Wer am Mittwoch morgen die Bundestagshomepage der CSU-Abgeordneten Dagmar Wöhrl aufrief, konnte dort u.a. folgende Information lesen:
Im Laufe des Tages tat sich dann Erstaunliches. Aus einem einzigen Aufsichtsratsposten bei dem Nürnberger Versicherungskonzern wurden auf einmal vier. Und auch Vergütungen sind jetzt aufgeführt:
Dass Wöhrl eine bislang unbekannte Person sich gerade am Mittwoch an Aufsichtsratsmandate aus dem Jahr 2011 erinnerte, könnte man für einen Zufall halten. Wahrscheinlicher ist allerdings, dass ihr ein Artikel in der Süddeutschen Zeitung auf die Sprünge half (Frau Wöhrl hat von sich gewiesen, dass sie für die Änderungen verantwortlich ist, siehe Updates vom 22. und 23. Mai 2013).
Die CSU-Bundestagsabgeordnete liegt seit einiger Zeit im Clinch mit der SZ, sie sieht sich als Opfer einer Kampagne. Anfang Mai hatte die Süddeutsche berichtet, dass Wöhrl sich im Dezember 2012 offenbar zu krank für den Bundestag, aber gesund genug für eine Flugreise nach Sri Lanka gefühlt hatte.
Mit einem Mal stand die Frage im Raum, wie ernst Wöhrl ihr Abgeordnetenmandat eigentlich nimmt. Am Mittwoch also stellte die Süddeutsche Zeitung in einem Artikel über ihre zahlreichen Nebenjobs die folgende Frage: Kann von Nebentätigkeiten überhaupt die Rede sein, wenn ein Volksvertreter mit seinen Aufsichts- und Verwaltungsratsposten sehr viel mehr verdient als mit seinem Hauptjob?
In dem SZ-Artikel heißt es, die CSU-Bundestagsabgeordnete sei bei der Nürnberger Versicherung "gut im Geschäft." Seit der Auffrischung ihrer Bundestagshomepage vom Mittwoch hat man eine ungefähre Vorstellung davon: Für drei der vier Aufsichtsratsmandate erhält bzw. erhielt Wöhrl Einkünfte der Höchststufe 3, also von jeweils mehr als 7.000 Euro. Ob es 7.001, 70.000 oder mehr Euro sind, bleibt im Dunkeln - auch deshalb, weil Wöhrl am 8. November 2012 im Bundestag zusammen mit ihren Kollegen von Union und FDP die vollständige Offenlegung von Nebeneinkünften auf Euro und Cent erfolgreich verhinderte. Die Ergänzungen auf Wöhrls Bundestagshomepage sind in mehrerlei Hinsicht merkwürdig:
- Die CSU-Abgeordnete will für das Jahr 2012 Einkünfte als Aufsichtsratsmitglied der Nürnberger Allgemeine Versicherungs AG erhalten haben, dabei war sie dort nach eigenen Angaben nur bis Mitte 2011 tätig (s. Screenshot oben).
- Wöhrl will als Aufsichtsratsmitglied der Nürnberger Beteiligungs AG bereits jetzt eine Vergütung für das Jahr 2013 erhalten haben. Dass Aufsichtsratsvergütungen während des laufenden Geschäftsjahres - also teilweise im voraus - ausgezahlt werden, ist eher unüblich. (Update 22.5.: Laut dem Onlineportal der Nürnberger Zeitung soll Wöhrl die Vergütung im April diesen Jahres erhalten haben. Diese habe sie am 13. Mai 2013 gegenüber der Bundestagsverwaltung gemeldet).
- Dem Aufsichtsrat der Nürnberger Lebensversicherung AG gehört die CSU-Abgeordnete laut Bundesanzeiger seit dem 9. Juni 2011 an, dem der Nürnberger Beteiligungs AG seit dem 18. September 2012. Veröffentlicht wurden diese Tätigkeiten auf Wöhrls Bundestagshomepage allerdings erst an diesem Mittwoch. Die Verhaltensregeln für Abgeordnete des Deutschen Bundestags sind in diesem Punkt eindeutig: Neue Nebenjobs sowie Veränderungen müssen dem Parlamentspräsidenten "innerhalb einer Frist von drei Monaten" gemeldet werden. Ansonsten liegt ein Verstoß vor.
- Am Mittwoch wurde ebenfalls bekannt, dass Wöhrl für ihr Aufsichtsratsmandat bei der Nürnberger Lebensversicherungs AG bereits für das Jahr 2011 meldepflichtige Einkünfte erhielt. Laut Verhaltensregeln sind Vergütungen innerhalb von drei Monaten nach Erhalt zu melden. Demnach hätte die Zahlung für 2011 erst kürzlich auf Wöhrls Konto eingegangen sein müssen, was angesichts des großen zeitlichen Abstandes äußerst ungewöhnlich wäre.
