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SPD knickt ein und veröffentlicht nun doch ihre Lobbykontakte

Aus Datenschutzgründen könne man seine Lobbykontakte nicht herausgeben, behauptet die SPD seit über einem Jahr. Nun die Kehrtwende: Auf unseren öffentlichen Druck hin hat die Fraktion vollkommen überraschend die Namen von Lobbyisten offengelegt, denen sie einen Bundestagshausausweis verschafft hat - u.a. Rüstungskonzernen, Strommultis sowie Facebook.

von Martin Reyher, 22.10.2015

 

Nun also doch. Seit über einem Jahr weigert sich die SPD, abgeordnetenwatch.de die Namen von Lobbyisten zu nennen, denen sie Zugang zum Deutschen Bundestag verschafft hat. "Sie werden Verständnis dafür haben, dass wir aus datenschutzrechtlichen Gründen keine näheren Angaben machen können," schrieb die Parlamentarische Geschäftsführerin Christine Lambrecht am 15. April 2014 auf abgeordnetenwatch.de-Anfrage. Auch von einem Gerichtsurteil, das wir im Juni mit unserer Klage erwirkt haben, ließ sich die SPD nicht beeindrucken.

Jetzt hat die SPD-Fraktion vollkommen überraschend mitgeteilt, welchen Lobbyisten sie einen Bundestagshausausweis bewilligt hat. Am Morgen kursierten unter Hauptstadtjournalisten zwei Lobby-Listen, die von der SPD-Bundestagsfraktion in Umlauf gebracht worden waren. Die eine enthält die Namen von 260 Unternehmen, Verbänden und Organisationen, denen die SPD 2014 einen Zugang zum Bundestag bewilligt hatte, die andere bezieht sich auf das aktuelle Jahr.

Deren Inhalt ist äußerst aufschlussreich. Insgesamt 218 Hausausweise hat die Fraktion im laufenden Jahr bewilligt. Dass die meisten von ihnen an Vertreter des SPD-Parteivorstandes (insg. 75), die parteinahe Friedrich-Ebert-Stiftung (36) und den Vorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes (17) gingen, ist nicht allzu überraschend. Interessent ist allerdings, welche Unternehmen von den Sozialdemokraten einen Bundestagshausausweis erhalten haben:

  • die Rüstungskonzerne Rheinmetall AG und ThyssenKrupp Marine Systems (je ein Hausausweis)
  • die Energiemultis E.ON und RWE (je ein Hausausweis)
  • die Deutsche Telekom AG (ein Hausausweis)
  • die Barmer GEK-Versicherung (ein Hausausweis)
  • die Lufthansa AG (ein Hausausweis)

Aufgeführt werden in der Lobbyisten-Liste für 2015 außerdem ein Hausausweisinhaber aus dem Bereich "Kommunikation & Strategie", wobei offen bleibt, wer sich hinter dieser Bezeichnung verbirgt, sowie ein "Dienstleister Kommunikationsagentur". Auch namentlich nicht genannte "Berater" der früheren SPD-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt sowie von SPD-Fraktionsize Hubertus Heil sind Inhaber eines Hausausweises. In der Liste für 2014 tauchen außerdem die Shell AG, der Branchenverband Bitkom, die Deutsche Post AG, der Verband der forschenden Pharmaunternehmen und Facebook auf.

Infolge der abgeordnetenwatch.de-Recherche zu den Lobbyisten-Hausausweisen haben nun SPD, Linksfraktion und Grüne freiwillig offengelegt, welchen Interessenvertretern sie Zugang zum Deutschen Bundestag gewährt haben. Die Union weigert sich weiterhin beharrlich.

Ob auch CDU und CSU ihre Lobbykontakte am Ende offenlegen müssen, wird derzeit vor Gericht geklärt. abgeordnetenwatch.de hatte die Bundestagsverwaltung darauf verklagt, die Namen aller Interessenvertreter mit Hausausweis zu veröffentlichten. Das Berliner Verwaltungsgericht gab uns zwar im Juni 2015 in allen Punkten recht, doch gegen dieses Urteil ist die Bundestagsverwaltung nun in Berufung gegangen. Die treibende Kraft hinter der Berufung waren übrigens CDU/CSU und SPD.

Dass nun zumindest die SPD ihre vehemente Transparenzblockade aufgegeben hat, ist das Ergebnis unserer Arbeit in den letzten Wochen und Monaten. Jetzt steht uns ein langwieriger Gerichtsprozess bevor, um auch die Lobbykontakte der Union öffentlich zu machen. Die CDU/CSU-Fraktion dürfte mehr als 500 Lobbyisten Zugang zum Deutschen Bundestag gewährt haben.

Insgesamt verfügen laut Bundestagsverwaltung rund 1.000 Interessenvertreter über einen Hausausweis, den sie mit Bewilligung der Fraktionen erhalten haben. Hierbei handelt es sich um einen inoffiziellen Weg, der bislang weitgehend unbekannt war und der vergangenes Jahr von abgeordnetenwatch.de öffentlich gemacht wurde. Daneben gibt es einen offiziellen Weg über das Verbänderegister des Deutschen Bundestages, in dem sich Interessenverbände registrieren können. Auf diese Weise haben 2014 etwa 1.300 Lobbyisten einen Hausausweis bekommen.

SPD-Lobbyliste für 2014 (pdf)

SPD-Lobbyliste für 2015 (pdf)


Update I: Über die plötzliche Kehrtwende der SPD berichtet auch SZ.de.

Update II: Nun hat sich auch die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD, Christine Lambrecht, zu der Veröffentlichung geäußert. Die Süddeutsche Zeitung schreibt: "Lambrecht verteidigte am Donnerstag das Verhalten der SPD-Fraktion. Sie sagte der Süddeutschen Zeitung: "Wir haben zusammen mit der Union durchgesetzt, dass der Bundestag gegen das Abgeordnetenwatch-Urteil in Berufung geht, weil wir eine grundsätzliche Klärung wünschen, welche Informationen nach dem Informationsfreiheitsgesetz preisgegeben werden müssen." Als "Zeichen der Transparenz" habe die SPD-Fraktion ihre "eigene Liste freiwillig schon jetzt veröffentlicht". Die Grünen kritisierten das Verhalten der SPD trotzdem. Deren parlamentarische Geschäftsführerin Britta Haßelmann sagte, statt für Transparenz zu sorgen, würden Union und SPD durch das Berufungsverfahren weiter die Veröffentlichung sämtlicher Hausausweise für Lobbyisten blockieren." Laut SZ will die SPD-Fraktion bereits vergangene Woche in ihrem Internetauftritt eine Liste der Lobby-Organisationen eingestellt haben.

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