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Frage von Christian D. •

Frage an Wolfgang Schäuble von Christian D. bezüglich Recht

Sehr geehrter Herr Schäuble,

ich kenne von Ihnen die Aussage, dass ein Flugzeug abgeschossen werden soll, wenn es von Terroristen entführt wurde und die Gefahr besteht, dass die Terroristen eine noch grössere Menge an Menschen töten könnten als die Flugzeuginsassen.
Diese Meinung ist für mich nicht nachvollziehbar, da damit aus meiner Sicht gegen Artikel 1 Absatz 1 GG (Unantastbarkeit der Menschenwürde) verstoßen wird.
Ist dies nicht ein Töten auf Spekulation? Wir wissen ja nicht, ob es wirklich passiert, dass das Flugzeug andere Menschen tötet. Zudem besteht die Gefahr, dass hier Menschen gegen Menschen aufgerechnet werden d.h. wo werden möglicherweise mehr Menschen getötet und dies die Grundlage für das Handeln des Staates ist.
Wo liegt die rechtliche Grundlage auf deren Basis das Flugzeug abgeschossen werden darf?
Oder ist die Option Flugzeuge abzuschießen bereits vom Tisch?

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Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Decker,

die Frage der Einwirkung auf von Terroristen entführte Passagierflugzeuge - ein Szenario, das als RENEGADE-Lage bezeichnet wird und spätestens seit dem 11. September 2001 als nicht realitätsfern angesehen werden kann - war Gegenstand des Anfang 2005 unter rot-grüner Regierungsverantwortung verabschiedeten Luftsicherheitsgesetzes.

Zu diesem Gesetz hat das Bundesverfassungsgericht am 15. Februar 2006 (BVerfGE 115, 118) entschieden, dass eine Rechtsgrundlage, die im Rahmen der Amtshilfe den Abschuss eines mit unschuldigen Dritten besetzten Passagierflugzeugs mit militärischen Mitteln erlaubt, mit der Verfassung nicht vereinbar ist.

In diesem Urteil hat sich das Bundesverfassungsgericht sowohl mit dem - bei jedem Handeln im Bereich der Gefahrenabwehr naturgemäß gegebenen - Prognoserisiko als auch mit der Problematik der Abwägung "Leben gegen Leben" im Zusammenhang mit den grundrechtlichen Garantien des Rechts auf Leben (Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 GG) und der Menschenwürde (Artikel 1 Abs. 1 GG) auseinandergesetzt. Diese Garantien stehen als sog. Abwehrrecht den Passagieren des Flugzeugs und als sog. Schutzpflicht der Bevölkerung am Boden zur Seite. Dieses Urteil hat im juristischen Schrifttum eine große und kontroverse Resonanz gefunden.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil Fallkonstellationen und Rechtserwägungen bewusst offen gelassen, die über die streitgegenständliche Regelung des damaligen Luftsicherheitsgesetzes hinausgehen. Dies betrifft insbesondere Fragen der strafrechtlichen Einschätzung eines Abschussbefehls und der Abschusshandlung sowie Szenarien, in denen - über die Frontstellung Leben (der Passagiere) gegen Leben (der Menschen auf dem Boden) hinaus - das Staatsganze betroffen ist.

Aufgabe der Politik ist, unter Beachtung der verbindlichen Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts die Sicherheit im erforderlichen Maß zu gewährleisten und Sicherheitslücken zu schließen. Um dieses zu leisten, befindet sich die Regierungskoalition in einem - der Schwierigkeit und Komplexität der Sach- und Rechtslage Rechnung tragenden - Diskussionsprozess.

Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Dr. Wolfgang Schäuble