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Alexander Ulrich
BSW
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Frage von Leonard E. •

Frage an Alexander Ulrich von Leonard E. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrter Herr Ulrich,

ich denke, dass die Außenpolitik der Linken zukunftsweisend und voll und ganz im Interesse Deutschlands ist, was man von den außenpolitischen Positionen der anderen Parteien im Bundestag nicht behaupten kann.

Den Innenpolitischen Positionen der Linken kann ich hingegen in vielen Punkten nicht zustimmen.

So stellt sich mir die Frage, und das wäre auch eine Frage an Sie, wie es bei aller Sozialhilfe denn zugehen soll, dass Arbeit und Erfolg noch erstrebenswerte Ziele sind, vor allem in den ökonomischen Unterschichten der Bevölkerung, sprich Geringverdiener und/oder Geringqualifizierte? Sind Mindestlöhne in diesem Zusammenhang, von denen die renommiertesten Wirtschaftswissenschaftler nicht überzeugt sind, schon der Wahrheit letzter Schluss bei den Linken?

Ferner, was will die Linke bei aller Feindlichkeit gegenüber der Marktwirtschaft für weiteres Wirtschaftswachstum tun, das ja die Grundlage weiteren Wohlstandes ist?

Mit freundlichen Grüßen
Leonard Euler

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Antwort von
BSW

Sehr geehrter Herr Euler,

Herzlichen Dank für Ihre interessante Zuschrift. Bei vielen Menschen ist es nämlich genau umgekehrt:

Sie teilen viele unserer innen- nicht aber unserer außenpolitischen Positionen. Dies hat häufig auch damit zu tun, dass es in der Außenpolitik ein starkes Meinungskartell gibt, da die Fehlentscheidungen der deutschen Politik nicht im eigenen Lande sichtbar werden. Wir arbeiten daran nachzuweisen, dass die derzeitigen militärische Engagement der Bundeswehr in völkerreechtswidrigen Kriegen die internationale Stabilität, die Sicherheits- und Menschenrechtslage nicht erhöhen sondern verschlimmern.

Zu ihrer Frage:
Selbstverständlich gibt es auch Menschen, den der Anreiz zur Arbeit verloren geht, wenn Sie durch Arbeitslosigkeit die Motivation verlieren. Deswegen verursacht dauerhafte Arbeitslosigkeit enorme gesellschaftliche Kosten, Talente werden vergeudet. Der sprunghafte und weltweite Anstieg der Massenarbeitslosigkeit Mitte der 1970er Jahre läst sich jedoch nicht damit erklären. Er hat vielmehr mit einer Abkehr von einer wachstums- und beschäftigungfördernden Wirtschaftspolitik sowie einem Wandel der Industriestruktur (insbes. höherer Qualifikationserfordernisse) zu tun. Ein deutlicher Beitrag zur Verringerung der Arbeitslosigekeit sind eine angemessene Lohn-,Geld- und Fiskalpolitik.

Lohnpolitik:
Die Löhne bleiben in Deutschland seit langem weit hinter dem Produktivitätszuwachs bzw. den zusätzlich produzierten Waren & Dienstleistungen zurück. Daher fehlt es den Unternehmen an Nachfrage und damit an Investitionsanreizen. Der Mindestlohn (den es in vielen unserer Nachbarländern gibt, etwa Frankreich mit 8,77 Euro) soll nur Schlimmeres verhindern. Er wird u.a. vom Mitglied des wirtschaftswissenschaftlichen Sachverständigenrats Prof. Bofinger oder dem Chefökonomen der Welthandels- und Entwicklungskonferenz der Vereinten Nationen (UNCTAD) Dr. Flassbeck unterstützt. Leider ist die deutsche Wirtschaftswissenschaft seit Mitte der 1970er Jahre überwiegend durch Arbeitgeberintressen geprägt, auch dies ist eine deutsche Besonderheit.

Die skandinavischen Länder betreiben eine sehr erfolgreiche nachfrageorientierte Politik. Dort gibt es keine Mindestlöhne, da die Balance zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften gewährleistet ist. Niedriglöhne werden durch die starke Position der Gewerkschaften verhindert. Dies führt dazu, dass Unternehmen stärker in neue Verfahren und Maschinen investieren (statt auf Subvention durch billige Arbeit zu setzen) und Arbeitnehmer qualifiziertere Tätigkeiten ausüben. Das Wachstum ist langfristig höher und die Arbeitslosigkeit geringer. Dort herrscht die Überzeugung: Die wenigen Unternehmen die sich angemessene Löhne wirklich nicht leisten können, sollen den Markt zu Gunsten produktiverer Unternehmen räumen. Doch diese erfolgreiche Politik wurde in jüngster Zeit auf Grundlage der geltenden (und von uns zu Gunsten einer sozialstaatlichen Verfassung für Europa kritisierten) europäischen Verträge durch den Europäischen Gerichtshof ausgehebelt. Er urteilte (in der Rechtsaache Fall Laval), die Freizügigkeit von Unternehmen höher zu bewerten sei, als das streikrecht zur Durchsetzung von Tarifverträgen.

Geldpolitik:
Die Hochzinspolitik der EZB hat Investitionen verteuert und (dies ist wohl auch der eigentliche Grund) die Verhandlungsmacht der Beschäftigten bei Lohnrunden durch Arbeitslosigkeit geschwächt.

Fiskalpolitik:
Da der Staat hohe Vermögen, Gewinne und Einkommen immer stärker entlastet, Arbeitseinkommen immer stärker belastet und seine Investitionen (etwa in Bildung) einschränkt, fehlt es an Nachfrage für Waren und Dienstleistungen der Unternehmen (insbes. in einer großen Volkswirtschaft mit entsprechendem Binnenmarkt).

Fazit:
Dies alles schadet vor allem der Binnenwirtschaft, während sich die Exportindustrie durch günstige Lohnstückkosten Nachfrage auf Auslandsmärkten organisiert. D.h. Deutschland profitiert auf Kosten anderer Länder von der dortigen Wachstums- und Beschäftigungsdynamik. Der Aufschwung bleibt daher immer auf den Exportsektor beschränkt und ist anfällig für die Entwicklung der Weltwirtschaft.

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung kommt zu dem Schluss, dass der ungerechtfertigte Bezug von Sozialleistungen nur auf etwa 3 Prozent der Leistungsempfänger zutrifft. Die meisten Menschen wollen arbeiten, finden aber keine angemessene Arbeit oder es fehlt ihnen an der notwendigen Unterstützung zur Qualifizierung.

Ich hoffe, diese Argumente können Sie vielleicht ein Wenig umstimmen. Meine Fraktionskollegen Dr. Axel Troost und Prof. Herbert Schui (fianz- und wirtschaftspolitische Sprecher) haben hierzu ein sehr interessantes Homepageangebot.

Es grüßt Sie herzlich,

Alexander Ulrich

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