Frage an Alexander Ulrich von Johannes K. bezüglich Landwirtschaft und Ernährung
Sehr geehrter Herr Ulrich,
uns Milcherzeugern steht das Wasser bis zum Hals. Auch in ihrer Heimat sieht es nicht besser aus als bei uns in Bayern.
Ihre Partei steht für sozialen Ausgleich und Gerechtigkeit.
Welche Vorschläge, Gesetzesentwürfe planen DIE LINKEN in nächster Zeit, um die Missstände der derzeitigen Form der Milchmengenregelung zu ändern?
Können sie sich vorstelllen, dass eine europaweit am Markt angepasste Milchmengenregelung für stabile Erzeugerpreise sorgen kann?
Dient ihrer Meinung nach die bäuerliche Landwirtschaft noch als Stüze des ländlichen Raumes, oder müssen andere Modelle her?
Dank schon im Voraus für die Beantwortung meiner Fragen.
Johannes Krumbachner
Sehr geehrter Herr Krumbachner,
herzlichen Dank für Ihre Frage zur Milchpolitik.
Ich stimme Ihnen vollkommen zu: Die Situation am Milchmarkt ist nicht akzeptabel! Und daran hat die Politik einen großen Anteil: Die Dramatik in der Milchpreisentwicklung war leider absehbar und politische Entscheidungen in Brüssel und Berlin haben sie weiter verschärft. Vor der Himmelfahrtswoche haben das hunderte Bäuerinnen völlig zu Recht in Berlin vor dem Kanzleramt eindrucksvoll deutlich gemacht. Nicht nur in Deutschland - auch in Frankreich -finden massive Proteste der Milchbäuerinnen und Milchbauern statt. In Brüssel muss endlich erkannt werden, dass in ganz Europa die Milchwirtschaft unter dem Preisverfall leidet!
Um es deutlich zu sagen: Es waren politische Entscheidungen, die dafür mitverantwortlich sind, dass sich die aktuellen Rahmenbedingungen für viele Milchviehbetriebe dramatisch verschlechtert haben. Dieselben Rahmenbedingungen bringen auch andere landwirtschaftliche Produktionszweige erheblich unter Druck, weil keine kostendeckenden Preise mehr erzielt werden können.
Die europaweite Erhöhung der Milchquoten hat dazu beigetragen, dass die Unterschiede zwischen Angebotsmenge und Nachfrage noch größer werden ? ob nun in der Realität oder als politisches Signal. Italien ist für die Überlieferung in der Vergangenheit durch eine Extra-Erhöhung der Milchquoten noch belohnt worden. Der ?Erfolg? aus Sicht der EU ? Kommission ist eingetreten: Die Preise für Milchquoten stürzen ab, damit wird die Quote entwertet. De facto läuft das auf eine kalte Enteignung hinaus. Zunehmend werden Landwirtschaftsbetriebe zum Aufgeben der Milchviehhaltung genötigt - so stellt sich die EU-Kommission die Bereinigung der ?Angebotsseite? vor. Statt der immer wieder angekündigten ?Sanften Landung? zur Abschaffung des Quotensystems ist das eine ?Bruch-Landung?, bei der viele ihre Existenz verlieren werden.
