Frage an Wolfgang Schäuble von Timm O. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Dr. Schäuble,
wie soll man von dem ihrer Ansicht nach von dem Grundrecht Artikel 20 (4) Gebrauch machen? "Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist."
Wie würde Sie diesen Widerstand gegen eine Diktatur konkret umsetzen, wenn sie keine Waffen hätten und entstehende Gruppierungen durch Überwachung schon im Keim erstickt würden? Wäre es ihrer Meinung nach und wenn ja wie möglich gewesen die DDR von Innen heraus zu bekämpfen, warum ist dies nicht geglückt? Nach dem gescheiterten Volksaufstand des 17. Juni 1953 und staatlicher Repression gegen Oppositionelle wurde der Widerstand aufgegeben. Erst 37 Jahre später wurde das ostdeutsche Volk von dem Regime aufgrund von äußeren politischen Ereignissen befreit.
Liebe Grüße,
Timm Obst
Sehr geehrter Herr Obst,
glücklicherweise leben wir heute in einem demokratischen Deutschland, in dem man lediglich theoretisch Überlegungen zu den Voraussetzungen eines Widerstandsrechts anzustellen braucht.
Nach Artikel 20 Absatz 4 des Grundgesetzes kann jeder Deutsche gegenüber jedem, der es unternimmt, die freiheitliche demokratische Grundordnung des Grundgesetzes zu beseitigen, Widerstand leisten, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist. Vor dem 3. Oktober 1990 galt das Grundgesetz freilich nicht auf dem Gebiet der DDR, so dass sich nachstehende Ausführung nur auf die alte Bundesrepublik bzw. das wiedervereinigte Deutschland beziehen kann.
Die Ausübung dieses Widerstandsrecht setzt nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts voraus, dass das mit dem Widerstand bekämpfte Unrecht offenkundig ist und sämtliche von der Rechtsordnung zur Verfügung gestellten Rechtsbehelfe so wenig Aussicht auf wirksame Hilfe bieten, dass nur auf diese Weise die Ordnung des Grundgesetzes erhalten oder wiederhergestellt werden kann. Das Widerstandsrecht darf damit nur unter ganz engen Voraussetzungen ausgeübt werden. Einzelne rechtswidrige Handlungen, die nicht auf den Bestand der verfassungsgemäßen Ordnung zielen, führen daher nicht zur Widerstandslage nach Artikel 20 Absatz 4 Grundgesetz. Vor dem Rückgriff auf das Widerstandsrecht müssen zudem alle vom Grundgesetz gewährten Möglichkeiten politischer und rechtlicher Natur ausgeschöpft werden, um die Rechtsordnung zu bewahren. Das Widerstandsrecht würde auch Handlungen erfassen, die unter normalen Umständen gegen das Strafrecht verstießen. Sie könnten von der schlichten Verweigerung des Gehorsams bis zum Einsatz von Gewalt reichen. Allerdings unterläge ein Widerstandskämpfer dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, so dass die Verfassung nur mit Augenmaß verteidigt werden dürfte.
Gott sei Dank wurde das Ende der DDR gewaltfrei erreicht. Die friedliche Revolution ist ein großes historisches Verdienst der Menschen in der DDR, die unter Gefahr für Leib, Leben und persönliche Freiheit für die Wende demonstriert haben. Ich maße mir nicht an, aus der Rückschau darüber zu spekulieren, ob ein anders gearteter Widerstand zu irgendeinem anderen Zeitpunkt Veränderungen hätte bewirken können. Die globalpolitische Lage vor 20 Jahren öffnete ein historisches Zeitfenster für die friedliche Wende sowie die Wiedervereinigung und ich bin nur dankbar, dass es so gekommen ist und ich meinen Beitrag hierzu leisten durfte.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Wolfgang Schäuble