Frage an Wolfgang Schäuble von Thomas F. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Schäuble,
was beabsichtigen Sie mit Ihrem Vorschlag, den Europa-Präsidenten direkt vom Volk wählen zu lassen?
Werfen Sie hier Nebelkerzen, auf welche sich die unkritische deutsche Presse stürzen kann, während Sie weiter an Ihrer Idee eines diktatorischen Europa arbeiten?
Ihr Vorschlag ist schon deshalb scheinheilig und unglaubwürdig, da das deutsche Volk weder über die Einführung des Euro, noch über den Vertrag von Lissabon frei entscheiden konnte.
Welches Verständnis eines "Demokraten" Sie vertreten, haben Sie übrigens mit Ihrer Rede im "European Banking Congress" dargelegt.
Mit Grüßen
Thomas Fischer
Sehr geehrter Herr Fischer,
die von unserem Grundgesetz vorgesehene Demokratieform ist die repräsentative Demokratie, bei der das Volk durch Wahlen Repräsentanten ins Parlament entsendet. Plebiszitäre Elemente sind nur in Art. 29 Abs. 1 S. 2 GG (Neugliederung des Bundesgebiets) und Art. 146 GG (Ablösung des bisherigen GG durch eine neue Verfassung) enthalten. Wollte man weitere Elemente direkter Demokratie auf Bundesebene einführen, müsste zunächst das Grundgesetz geändert werden. Verschiedene Gründe sprechen jedoch gegen eine solche Änderung.
Die Entscheidungsfindung im politisch-parlamentarischen Prozess ist auf einen möglichst gerechten und sachdienlichen Interessenausgleich gerichtet. Bei einem Plebiszit würden dagegen hoch komplizierte Sachverhalte auf ein „Ja“ oder „Nein“ reduziert werden. Auch die konkrete Entscheidungsvorlage, auf Grund derer über die Zustimmung oder Ablehnung eines Vorhabens entschieden werden soll, wäre im Abstimmungsprozess nicht mehr änderbar. Hinzu kommt, dass das Grundgesetz ein ausdifferenziertes System von gegenseitiger Kontrolle durch die Verfassungsorgane vorsieht, welches durch direktdemokratische Elemente aus dem Gleichgewicht gebracht werden kann.
In der Entscheidungsform der unmittelbaren Demokratie können situationsbedingte Stimmungen eine größere Rolle spielen als beim parlamentarischen Entscheidungsverfahren. Erfahrungen mit Volksentscheiden auf kommunaler Ebene und Länderebene belegen, dass die Chancen für eine Verhinderungsmehrheit im Zweifel größer sind als die für eine Gestaltungsmehrheit, weil sich die Gegner eines Vorhabens oftmals stärker engagieren als die Befürworter.
Entscheidungen, welche die Mitgliedschaft Deutschlands in der Europäischen Union und der Europäischen Währungszone betreffen, sind in besonderem Maße von umfangreichen Zusammenhängen und Wechselwirkungen getragen, deren Reduzierung auf eine Frage nicht den verschiedenen Anforderungen gerecht wird. Anders verhält es sich mit einer Personendirektwahl. Ausschlaggebend ist dabei nicht, welches der möglichen Ämter durch die Wahl besetzt wird. Vielmehr ginge es darum, eine europäische Führungspersönlichkeit in einer europäischen Wahl zu wählen, um so Nähe und Transparenz entstehen zu lassen. Durch das Verfahren der Direktwahl kann eine europäische Öffentlichkeit und damit ein stärkeres europäisches Bewusstsein in der Bevölkerung geschaffen werden.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Wolfgang Schäuble