowohl im Parlamentarischen Kontrollgremium (PKgr) als auch in einem eigenen Untersuchungsausschuss und dem Plenum des Deutschen Bundestages. Wir haben etablierte Verfahren, durch die sensible Informationen geheim gehalten und gleichzeitig größere Zusammenhänge öffentlich diskutiert werden können. Ich habe vollstes Vertrauen in die Arbeit der zuständigen Parlamentarierinnen und Parlamentarier, insbesondere diejenigen der Koalition.
Den Wunsch, die Selektoren-Liste öffentlich einsehen zu können, kann ich gut verstehen. Leider macht die Arbeit der Nachrichtendienste eine so strenge Geheimhaltung erforderlich, dass insbesondere bei Fehlern schnell Sorgen und Ängste entstehen. Allerdings gibt es gewichtige Gründe, warum die Liste weiter geheim bleiben muss. Deshalb ist mit der Einsetzung eines Ermittlungsbeauftragten ein vernünftiger Mittelweg gefunden worden.
Wie sie den Erläuterungen zur Funktion des Selektoren-Systems entnehmen können, dienen die Selektoren der Aufklärung in Krisenregionen, in denen sowohl Deutschland als auch die USA gemeinsame Schutzinteressen haben. Nicht nur für unsere Soldatinnen und Soldaten, die durch die Aufklärung vor 19 Attentaten geschützt wurden, sondern für unseren gesamten Staat ist es von immenser Wichtigkeit, die Vorgänge in den betroffenen Ländern genau zu kennen. Um die Lage in solchen Gebieten und mögliche Auswirkungen auf Deutschland und das Leben seiner Bevölkerung zu analysieren ist der BND geschaffen worden. Dieser jedoch ist auf die Kooperation mit anderen Nachrichtendiensten angewiesen, denn technisch ist es nicht möglich, überall zeitgleich aufzuklären und zu berichten.
Ihrer Analyse, dass der BND systematisch gegen deutsches Recht, also insbesondere gegen Artikel 10 GG und das G-10-Gesetz verstoßen hat, mag ich jedoch nicht folgen. Sollte es in der Arbeit des BND zu Fehlern gekommen sein, so werden diese im Aufklärungsprozess selbstverständlich ebenfalls Gegenstand sein. Die Aufklärung läuft noch. Ich habe hohes Vertrauen in die Arbeit der parlamentarischen Gremien. Sie sind jahrzehntelang erprobt und dienen, auch durch die Geheimhaltung, dem Schutz deutscher Interessen.
Mit freundlichen Grüßen
Alexandra Dinges-Dierig