Hat Dagmar Wöhrl also gleich mehrfach gegen die Verhaltensregeln für Bundestagsabgeordnete verstoßen? Zu einer abgeordnetenwatch.de-Anfrage von gestern Mittag hat die CSU-Politikerin bislang keine Stellung genommen. Auch von der Bundestagsverwaltung steht noch eine Antwort aus. Ernsthafte Sanktionen hätte die frühere Parlamentarische Staatssekretärin aber vermutlich keine zu befürchten: Bundestagspräsident Norbert Lammert ist nicht bekannt dafür, bei Verstößen gegen die Veröffentlichungspflichten hart durchzugreifen. Dokumentiert sind inzwischen zahlreiche Fälle, in denen Abgeordnete die Transparenzregeln allzu lax und zu ihren Gunsten ausgelegt hatten. Öffentlich sanktioniert wurden jedoch nur zwei: die damaligen Abgeordneten Otto Schily (2008) und Volker Kröning (2009), beide SPD, gegen die ein Zwangsgeld in Höhe von 22.017 Euro bzw. 15.336 Euro verhängt wurde (welches das Bundesverfassungsgericht allerdings später für nichtig erklärte).
Neben dem rechtzeitigen Melden von Nebentätigkeiten wird von den Parlamentariern auch verlangt, dass sie für ihre Nebeneinkünfte eine „angemessene Gegenleistung“ (Abgeordnetengesetz) erbringen. Doch wie können derlei Gegenleistungen aussehen, wenn für den vergleichsweise geringen Arbeitsaufwand, den ein Aufsichtsratsmandat erfordert, teilweise fünf- bis sechsstellige Eurobeträge pro Jahr gezahlt werden?
Manche Unternehmen haben da offenbar eigene Ideen, wie sich ein Aufsichtsratsmitglied erkenntlich zeigen könnte. Der Süddeutschen Zeitung jedenfalls liegt ein Brief vor, den ein hochrangiger Manager des Nürnberger Versicherungskonzerns im vergangenen Oktober an Dagmar Wöhrl geschrieben haben soll. Darin, so die SZ, bittet der damalige Vize und heutige Vorstandschef Armin Zitzmann die CSU-Abgeordnete um Unterstützung gegen eine geplante EU-Datenschutzrichtlinie. Er würde es sehr begrüßen, so Zitzmann u.a., "wenn sich die CSU mit der Position des GDV (Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft, d. Red.) auseinandersetzen würde." Zur Hilfestellung habe der Versicherungsmanager mögliche Ansprechpartner in der Union genannt, berichtet die SZ.
Politische Gefälligkeiten durch Abgeordnete, die in Form von gut dotierten Aufsichtsratsmandaten honoriert werden? Ist das der Mehrwert, den sich Unternehmen durch die Ernennung von politischen Entscheidungsträgern zu Aufsichts- oder Beiratsmitgliedern erhoffen? Wöhrl sagte der SZ:
Die Nürnberger Versicherung hat niemals Wünsche an mich herangetragen, für sie parlamentarisch tätig zu werden.
Update 19:45: Erneut hat es Änderungen auf der Bundestagshomepage von Dagmar Wöhrl gegeben:
Von der Nürnberger Allgemeine Versicherungs AG will Wöhrl nun auch für das Jahr 2011 eine Vergütung erhalten haben. Und für den Aufsichtsratsposten bei der Nürnberger Lebensversicherung AG soll plötzlich für das Jahr 2011 kein Honorar mehr geflossen sein, anders als noch
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Update 22. Mai 2013: Während Wöhrl eine Anfrage von abgeordnetenwatch.de vom vergangenen Donnerstag bislang unbeantwortet ließ, äußerte sie sich gestern auf dem Nachrichtenportal der Nürnberger Zeitung. Sie selbst könne sich nicht erklären, wie es zu der Änderung kam, so die CSU-Abgeordnete. Von ihr stammten diese nicht. In dem Artikel heißt es:
"Die Angaben wurden von mir am 05. Juli 2012 an den Bundestag geschickt, nachdem ich die Vergütungen für das Jahr 2011 im Juni 2012 erhalten habe. Eine Sendungsbestätigung liegt vor", schrieb Wöhrl in einer schriftlichen Stellungnahme. "Warum dies erst in der vergangenen Woche durch die Verwaltung des Deutschen Bundestages geändert wurde, entzieht sich meiner Kenntnis." Eine entsprechende Anfrage von Wöhrl bei der Bundestagsverwaltung läuft. "Die Berichterstattung der "Süddeutschen Zeitung" hatte darauf keinerlei Einfluss." Im April erhielt Wöhrl eine Vergütung für ihre Tätigkeit vor einem Jahr im Aufsichtsrat einer Nürnberger Beteiligungsgesellschaft. "Dies habe ich am 13. Mai 2013, nach den sitzungsfreien Wochen und nach meiner Rückkehr nach Berlin, dem Bundestag gemeldet." Damit hätte die CSU-Abgeordnete ihre Angaben fristgemäß eingereicht.
