Wieder einmal: MdBs melden Nebentätigkeit erst dann, wenn jemand nachfragt

Nach den Transparenzpflichten des Bundestages müssen Abgeordnete ihre Nebentätigkeiten zeitnah melden, doch einige halten das offenbar für eine unverbindliche Handlungsempfehlung: Wieder einmal haben Volksvertreter ihren Nebenjob erst dann veröffentlicht, als zufällig jemand nachfragte. Und wieder einmal dürften die Verstöße gegen die Verhaltensregeln keinerlei Konsequenzen nach sich ziehen.

von Martin Reyher, 17.11.2014

Kürzlich plauderte der (reale) Lobbyist Peter Spary in der ZDF heute-show ausgiebig über seine Kontakte zu den "Jungs" aus dem Bundestag. Spary kennt eine Menge Volksvertreter, was unter anderem daran liegt, dass viele von ihnen nebenher für Interessenverbände tätig sind, für die auch Spary arbeitet. Zum Beispiel der Europaverband der Selbständigen - Deutschland e.V., dessen Vizepräsident der redselige Lobbyist ist.

Wie sich im Zuge der abgeordnetenwatch.de-Recherche zu Sparys Auftraggebern herausstellte, sitzen im Parlamentarischen Beirat der Organisation insgesamt sieben Bundestagsabgeordnete aus allen Fraktionen. Nur: Die Öffentlichkeit wußte davon bislang nichts. Auf der Bundestagshomepage war der Beiratsposten bei keinem der Volksvertreter aufgeführt, ihre meldepflichtigen Nebentätigkeiten gingen bis dato lediglich aus einer Übersicht auf der Webseite des Lobbyverbandes hervor.

Nebentätigkeit hätten bis spätestens September gemeldet werden müssen

Wieso aber fehlten die verpflichtenden Angaben, die nach den Verhaltensregeln des Deutschen Bundestages spätestens Anfang September (drei Monate nach der konstituierenden Beiratssitzung am 5. Juni 2014) bei Bundestagspräsident Norbert Lammert hätten eingehen müssen?

abgeordnetenwatch.de hat diese Frage am 7. November per Mail an die betroffenen Abgeordneten gestellt.

Der CDU-Politiker Mark Helfrich antwortete: "Vielen Dank für Ihre Anfrage. Ich habe diese zum Anlass genommen bei der Bundestagsverwaltung darauf hinzuwirken, dass meine bestehende Mitgliedschaft und ehrenamtliche Tätigkeit im Parlamentarischen Beirat des Europaverbandes der Selbständigen - Deutschland (ESD) e.V. veröffentlicht wird."

Der Grünen-Abgeordnete Markus Tressel ließ über eine Mitarbeiterin ausrichten: "In der Tat ist die ehrenamtliche Mitgliedschaft von Herrn Tressel in dem Beirat noch nicht aufgeführt. Durch ein Versehen in der Sommerpause des Bundestags ist die Meldung an die Bundestagsverwaltung zu spät erfolgt. Zwischenzeitlich ist die Mitgliedschaft ordnungsgemäß gemeldet und wird zeitnah erscheinen."

Eine Mitarbeiterin der SPD-Bundestagsabgeordneten Gabriele Groneberg meldete sich telefonisch und wies u.a. darauf hin, dass Groneberg in den Bundestag nachgerückt sei. Das allerdings war im Februar.

Zwei Volksvertreter haben die Nebentätigkeit bis heute nicht gemeldet

Die Abgeordneten Karl Holmeier (CSU) und Dieter Dehm* (Linke) hielten es bislang weder für nötig, auf die abgeordnetenwatch.de-Anfrage vom 7. November zu reagieren noch eine zeitnahe Veröffentlichung ihrer Nebentätigkeit auf der Bundestagshomepage zu veranlassen (Stand: 17.11., 14h). Der SPD-Parlamentarier Christian Petry blieb ebenfalls eine Antwort schuldig, hat seine Beiratstätigkeit beim Europaverband der Selbständigen inzwischen aber immerhin öffentlich gemacht. Georg Kippels von der CDU hat seine Nebentätigkeit ebenfalls bei der Bundestagsverwaltung nachgemeldet, wie er abgeordnetenwatch.de vergangene Woche über eine Mitarbeiterin ausrichten ließ.**

Es ist nicht das erste Mal, dass einige Volksvertreter die Verhaltensregeln offenbar als unverbindliche Handlungsempfehlung denn als verbindlich geltende Richtlinie auslegen.

