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Frage von Oliver L. •

Frage an Wolfgang Wodarg von Oliver L. bezüglich Öffentliche Finanzen, Steuern und Abgaben

Für meine Wahlentscheidung (und sicher auch die vieler anderer Menschen) am 18. Sep ist es wichtig zu wissen, wie sich die SPD zu dieser Frage stellt:

Wie wollen Sie das weitere Öffnen der Schere zwischen Arm und Reich, also die inzwischen völlig verhältnislose und irrsinnig hohe, unsoziale Kapitalanhäufung einiger weniger Erdenbürger und Unternehmen (zunächst in Deutschland und dann global) wirksam unterbinden?

Ich gebe Ihnen ein Beispiel einer Antwort. Die Linkspartei hat klar gesagt, dass sie auf der einen Seite den Steuersatz auf 50% anheben will, die Wiedereinführung der Vermögensteuer, die Einführung der Börsenumsatzsteuer, und die Erhöhung der Erbschafts- und Schenkungssteuer plant. Auf der anderen Seite soll es
einen Mindestlohn von 1400€ bzw. 1250€ geben.

Dies ist ein glasklares Konzept zur Umverteilung von "oben nach unten"!

Wie also sieht das konkrete Programm der SPD aus, die Schere zwischen arm und reich wieder zu schließen? Oder sollen die "Geschenke" an die Unternehmer weiter fortgesetzt werden und man hat nichts weiter als die Hoffnung, dass sie dafür Arbeitsplätze schaffen wollen. Das Beispiel der Deutschen Bank zeigt doch klar, dass diese Art Rechnung nicht aufgeht.

Mit freundlichen Grüßen,
Oliver Ludwig

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Antwort von
dieBasis

Sehr geehrter Herr Ludwig,

bevor ich Ihre sehr berechtigten und wichtigen Fragen zum Reformkurs der SPD bezüglich der Verteilung von Wohlstand in unserer Gesellschaft beantworte, möchte ich folgende Bemerkung vorwegschicken: Das von Ihnen angesprochene glasklare „Konzept“ der Linkspartei ist vor allem deshalb so klar und einfach, weil es nicht praktikabel ist. Die Betreiber können sich mit populistischen Parolen begnügen, denn sie streben keine Regierungsverantwortung an und niemand will sie in einer Regierung haben.

Die politische Situation in Deutschland ist gekennzeichnet durch das gesellschaftliche Problem Nr. 1: Die nach wie vor hohe Arbeitslosigkeit. Entscheidende Ursache dafür ist in erster Linie die anhaltend schlechte Konjunkturentwicklung. Die ökonomische Flaute wurde verstärkt durch die Finanzierungsprobleme der Deutschen Einheit und der damit zusammenhängenden Staatsverschuldung. Die Wirtschaftskrise ist begleitet von einer ungünstigen Entwicklung der Binnennachfrage und öffentlichen Investitionen sowie einer nachhaltigen Erosion der Einnahmebasis der öffentlichen Finanzen und Sozialversicherungen.
Aus der geschilderten Skizze der Kernprobleme in Deutschland ergeben sich vier zentrale Schlussfolgerungen für die Politik der SPD:
1) Sparpolitik im Abschwung wirkt krisenverschärfend.
2) Absenkung der Masseneinkommen und Abbau von Sozialleistungen schwächen die Binnennachfrage.
3) Eine weitere Absenkung der Steuerquote und der effektiven Steuerbelastung der Unternehmen ist nicht zielführend. 4) Die Erosion der Sozialversicherungssysteme muss gestoppt werden. Eine Akzentverschiebung hinsichtlich einer nachfrageorientierten Lohn-und Fiskalpolitik ist daher notwendig. Es existieren im OECD-Bereich anschauliche Beispiele (z.B. Schweden), dass trotz Globalisierung die Initiierung von Wirtschaftswachstum möglich ist. Im Einzelnen sind folgende Maßnahmen erforderlich: Stärkung der Binnennachfrage, der Arbeitsmarktpolitik und der Steuerbasis und die Einführung einer Bürger- und Erwerbstätigenversicherung.

