Selten wurde so viel über Interessenskonflikte, Korruption und Lobbyismus gesprochen wie in den vergangenen Monaten. SPD, Grüne und FDP haben darauf reagiert: Im Regierungsprogramm der Ampel sind Transparenz und Korruptionsbekämpfung prominenter vertreten als in vorherigen Koalitionsverträgen. Zugleich fehlen wichtige Maßnahmen, die in der kommenden Legislaturperiode nicht unter den Teppich gekehrt werden dürfen.
Wir haben den Vertrag unter die Lupe genommen – hier eine erste Einordnung:
Mehr Transparenz im Gesetzesprozess
Die Ampel will einen sogenannten Lobby-Fußabdruck für Gesetzesvorhaben einführen. Dazu heißt es im Koalitionsvertrag:
- „Für Gesetzentwürfe der Bundesregierung und aus dem Bundestag werden wir Einflüsse Dritter im Rahmen der Vorbereitung von Gesetzesvorhaben und bei der Erstellung von Gesetzentwürfen umfassend offenlegen (sog.Fußabdruck). Die Regelung findet ihre Grenzen in der Freiheit des Mandats.“
Mit dem Fußabdruck soll transparent gemacht werden, welche Lobbyist:innen auf einen Gesetzentwurf Einfluss genommen haben. In der Vergangenheit kam es beispielsweise immer wieder vor, dass ganze Passagen in Gesetzen von Dritten geschrieben wurden. So etwas würde mit dem Fußabdruck sofort sichtbar.
Sofern der Fußabdruck konsequent eingeführt wird, kann er zu einem Meilenstein für mehr Transparenz im Gesetzgebungsprozess werden. Doch jetzt kommt es auf die konkrete Umsetzung an. Schlupflöcher müssen verhindert werden. Es bleibt abzuwarten, wie der Fußabdruck in Praxis aussehen wird.
Und: Um den Einfluss von Lobbyismus auf die Politik in Gänze nachvollziehbar zu machen, reicht ein Fußabdruck für Gesetze nicht aus. Denn auch wenn es nicht um Gesetze geht, sondern um andere politische Anliegen, versuchen Lobbyakteur:innen Abgeordnete und Ministerien zu beeinflussen. Die Lösung wäre eine umfassende Kontakttransparenz, also die Offenlegung sämtlicher Kontakte zwischen Lobbyist:innen und dem Bundestag bzw. der Bundesregierung.
Das Lobbyregister soll nachgeschärft werden – aber nur ein bisschen
Die Ampel will das unzureichende Lobbyregistergesetz der Großen Koalition noch einmal überarbeiten. Dazu steht im Regierungsprogramm:
- „Wir werden das Lobbyregistergesetz nachschärfen, Kontakte zu Ministerien ab Referentenebene einbeziehen und den Kreis der eintragungspflichtigen Interessenvertretungen grundrechtsschonend und differenziert erweitern.“
Bisher müssen sich Lobbyist:innen erst dann im Lobbyregister eintragen, wenn sie mit der Leitungsebene in Kontakt treten wollen, also mit Minister:innen oder Staatssekretär:innen. Alle Ebenen darunter sind ausgenommen. Die Ampel will diese Einschränkung abschaffen und alle Mitarbeiter:innen ab Referatsebene einbeziehen – also auch die Arbeitsebene, auf der Gesetze maßgeblich entstehen.
Zusätzlich deutet die Ampel an, Ausnahmen abschaffen zu wollen. Bisher müssen sich etwa Religionsgemeinschaften sowie Gewerkschaften und Arbeitgebervertretungen nicht als Lobbyist:innen registrieren lassen. Welche Ausnahmen das betrifft, bleibt offen.
Doch die gravierendste Schwachstelle im GroKo-Gesetz, nämlich die Offenlegung von Lobbytreffen, erwähnt der Koalitionsvertrag nicht explizit. Erfahren wir künftig, wer mit wem über was redet? Dazu wäre es nötig, dass Lobbytreffen mit Abgeordneten oder Regierungsmitgliedern nicht nur einen Eintrag im Lobbyregister voraussetzen, sondern auch, dass diese Kontaktaufnahmen von Lobbyist:innen öffentlich gemacht werden. Sonst bleibt das Lobbyregister eine reine Lobbyist:innen-Namensliste.