  • 2012 meldete CDU-Fraktionsvize Michael Fuchs einen Vorstandsposten bei der Außenhandelskammer in Hongkong erst, als ein Bürger auf abgeordnetenwatch.de wiederholt öffentlich Druck machte. Zunächst hatte der CDU-Politiker noch die (Falsch)-Behauptung aufgestellt, die Tätigkeit sei überhaupt nicht meldepflichtig.
  • Fuchs wurde 2009 außerdem dabei ertappt, wie er eine Mitgliedschaft im Beirat der Politikberatungsfirma PKS Wirtschafts- und Politikberatungs GmbH verheimlicht hatte. Herausgekommen war dies durch einen bloßen Zufall: Eine Abgeordnete der Linken recherchierte in einer ganz anderen Angelegenheit, als sie auf Fuchs' Nebentätigkeit stieß. Nachdem sie die Bundestagsverwaltung darauf aufmerksam gemacht hatte, erhielt sie von dort folgende Mitteilung, die abgeordnetenwatch.de vorliegt: "Der Abgeordnete Dr. Fuchs hatte bereits im Februar 2009 mitgeteilt, dass er für die PKS tätig geworden sei. Eine Beiratsmitgliedschaft war aus dieser Meldung nicht erkennbar." Äußern wollte sich der CDU-Abgeordnete seinerzeit nicht.
  • Der heutige Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) hatte es in der Vergangenheit unterlassen, seine Kuratoriumsmitgliedschaft bei der Gesellschaft für Wehr- und Sicherheitspolitik e.V. (GfW) rechtzeitig zu veröffentlichen. Auch Ernst-Reinhard Beck (CDU) und Walter Kolbow (SPD) gaben ihre Mitgliedschaft im GfW-Kuratorium zunächst nicht an.
  • Sigmar Gabriel (SPD) und Jürgen Trittin (Grüne) verheimlichten lange Zeit ihre Mitgliedschaft im Kuratorium der Stiftung Initiative Mehrweg.
  • Norbert Geis (CSU) unterließ die Veröffentlichung seines Präsidentenamtes bei der Rhein-Donau Stiftung, die nach Informationen der taz dem umstrittenen katholischen Geheimbund Opus Dei nahesteht. Geis erklärte, er habe die Meldung "aus Versehen" unterlassen.
  • Rainer Arnold (SPD), Elke Hoff (FDP) und Jörn Thießen (SPD) verschwiegen ihre Mitgliedschaft im Präsidium der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik (DWT). Gerd Höfer und Johannes Kahrs (beide SPD) gaben ihre Tätigkeit im Präsidium Förderkreis Deutsches Heer (FKH) nicht an.

2013 berichtete abgeordnetenwatch.de über Nebeneinkünfte und Aufsichtsratsposten von 2011, die plötzlich auf der Bundestagshomepage von Dagmar Wöhrl (CSU) nachgetragen wurden. Sie habe die Angaben fristgerecht innerhalb der Drei-Monats-Frist eingereicht, verteidigte sich Wöhrl damals. Bei einem Telefonat mit der Parlamentsverwaltung habe sich herausgestellt, dass dort "ein Meldeschreiben vom 05. Juli 2012 nicht mehr auffindbar war. Es wurde sofort erneut übersandt, zuzüglich des damaligen Fax-Sendeberichtes vom 05.07.2012."

Transparenz - für einige offenbar ein lästiges Übel

Die aufgeführten Fälle werfen einmal mehr ein Schlaglicht auf den Umgang von Abgeordneten, aber auch der Bundestagsverwaltung, mit dem Thema Transparenz. Transparenz scheint oftmals nicht als wirkungsvolles Instrument zur Verhinderung von Machtmissbrauch und zur Stärkung des Vertrauens begriffen zu werden, sondern als lästiges Übel.

Begünstigt wird diese Haltung durch fehlende Kontrollen vonseiten der Bundestagsverwaltung sowie ausbleibende Sanktionen. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hat die oben aufgeführten Verstöße, wenn überhaupt, stets als "minder schwere Fälle" bzw. als "leichte Fahrlässigkeiten" eingestuft, was schlimmstenfalls auf eine interne Ermahnung des betroffenen Abgeordneten hinausläuft. Das stärkste Sanktionsinstrument, die Veröffentlichung eines Verstoßes in einer Drucksache und die Verhängung eines Ordnungsgeldes (bis zur Hälfte der jährlichen Abgeordnetenentschädigung), wurde überhaupt erst zweimal angewandt. In beiden Fällen klagten die Politiker (Otto Schily (SPD): 22.017 Euro = 3 Monatsbezüge, Volker Kröning (SPD) 15.336 Euro = 2 Monatsbezüge) erfolgreich, die Ordnungsgelder mussten zurück genommen werden.

Sind Nebeneinkünfte bei der Bundestagsverwaltung in den richtigen Händen?

Angesichts der abgeordnetenfreundlichen Auslegung der Verhaltensregeln durch Bundestagspräsident Norbert Lammert ist eine Diskussion überfällig, ob Nebentätigkeiten bei der Bundestagsverwaltung überhaupt in den richtigen Händen sind. Überlegenswert wären zum Beispiel die Anregungen von Lobbycontrol und Transparency, einen Ethik-Beauftragten oder einen Ehrenrat einzusetzen, die über weitreichende Kontrollbefugnisse und Sanktionsmöglichkeiten verfügen.

Wahrscheinlicher ist allerdings, dass sich Abgeordnete auch weiterhin über die Verhaltensregeln hinwegsetzen werden - zu befürchten haben sie schließlich kaum etwas.

 

* Ergänzung vom 25. November 2014: Der Linken-Abgeordnete Diether Dehm begründete in einer Mail an abgeordnetenwatch.de die nicht gemeldete Tätigkeit im ESD-Beirat mit einem "Versäumnis". Sein Büro werde sich schnellsten bemühen, die Angabe nachzuholen.

** Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels stand, der CDU-Abgeordnete Georg Kippels habe bislang nicht auf die Mailanfrage von abgeordnetenwatch.de zu seiner Nebentätigkeit beim Europaverband der Selbständigen - Deutschland (ESD) e.V. reagiert. Tatsächlich hatte sich vergangene Woche eine Mitarbeiterin von Herrn Kippels telefonisch im abgeordnetenwatch.de-Büro gemeldet und dabei u.a. mitgeteilt, dass die Nachmeldung inzwischen erfolgt sei. Diese Information hat den Autor des Artikels aber nicht erreicht. Wir bitten die ursprünglich falsche Angabe zu entschuldigen.