Stärkung der Binnennachfrage Auflegung eines staatlichen Investitionsprogramms mit dem Ziel der Anhebung des Anteils öffentlicher Investitionen am BIP von derzeit 1,4 % auf den EU-Durchschnitt von derzeit 2,5 %, Ausbau in den Bereichen F+E und Bildung, Verkehr und kommunale Daseinsvorsorge; Finanzierung durch eine investitions- und wachstumsorientierte Finanzpolitik (expansiv in der Krise, restriktiv im Aufschwung) unter Beachtung der reformierten Grundsätze des Stabilitätspakts; Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns, Unterlassung aller gesetzgeberischen Maßnahmen, die die Binnennachfrage beeinträchtigen, Unterstützung einer produktivitätsorientierten Tarifpolitik. Stärkung der Arbeitsmarktpolitik Ausbau der Beitragsäquivalenz von ALG I: Umbau der Arbeitslosenversicherung in der Richtung, dass längere Beitragszeiten sich in längeren Bezugszeiten von ALG I niederschlagen; Erhöhung der Eckregelsätze bei ALG II; Entschärfung der Zumutbarkeitskriterien; Ost-West-Angleichung von ALG II; Entschärfung der Einkommens- und Vermögensanrechnung; Vertrauensschutz für von der „58er-Regelung“ Betroffene; Überprüfung der Ein-Euro-Jobs zur Verhinderung von Lohndumping; Verhinderung weiterer Lockerung des Kündigungsschutzes und der Aushöhlung der Flachentarifverträge; Europäische Dienstleistungsfreiheit nicht nach Herkunftsland-, sondern Arbeitsortprinzip, und nur nach abgeschlossener Harmonisierung, Verbleib der Kontrollen in nationaler Souveränität, Verhinderung von Sozialdumping; Überprüfung der Bildungsgutscheine und der Ausschreibungsverfahren bei den Weiterbildungsmaßnahmen der BA; Auflegung eines Sonderprogramms zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, Einführung einer gesetzlichen Ausbildungsplatzumlage.

Bürger- und Erwerbstätigenversicherung Bei der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung ist die nicht mehr zeitgemäße, antiquierte Trennung zwischen Pflichtversicherten und denjenigen die über der Einkommensgrenze liegen und die sich wie Selbständige entscheiden können, ob sie sich der solidarischen Gesamtverantwortung entziehen oder nicht, nicht weiter haltbar. Daher muss eine für alle geltenden Bürger- und Erwerbstätigenversicherung für die Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung eingeführt werden.
Die Beihilfe für Beamte ist in einen Arbeitgeberzuschuss zur Krankenversicherung weiter zu entwickeln. Für die Rentenversicherung gilt es, überkommene berufsständische Sonderwege und Privilegien abzubauen und das Solidarprinzip auszudehnen. Gerade unter den aus der Globalisierung resultierenden Arbeitsmarktbedingungen ist es notwendig, auch Selbständige und Freiberufler in den Schutz der Arbeitslosenversicherung aufzunehmen.
Nicht nur Arbeitnehmer sondern auch Beamte, Selbständige und Freiberufler sind an der Finanzierung kollektiv abzusichernder Risiken bei Krankheit, Pflegebedürftigkeit, Alter und Arbeitslosigkeit bzw. arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen zu beteiligen. Die demographischen Veränderungen und die Massenarbeitslosigkeit sind ein gesamtgesellschaftliches Problem und können nur in gesamtgesellschaftlicher Verantwortung aller gelöst werden.

Stärkung der Steuerbasis Senkung der nominalen Körperschaftssteuersätze nur bei vollständiger Gegenfinanzierung durch Verbreiterung der Bemessungsgrundlage; konsequenter Abbau aller marktwidrigen Unternehmenssubventionen; Stopp der Steuersubventionierung des Arbeitsplatzexportes, d.h. keine steuerliche Berücksichtigung von Aufwendungen bei Steuerfreiheit entsprechender Erträge, Rückzahlung von öffentlicher Förderung bei Arbeitsplatzverlagerung ins Ausland, Ausweitung des Katalogs nicht absetzbarer Betriebsaufwendungen, Verschärfung der Registrierungspflichten für Hedgefonds nach dem Beispiel der USA (u.a. durch Verbot von Leerverkäufen), konsequente Verhinderung von Umsatzsteuerbetrug, Austrocknung von Steuerschlupflöchern; Besteuerung von Immobilien- und Sachvermögen zu Verkehrs-, bzw. Marktwerten (Sarrazin-Vorschlag), Neuordnung der Erbschaftsteuer bei Erhöhung des Gesamtaufkommens bei Beachtung eines Freibetrags von 500.000 (für Erben erster Ordnung); Umgestaltung der Eigenheimzulage zugunsten von Familien mit Kindern und einkommensschwacher Familien; Erhebung eines Zuschlags auf den Spitzensteuersatz für hohe Einkommen; Beibehaltung der Steuerfreiheit von Nacht-/Schicht-/Sonn- und Feiertagszuschlägen.
Sehr wesentlich ist für ein Gelingen nationaler Anstrengungen, dass eine Mindestbesteuerung von Unternehmen auf EU-Ebene gefordert und durchgesetzt wird. Andernfalls bleibt es bei dem gegenwärtigen Trend eines Dumpingwettbewerbs unter den EU-Mitgliedstaaten. Ein effektiver Sozialschutz wird auf EU-Ebene ohne eine einheitliche Besteuerung nicht möglich sein. Mit dem Sozialmodell steht und fällt die Akzeptanz der Bürger für Europa. Das zeigt die Ablehnung der Europäischen Verfassung in einigen Mitgliedstaaten deutlich.

Sehr geehrter Herr Ludwig, ich hoffe, dass ich Ihre Fragen klar beantwortet habe, auch wenn ich einfache Lösungen für die anstehenden Probleme nicht bieten kann.

Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Dr. Wolfgang Wodarg, MdB