Frage an Alexander Ulrich von Ass. iur. Annette B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Ulrich,
ich frage Sie als Mitglied des EU-Ausschusses und Parteimitglied Die Linke zum Thema FRONTEX:
Wie wird die Kontrolle von Frontex bei der menschenrechtsverachtenden Abwehr von Migranten an den EU-Mittelmeergrenzen sichergestellt?
Gibt es über die gelegentliche Anfrage einzelner Parlamentarier hinaus eine organisierte und ständige Kontrolle von Frontex? Mir ist klar, dass die Form der "Agentur" gewählt wurde, um demokratische Kontrollinstrumente zu umgehen. Umso mehr muss es Aufgabe des einzelnen Parlamentariers (und Bürgers) sein, diese einzufordern. Wie wird das gewährleistet?
Wie reagiert die EU auf Menschenrechtsverstöße und Tötungen von Flüchtlingen durch Mitarbeiter und/oder Subunternehmer von Frontex? Findet eine Beobachtung der Geschehnisse vor Ort statt?
Wieso ist die personelle Besetzung von Frontex (abgesehen von Laitinen und Arias Fernandez) nicht über die Website recherchierbar? Wer leitet die Abteilung "Operations", die u.a. für "return operations", mithin Deportationen zuständig ist?
Frontex wurde und wird insbesondere auf Veranlassung der BRD bzw. Herrn Schäuble initiiert und weiter vorangetrieben, um die von vor allem von Deutschland gewünschte Abwehr und Deportation von Flüchtlingen organisierter durchführen zu können. Können Sie Anlaufstellen/Ansprechpartner in Europäischen Mitgliedsstaaten nennen bzw. Initiativen nennen, die an einer Bekämpfung und Kontrolle der EU-Flüchtlingsabwehr interessiert sind, so dass Zusammenschlüsse erarbeitet werden können, um Kräfte zu bündeln?
Was kann und sollte der einzelne Bürger Ihrer Meinung nach tun, um gegen Menschenrechtsverletzungen und Tötungen bei der Abwehr von Migranten an den EU-Mittelmeergrenzen vorzugehen?
Ich danke Ihnen bereits jetzt für Ihre Antwort.
Mit freundlichen Grüßen
Annette Böcker
Sehr geehrte Frau Böcker.
Zuerst möchte ich mich dafür entschuldigen, erst jetzt auf ihre Anfragen vom 12.02.2007 zu antworten.
Es gibt keinerlei echte parlamentarische Kontrolle von Frontex. Die Konstruktion des Verwaltungsrates, der das zentrale Steuerungs- und Kontrollorgan ist, setzt sich aus je einem Vertreter der Mitgliedsstaaten (aus den entsprechenden nationalen Verwaltungen kommend) und zwei Vertretern der EU-Kommission zusammen. Frontex ist eine eigene Rechtspersönlichkeit und besitzt darüber hinaus "Informationshoheit". Der Verwaltungsrat bestimmt also selbst, welche Informationen über ihre Arbeit nach außen gegeben werden.
Eine geringe Rolle kann das Europäische Parlament über die Haushaltsberatungen ausüben, es wird aber nur pauschal ein bestimmter Betrag beschlossen.
Vor diesem Hintergrund ist eine echte Kontrolle von Frotex weder durch die Parlamente noch durch einzelne Abgeordnete möglich. Fragen von unserer Seite können sich höchstens auf die Zahl und die Dienstgrade abgestellter deutscher Beamter und die Rechtsgrundlagen ihres Handelns beziehen. Dies ist auch bereits geschehen, aber eben nur auf die nationalen Beamten beschränkt. Wer welche Abteilungen leitet, mit wem im Konkreten eine Zusammenarbeit stattfindet lässt sich nur schwer herausfinden.
Es gibt immer wieder Versuche, zur Gründung europäischer Zusammenschlüsse, teils von MigrantInnen, teils von flüchtlingspol. Aktivisten ( www.noborder.org oder www.no-racism.net ). Leider sind solche Vernetzungen von einer gewissen Kurzlebigkeit geprägt, da sie in hohem Maße vom Engagement einzelner Aktivisten abhängig sind.
Als Einzelner steht man einem vielfach überlegenen Apparat gegenüber. Gezielt auf einzelne Schicksale von Menschen hinzuweisen gehört dabei zu unserem täglichen Tun. Die herrschende Meinung im Parlament sieht aber die vielen ertrunkenen, verhungerten und verdursteten Menschen nicht als Opfer dieser Politik der Abschottung an, sondern Schlepperbanden. Aber deren Geschäftsgrundlage ist genau diese Abschottung!
Das soll aber nicht davon abhalten, möglichst viele Menschen von den skandalösen Zuständen an den Ost- und Südgrenzen der EU und in den Abschiebelagern dort zu informieren, um auch in diesen Fragen für andere politische Mehrheiten zu werben. Daneben bleibt nur das Engagement bei menschenrechts- und karitativen Gruppen vor Ort, die sich für die Insassen von Flüchtlingslagern, ihre medizinische Versorgung oder die Betreuung von verwaisten Kindern engagieren.
Mit freundlichen Grüßen
Alexander Ulrich