Keine unabhängige Kontrolle
Eine weitere Leerstelle: Eine unabhängige Prüfinstanz für die Bereiche Transparenz, Lobbyregister und Parteifinanzen ist nicht vorgesehen.
- Stattdessen soll lediglich „die Bundestagsverwaltung […] für ihre Aufsichts- und Kontrollfunktion in den Bereichen Transparenz und Parteienfinanzierung personell und finanziell besser ausgestattet“ werden.
Auch wenn nichts dagegen spricht, die Bundestagsverwaltung besser auszustatten – dieser Absatz zeigt, dass die Ampel die Aufsichtsfunktion weiterhin klar bei der Bundestagsverwaltung verortet. abgeordnetenwatch.de schlägt stattdessen vor, dass eine neutrale Stelle für die Einhaltung der Verhaltensregeln von Abgeordneten sorgt und die Rechenschaftsberichte der Parteien prüft – ähnlich wie es in der EU seit kurzem der Fall ist.
Der Straftatbestand der Abgeordnetenbestechung soll wirksamer werden
Zu diesem Punkt kündigt die Ampel an:
- „Wir werden den Straftatbestand der Abgeordnetenbestechung und -bestechlichkeit wirksamer ausgestalten.“
Erst in der vergangenen Woche wurde bekannt, dass die langjährigen CSU-Abgeordneten Alfred Sauter und Georg Nüßlein trotz ihrer Rolle in der Maskenaffäre wahrscheinlich straffrei davon kommen. Der Fall zeigt erneut, dass der Kauf von Einfluss auf Abgeordnete in Deutschland zu weiten Teilen legal ist. abgeordnetenwatch.de dringt seit Jahren auf eine Reform des entsprechenden Paragraphen 108e im Strafgesetzbuch. Welche Schlupflöcher es in einem Gesetzentwurf zu vermeiden gilt, haben wir in unserer Petition zusammengefasst (hier unterschrieben).
Parteisponsoring wird transparenter
Wie schon lange gefordert, sollen Parteien künftig auch Sponsoring offenlegen:
- „Parteiensponsoring werden wir ab einer Bagatellgrenze veröffentlichungspflichtig machen.“
Zum Sponsoring gehören etwa Einnahmen von Lobbyständen auf Parteitagen. Bisher erfährt die Öffentlichkeit nicht, wie viel Geld von Unternehmen auf diese Weise an Parteien fließt. abgeordnetenwatch.de schlägt vor, dass Sponsoring Parteispenden gleichgestellt wird.
Davon abgesehen lässt der Koalitionsvertrag beim Thema Parteispenden wenig Mut erkennen: Unternehmensspenden an Parteien bleiben weiterhin erlaubt und eine Obergrenze für Parteispenden ist nicht vorgesehen. Allerdings soll die Grenze, ab der Parteispenden sofort offengelegt werden müssen, leicht herabgesetzt werden.
Abgeordnete geben Transparenz-Versprechen ab
- Tabelle durchsuchen: Die Versprechen aller Abgeordneten
- Vergleich: Wie positionieren sich die Fraktionen
- Nachschauen: Welche Versprechen gibt mein:e Wahlkreis-Vertreter:in ab
Ein Koalitionsvertrag ist natürlich nicht bindend, sondern lediglich richtungsweisend. Viele wichtige Entscheidungen werden auf der Fachebene im Bundestag getroffen. Wir werden die künftige Regierung daran messen, welche ihrer Ziele sie wirklich erfüllt. Außerdem werden wir weiterhin Druck machen, dass die fehlenden Maßnahmen nicht unter den Tisch fallen.
Hierbei werden wir auch auf das Transparenz-Versprechen zurückgreifen. An dieser Aktion haben 291 Bundestagsabgeordnete teilgenommen. Sie verpflichten sich damit, unter anderem bessere Gesetze voranzubringen und selbst transparent zu arbeiten. Über die Hälfte der Ampel-Abgeordneten hat mindestens eines der fünf Versprechen abgegeben. Bei den Grünen sind es sogar 74% und bei der SPD 61%. Darauf werden wir bauen.
Alle 176 Seiten des Koalitionsvertrags lassen sich hier nachlesen: https://fragdenstaat.de/dokumente/142083-koalitionsvertrag-2021-2025/#page-1. Die hier zitierten Passagen finden sich auf den Seite 10-11.