Frage an Wolfgang Zöller von Leander S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Zöller
Wie stehen Sie zur Zwangsmitgliedschaft in der IHK?
Mit freundlichen Grüßen
Leander Schäfer
Sehr geehrter Herr Schäfer,
vielen Dank für Ihre Frage, wie ich zur Zwangsmitgliedschaft in der IHK stehe, die mich über www.abgeordnetenwatch.de erreichte.
Zunächst ein paar grundsätzliche Anmerkungen zur IHK und der Pflichtmitgliedschaft. Das Bundesverfassungsgericht hat geprüft, ob die Pflichtmitgliedschaft mit den Grundrechten vereinbar ist. Nach Ansicht des Gerichts ist die Pflichtmitgliedschaft hinnehmbar, weil sie für die Kammerzugehörigen eine Chance zur Beteiligung und Mitwirkung an staatlichen Entscheidungsprozessen eröffnet. Die Pflichtmitgliedschaft hat nach den Ausführungen des Gerichts eine freiheitssichernde und legitimatorische Funktion, weil sie auch dort, wo das Allgemeininteresse einen gesetzlichen Zwang verlangt, die unmittelbare Staatsverwaltung vermeidet und stattdessen auf die Mitwirkung der Betroffenen setzt. Was heißt das konkret? In einer sozialen Marktwirtschaft gibt es Regeln für Privatunternehmen. Dass Regeln sein müssen, wird vermutlich niemand bestreiten. Die IHK´en bieten dabei den Vorteil, dass ein Teil dieser Regeln von der Privatwirtschaft in Abstimmung mit der Politik selbst gesetzt und kontrolliert werden. Eine Abschaffung der IHK´en würde also nicht weniger Regulierung bedeuten, sondern eine Ausweitung der ebenfalls verpflichtenden Kontrolle durch Behörden.
Das Gericht hat allerdings auch herausgestellt, dass die Industrie- und Handelskammern die Grenzen ihrer Aufgaben beachten müssen und ich bin durchaus der Meinung, dass diese Grenzen gelegentlich etwas aus dem Blickfeld geraten.
Aber: Von einer Mitgliedschaft bei den Industrie- und Handelskammern profitieren gerade auch kleine und mittelständische Betriebe. Die Kammern bieten ihnen zahlreiche Dienstleistungen, wie z. B. Starthilfen und Existenzgründungsberatung, Beratung in/zu Finanzierungs- und Steuerfragen, Suche nach Gesprächspartnern im In- und Ausland, Hilfe und Unterstützung bei Verkehrsproblemen und bei Kontakten mit der öffentlichen Verwaltung. Ebenso kommt die hoheitliche wirtschaftsverwaltende Tätigkeit der Kammern den kleinen und mittelständischen Betrieben zugute (u. a. Sachkundeprüfungen, Aus- und Fortbildung, Berufsbildungszentren, Vermittlungsstellen). Wenn Sie sich einmal anschauen, was die Kammern gerade im Bereich der Berufsausbildung regeln, um eine Vergleichbarkeit der Ausbildung, von der ja jeder Betrieb profitiert, wenn er einen Arbeiter oder Angestellten einstellt, der seine Ausbildung nicht im eigenen Unternehmen absolviert hat, dann ist dies meines Erachtens eine enorme Leistung. Die Pflichtmitgliedschaft abzuschaffen würde dann bedeuten, dass diejenigen, die nicht Mitglieder sind, sich der gut ausgebildeten Arbeitnehmer/innen bedienen, die unter anderen im und durch das System der Kammern ihre Qualifikationen erworben haben.
Sehr geehrter Herr Schäfer,
in der Abwägung der durchaus vorhandenen positiven Leistungen der Kammern und der damit verbundenen Pflichtmitgliedschaft und der von mir geschilderten Folgen ihrer Abschaffung halte ich die Aufrechterhaltung in Übereinstimmung mit dem Bundesverfassungsgericht für vertretbar.
In der Hoffnung, Ihnen meine Argumente überzeugend dargelegt zu haben verbleibe ich
mit freundlichen Grüßen
gez. Wolfgang Zöller, MdB