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Frage von Winfried W. •

Frage an Wolfgang Schäuble von Winfried W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Schäuble,

entschuldigen Sie, daß ich zum Thema BKA-Gesetz und Online-Durchsuchuchung nachhake. Sie schreiben:

"Eine solche Maßnahme darf zudem grundsätzlich nur durch den Richter angeordnet werden. Durch die richterliche Kontrolle sowie die Pflicht zur nachträglichen Benachrichtigung des Betroffenen wird ein effektiver Grundrechtsschutz gewährleistet."

Ist Ihnen bekannt, daß der richterliche Vorbehalt gemäß der Studie einer anerkannten Universität absolut untauglich ist, um den Grundrechtsschutz zu gewährleisten?

<http://www.uni-bielefeld.de/Universitaet/Aktuelles/pdf/backes_kurzfassung_telefonueberwachung.pdf&gt;

Die Studie zeigt auch, daß der Pflicht zur anschließenden Benachrichtigung der Betroffenen nur unzureichend nachgekommen wird. Ich teile angesichts dieser Studie nicht Ihre Ansicht, daß ein Richtervorbehalt den Bürger in irgendeiner Weise vor staatlicher Willkür schützt. Tut mir leid. Unter diesen Umständen fehlt mir auch jegliches Vertrauen, daß es sich ausgerechnet bei Online-Durchsuchungen anders entwickeln soll, als bei der Telefonüberwachung, die einst auch als absolute Ausnahme propagiert wurde und heute zur polizeilichen Standardmaßnahme verkommen ist:

<http://www.bundesnetzagentur.de/media/archive/13563.pdf&gt;

Sie schreiben weiter:

"Bestehen im Anschluss an die Durchführung einer sogenannten Online-Durchsuchung Zweifel, ob erhobene Daten dem Kernbereich der persönlichen Lebensgestaltung zuzurechnen und damit zu löschen sind, sind diese dem anordnenden Gericht vorzulegen."

Nur sind dem Staat damit auch die eigentlich geschützten Daten zur Kenntnis gebracht woden, denn sowohl diejenigen, die mit der Erfassung betraut sind, als auch diejendigen, die die Daten anschließend aussortieren - einschließlich des damit beauftragten Gerichts- repräsentieren den Staat und bekommen bei dieser Arbeit eben jene intimen Daten zu Gesicht, die sie nach dem Urteil des BVerfG eigentlich nicht zu Gesicht bekommen sollten. Sind sie anderer Meinung? Und warum?

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Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Wacker,

lassen Sie mich auf Ihre Bedenken hinsichtlich der Tauglichkeit der im Entwurf des BKA-Gesetzes enthaltenen Vorschriften zum effektiven Grundrechtsschutz des Betroffenen bei der Maßnahme der so genannten Online-Durchsuchung eingehen:

Sie bezweifeln die Tauglichkeit des Richtervorbehalts und der Benachrichtigungspflichten zum Grundrechtsschutz des Betroffenen. In seiner Entscheidung vom 27. Februar 2008 hat das Bundesverfassungsgericht ( http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rs20080227_1bvr037007.html ) ausdrücklich gefordert, dass eine Ermächtigung zur so genannten Online-Durchsuchung mit geeigneten gesetzlichen Vorkehrungen verbunden werden muss, um die Interessen des Betroffenen verfahrensrechtlich abzusichern. Als insoweit besonders geeignete gesetzliche Vorkehrung sieht das Gericht den Vorbehalt einer richterlichen Anordnung an, da dieser die vorbeugende Kontrolle einer geplanten heimlichen Ermittlungsmaßnahme durch eine unabhängige und neutrale Instanz ermögliche. Diese Kontrolle könne gewährleisten, dass die Entscheidung über eine heimliche Ermittlungsmaßnahme auf die Interessen des Betroffenen hinreichend Rücksicht nimmt. Jedenfalls soweit eine heimliche Ermittlungsmaßnahme einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff bewirkt, hält das Gericht eine vorbeugende Kontrolle durch eine unabhängige Instanz für verfassungsrechtlich geboten, weil der Betroffene sonst ungeschützt bliebe. Auch im Hinblick auf die Benachrichtigungspflicht geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass diese der Gewährleistung des effektiven Schutzes der betroffenen Grundrechte dient und damit taugliches Mittel zum Grundrechtsschutz ist ( http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rs20040303_1bvr237898.html ). Ich sehe keinen Anlass, an der Richtigkeit dieser Einschätzung zu zweifeln. Die Ausgestaltung der Befugnisnorm zur so genannten Online-Durchsuchung geht mit dem Richtervorbehalt und der Pflicht zur Benachrichtigung auf die Hinweise der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zum Grundrechtsschutz voll ein.

Es handelt sich im Übrigen bei der Maßnahme der Telekommunikationsüberwachung nicht um eine polizeiliche Standardmaßnahme. Die Durchführung ist nur unter engen Voraussetzungen und auf Grundlage einer richterlichen Entscheidung zulässig. Für die von Ihnen erwähnte Zunahme der Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen sind Veränderungen im Kommunikationsverhalten verantwortlich, die auch neue Rahmenbedingungen für polizeiliche Ermittlungen setzen. Dies hat eine Studie des Max-Planck-Instituts aus diesem Jahr erneut bestätigt ( http://www.bmj.bund.de/files/2faead151962190089a969b4332b145d/3045/MPI-GA-2008-02-13%20Endfassung.pdf ) .

Im Hinblick auf die Regelung zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung bemängeln Sie, dass die Vorschrift die Kenntnisnahme von solchen Inhalten zulasse, da die erhobenen Daten erst bei Zweifeln über die Zugehörigkeit zu diesem Bereich dem anordnenden Gericht vorzulegen sind. Ihrer Auffassung, dass dies im Widerspruch zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Februar 2008 (vgl. oben) stehe, muss ich ebenfalls widersprechen. In seiner Entscheidung stellt das Bundesverfassungsgericht zunächst ausdrücklich klar, dass das Risiko einer Kernbereichsverletzung es verfassungsrechtlich nicht erforderlich macht, den Zugriff auf informationstechnische Systeme zu unterlassen. Ausreichend sei es vielmehr, so weitgehend wie möglich sicherzustellen, dass Daten mit Kernbereichsbezug nicht erhoben werden. Da sich die Kernbereichsrelevanz der erhobenen Daten vor oder bei der Datenerhebung vielfach nicht wird klären lassen, fordert das Gericht, ein geeignetes Verfahren zum Schutz des Kernbereichs bei der Auswertung zu schaffen. Entscheidende Bedeutung spricht das Gericht insoweit der Durchsicht der erhobenen Daten auf kernbereichsrelevante Inhalte zu. Ergebe die Durchsicht, dass kernbereichsrelevante Daten erhoben wurden, seien diese unverzüglich zu löschen. Das Bundesverfassungsgericht zeigt damit, dass eine erstmalige Kenntnisnahme der erhobenen Daten gerade auch zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung unerlässlich ist.

Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Dr. Wolfgang Schäuble