Die Bundestagsverwaltung war trotz zweifacher Anfrage durch abgeordnetenwatch.de bislang nicht in der Lage, für Aufklärung zu sorgen.
Update 23. Mai 2013: Dagmar Wöhrl hat heute auf zwei Anfragen von abgeordnetenwatch.de (16. und 22. Mai) wie folgt Stellung genommen:
Ende April 2013 erhielt ich eine Vergütung für meine Tätigkeit bei der Nürnberger Beteiligungs-AG für das Geschäftsjahr 2012. Da Einkünfte innerhalb von drei Monaten nach Eingang der Verwaltung des Deutschen Bundestages gemeldet werden müssen, wurde diese Meldung nach der sitzungsfreien Zeit in Berlin am 13.05.2013 vorgenommen. Der Eingang der Unterlagen wurde mir durch die Verwaltung des Deutschen Bundestages bestätigt.
Am 14.05.2013 bei einem Telefonat meiner Mitarbeiterin mit der Bundestagsverwaltung, stellte sich heraus, dass bei der Bundestagsverwaltung ein Meldeschreiben vom 05. Juli 2012 nicht mehr auffindbar war. Es wurde sofort erneut übersandt, zuzüglich des damaligen Fax-Sendeberichtes vom 05.07.2012. Die Bundestagsverwaltung ergänzte durch ihre IT-Abteilung die Website entsprechend. Auf den Zeitpunkt der Änderungen, die auf www.bundestag.de vorgenommen werden, habe ich als Bundestagsabgeordnete keinerlei Einfluss. Im Übrigen habe ich die Bundestagsverwaltung gebeten zu überprüfen, warum meine Meldung vom Juli 2012 nicht bearbeitet wurde.
Der Wunsch einer Korrektur der falschen Bezeichnung der Aktiengesellschaft von 2011 auf der Website des Deutschen Bundestages, wurde in diesem Zusammenhang an die Verwaltung des Bundestages herangetragen und zwischenzeitlich auch geändert.
Warum ich diese Angaben auf der Website des Deutschen Bundestags nicht regelmäßig überprüfe? Ich sehe meine Hauptaufgabe in der inhaltlichen, politischen Arbeit als Vertreterin Nürnbergs in Berlin und als Entwicklungspolitikerin. Da ich bisher keine Probleme mit den Meldungen meiner Tätigkeiten hatte, ging ich davon aus, dass alle Änderungen vorgenommen wurden. Ich habe die Angaben auf der Website des Deutschen Bundestags nie überprüft, werde dies aber in Zukunft regelmäßig tun.
Wie bereits auf meiner Homepage veröffentlicht, ist man als Mitglied eines Verwaltungsrates in der Schweiz, nicht als Selbständiger einzustufen, sondern gilt als Arbeitnehmer. Somit fällt nicht nur die Quellensteuer in Höhe von 25% an, sondern auch Sozialleistungen, wie AHV, ALV und ALV-Zusatz. Der verbleibende Betrag in Schweizer Franken unterliegt dann ebenfalls noch einmal der deutschen Steuer. Somit erklärt sich der Unterschied.
Update 23. Mai 2013: Die Bundestagsverwaltung hat uns heute folgende Stellungnahme zukommen lassen:
Der von Ihnen angesprochene Vorgang befindet sich in der Aufarbeitung. Generell möchte ich Sie darauf hinweisen, dass zur Frage von Verstößen gegen die Verhaltensregeln vonseiten der Bundestagsverwaltung grundsätzlich nicht Stellung genommen wird. Die Gründe dafür wurden Ihnen bereits erläutert. Was die Frage nach den Jahreszahlen angeht, so beziehen sich diese grundsätzlich auf das Jahr, in dem die Einkünfte zugeflossen sind.
Damit lässt die Bundestagsverwaltung weiterhin offen, ob ein Verstoß gegen die Verhaltensregeln durch Dagmar Wöhrl vorliegt oder ob die jahrelang fehlerhaften - weil unvollständigen - Angaben auf der Bundestagshomepage auf ein Fehler durch die Verwaltung zurückgeht.
Foto Dagmar Wöhrl: Sigismund von Dobschütz / Wikipedia / CC BY-SA 3.0