Die Argumente für die Sicherung der Milchproduktion in allen Regionen wie der Erhalt eines sehr wichtigen Elements der Kulturlandschaft oder hunderttausender Arbeitsplätze oder der Grünlandnutzung spielen für die EU ? Kommission und die sie stützenden politischen Mehrheiten keine Rolle, denn für sie gibt es vor allem ein Ziel: der Weltagrarmarkt, auf den sich die einheimischen Betriebe ausrichten sollen, obwohl sich gerade zeigt, dass er hochspekulativ und damit hochriskant ist und ökologische oder soziale Leistungen im Interesse der gesamten Gesellschaft nicht berücksichtigt. Außerdem stellt sich sehr ernsthaft die Frage, ob unsere einheimischen Milchviehbetriebe überhaupt gegen die klimatischen und logistischen Vorteile Neuseelands oder Australiens mithalten können ? aus meiner Sicht steht noch konsequenter die Frage, warum wir da überhaupt mithalten wollen! Aber auch die AgrarministerInnen der Mitgliedsländer und auch der Bundesländer haben mit großer Mehrheit für eine Umsetzung der EU ? Beschlüsse gestimmt. Die Bundesregierung hat zwar zunächst Widerstand geleistet, aber als der Beschluss dann gefasst war wurden mögliche Kompensationsmaßnahmen abgelehnt, mit denen die zusätzliche Milchmenge nicht oder nicht vollständig auf den Markt gelangt wäre, wie zum Beispiel die Abschaffung der (Molkerei-)Saldierung oder die Übergabe in die ?nationale Reserve?. Alle Vorschläge zur Milchmengenbegrenzung auf der Erzeugerseite wurden ignoriert. Die Milch-Exportstrategie der Bundesregierung ist der einzige ? und aus Sicht der LINKEN untaugliche - Lösungsvorschlag seitens der Bundesregierung, der sich überhaupt ernsthaft mit dem Angebot-Nachfrage-Problem bei der Milch auseinandersetzt. Schon jetzt ist klar, dass diese Strategie nicht funktionieren kann. Im Wettbewerb um die billigsten Produktionsbedingungen können die Bäuerinnen und Bauern in Deutschland und Europa nicht mithalten. Auch Milch-Exportsubventionen sind keine Lösung, im Gegenteil: sie fördern den Dumpingwettbewerb und bedrohen die Existenzen landwirtschaftlicher Betriebe in vielen anderen Teilen der Welt. Unter den durch die Welthandelsorganisation (WTO) und der Europäischen Kommission fixierten Wettbewerbsbedingungen werden letztlich zehntausende, europaweit womöglich hunderttausende Existenzen bedroht bzw. vernichtet. Damit werden hunderttausende Arbeitsplätze gefährdet und in vielen Regionen der Entwicklung in den ländlichen Räumen geschadet. Dieses ist eine Agrarpolitik, die die LINKE ablehnt. Wir unterstützen daher alle Forderungen die dazu beitragen, zu gerechten Erzeugerpreisen zu kommen. Einige Vorschläge sind in Ihren Fragen bereits enthalten. Ein Mengensteuerungssystem, mit dem sich die Milcherzeugung stärker an der Nachfrage orientiert, kann dazu beitragen, dürfte aber unter den aktuellen politischen Rahmenbedingungen wohl nur auf europäischer Ebene erreichbar sein. Hier müssen gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen werden, die einem politischen Ziel dienen: wie beim Wein gehört die Milch zu einem Kulturgut, dass prägenden Charakter für viele Regionen hat und das dazu beiträgt, viele soziale und ökologische Leistungen im Interesse der gesamten Gesellschaft zu erbringen. Deshalb macht eine flächendeckende Milcherzeugung mit Rückkopplung auf die Nachfrage Sinn. Die erpresserische Position von Lebensmitteleinzelhandel und Molkereien gegenüber den Erzeugerbetrieben muss durch Stärkung der Rechte der Milcherzeuger beendet werden! Die LINKE setzt sich für einen agrarpolitischen Richtungswechsel ein. Weg vom unregulierten, auf Dumpingpreise orientierten Weltagrarmarkt, hin zu einer Stabilisierung der regionalen Märkte mit kostendeckenden Erzeugerpreisen. Wir wollen aus sozialen und ökologischen Gründen eine Milchproduktion in den Regionen halten, die sich an der Nachfrage orientiert. Dazu wird dringend mehr Wertschöpfung durch Verarbeitung und Veredelung gebraucht ? am besten in den Regionen selbst. Neue Verarbeitungs- und Vermarktungsstrukturen sind also erforderlich.
Ein alternatives, an der wirklichen Nachfrage orientiertes Mengenregulierungssystem kann aus unserer Sicht zu kostendeckenden Preisen beitragen. Darüber hinaus brauchen wir weitere begleitende Maßnahmen, zum Beispiel eine (kartell-) rechtliche Stärkung der Erzeugerbetriebe gegenüber den Verarbeitern und dem Handel, Bündelungsstrukturen auf der Angebotsseite und zielgenauere Förderinstrumente in der Agrarförderung mit gesellschaftlich gewollter Steuerwirkung. Sollte dazu das Kartellrecht geändert werden müssen, so werden wir dazu in der kommenden Legislaturperiode nach der Bundestagswahl Vorschläge unterbreiten. Für DIE LINKE ist klar: Auch eine Milcherzeugerin oder ein Milcherzeuger muss von der Arbeit leben können! Das gilt sowohl für bäuerliche, als auch für andere landwirtschaftliche Betriebe.
Mit freundlichen Grüßen
Alexander Ulrich