Frage an Wolfgang Wodarg von Axel J. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrter Dr. Wodarg,
in Kenntnis eines Teils Ihrer persönlichen Sichtweise zum Thema "Cannabis als Medizin" würde ich Sie gern um ein Statement hinsichtlich der Haltung des BfArM in Sachen Ablehnungsfront gegen die Zulassung von pflanzlichem Cannabis bitten, nachdem inzwischen gesicherte Erkenntnis ist, dass DRONABINOL lediglich einer gut betuchten Krankenklientel zur Verfügung gestellt werden kann und ein jüngst unter großem Medienhype auf den Markt gebrachtes, unerprobtes Extrakt zumindest für die Mehrheit der antragstellenden Patienten wg. seiner fraglichen Wirksamkeit und fehlender Preiskalkulation keine Option darstellt, Leiden adäquat zu lindern oder chronisch kranken Menschen zur erforderlichen Steigerung individueller Lebensqualität nützlich zu sein.
Die Tatsache, dass die mit großem Erfolg durchgeführten Heroin-Modellprojekte nunmehr per politischem Beschluss und BfArM-JA zum Standard für Schwerstabhängige erhoben wurden, lässt die Vermutung zu, dass hier Krankheit mit zweierlei Maß gemessen wird und die überwiegende Zustimmung von Bundestagsabgeordneten verschiedener Parteien zur Cannabis als Medizin-Frage bloße Lippenbekenntnisse sind. Wie anders ließe sich erklären, dass einige wichtige politische Entscheidungsträger noch immer von einer fehlenden "Unbedenklichkeitsbescheinigung" in Bezug auf Cannabis sprechen, das Recht auf körperliche Unversehrtheit so wissentlich aushebeln und das Strafrecht zum Handlanger an progredienten wie tragischen Krankheitsverläufen machen?
Mit freundlichem Gruß
Axel Junker
Sehr geehrter Herr Junker,
Ihre Frage hat mich aus technischen Gründen sehr spät erreicht. Sie ist jedoch sehr wichtig und rührt das grundsätzliche Verständnis professionalisierter Heilkunde. Was in der Natur wächst, konnte noch vor wenigen Generationen vom Menschen frei genutzt werden. Die Professionalisierung und wirtschaftliche Ausformung der Heilkunde hat zu selektiver Tabuisierung und Monopolisierung einzelner Naturheilmittel geführt.
Während die hochgiftigen, das nerven- und gefäßwirksame Gift Nikotin enthaltenen Tabakblätter ohne Rezept und ohne Apothekenpflicht selbst angebaut oder als "Genussmittel" an Erwachsene verkauft werden dürfen, ist das Blatt der Cannabispflanze sowohl als Genuss- als auch als Heilmittel strengsten arznei- und betäubungsmittelrechtlichen Beschränkungen unterworfen. Ähnliches gilt für das Cocablatt, welches von bekannten Teebeutelherstellern nur in einigen Andenländern als anregender Tee vermarktet werden darf, bei dessen Import nach Deutschland hingegen mit strafrechtlichen Konsequenzen wegen eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelrecht zu rechnen wäre.
Bei einer belebenden Tasse Coca-Tee habe ich dieses kürzlich mit der bolivianischen Gesundheitsministerin gemeinsam kopfschüttelnd zur Kenntnis genommen. Coca Cola, so sagte man mir in Bolivien, wisse sehr wohl, weshalb die Rezeptur der belebenden Globalbrause geheim bleiben müsse.
Fama oder Wahrheit: Die Regeln über den Zugang zu Arzneimitteln schützen zwar meistens Qualitäts- oder Sicherheitsgesichtspunkte vor, werden in ihrer systemischen Funktion aber erst verständlich, wenn ihre regulierende Wirkung im Gesundheitsmarkt fokussiert wird. "Zulassungsverfahren dienen der Sicherheit, Patentschutz fördert die Innovation, Apothekenpflicht sichert fachkundige Beratung oder: Betäubungsmittelrezepte verhindern Drogenmissbrauch." Das mag alles zum Teil richtig sein, zum anderen Teil sind es jedoch Formeln, deren Wirkung zur Sicherung von Wirtschaftsprivilegien oder Monopolen maßgeblich zu ihrer Etablierung beigetragen hat.
Kurz: Cannabis ist sicher wirksam, kann wahrscheinlich viele Leiden erleichtern, ist schwer patentierbar und ist deshalb als betäubungsmittelpflichtiges Genericum für die Pharma-Giganten wirtschaftlich relativ uninteressant. Es bedarf, wenn es als Arzneimittel verordnungsfähig sein soll zahlreicher Zulassungsverfahren, ist damit noch längst nicht von den Lobbyisten auf beiden Seiten der gemeinsamen Bundesausschüsse als GKV-erstattungsfähig anerkannt und könnte in den Augen einiger Hersteller als gefährliche Billigkonkurrenz für etablierte Pharmaca erscheinen. Ich hoffe, ich habe mit meinen Ausführungen, dazu beitragen können, aus betroffenen Fragen systematisches Verstehen wachsen zu lassen.
Mit freundlichen Grüssen
Dr. Wolfgang Wodarg