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Frage von Michael B. •

Frage an Wolfgang Schäuble von Michael B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Dr. Schäuble,

1.) Wie ich aus einem Ihrer Interviews in der Welt Online entnehmen konnte, zollen Sie dem griechischen Ministerpräsidenten Giorgos Papandreou großen Respekt für seine Entscheidung, das griechische Volk durch ein Referendum an der Entscheidung für die Sparmaßnahmen teilhaben zu lassen, inkl. aller möglichen Risiken für das Land und ihn selbst.

Frage 1:
Auch hier in Deutschland leben wir in einer Demokratie. Warum werden wir per Referendum nicht in diese Entscheidungen miteinbezogen? Ein Großteil der Bevölkerung möchte keine weiteren Hilfen für den Euro-Rettungsschirm leisten. Doch das wird von der Regierung komplett ignoriert.

2.) Der milliardenschwere Rechenfehler bei der Hypo Real Estate (HRE) sei durch ein "Missverständnis" entstanden. Sie sind besorgt über die Wirkung des Vorfalls auf die Bürger: Es bestehe die Gefahr, dass dadurch "das Vertrauen der Bevölkerung in die Seriosität der Finanzinstitutionen" erschüttert werde. Personelle Konsequenzen aus der Panne lehnen Sie ab. Alle Beteiligten hätten Besserung gelobt.

Frage 2:
Entschuldigung Herr Dr. Schäuble, aber in welcher Welt leben Sie?
Das Vertrauen der Bürger in das Finanzsystem ist bereits stark beschädigt. Und dieses milliardenschwere "Missverständnis" hilft in der Tat nicht, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen.
Was aber noch weniger hilft, Vertrauen zurück zu gewinnen, ist die Tatsache, dass die ganzen Fehler völlig ohne Konsequenzen bleiben.
Erklären Sie dem bitte dem Bürger, dass da jemand oder auch mehrere einen milliardenschweren Rechenfehler gemacht haben, der aber völlig ohne Nachwirkungen bleibt.

Wie wollen Sie einem Durchschnittsarbeitnehmer vermitteln, dass in Banken und in der Politik gemacht werden kann, was die Damen und Herren da oben wollen, ohne das es bei Fehlern auch nur eine kleine Konsequenz gibt?

Mit freundlichen Grüßen

M. Beer

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Beer,

die von unserem Grundgesetz vorgesehene Demokratieform ist die repräsentative Demokratie, bei der das Volk durch Wahlen Repräsentanten ins Parlament entsendet. Plebiszitäre Elemente sind nur in Art. 29 Abs. 1 S. 2 GG (Neugliederung des Bundesgebiets) und Art. 146 GG (Ablösung des bisherigen GG durch eine neue Verfassung) enthalten. Wollte man weitere Elemente direkter Demokratie auf Bundesebene einführen, müsste zunächst das Grundgesetz geändert werden. Verschiedene Gründe sprechen jedoch gegen eine solche Änderung.

Die Entscheidungsfindung im politisch-parlamentarischen Prozess ist auf einen möglichst gerechten und sachdienlichen Interessenausgleich gerichtet. Bei einem Plebiszit würden dagegen hoch komplizierte Sachverhalte auf ein „Ja“ oder „Nein“ reduziert werden. Auch die konkrete Entscheidungsvorlage, auf Grund derer über die Zustimmung oder Ablehnung eines Vorhabens entschieden werden soll, wäre im Abstimmungsprozess nicht mehr änderbar. Hinzu kommt, dass das Grundgesetz ein ausdifferenziertes System von gegenseitiger Kontrolle durch die Verfassungsorgane vorsieht, welches durch direktdemokratische Elemente aus dem Gleichgewicht gebracht werden kann.

In der Entscheidungsform der unmittelbaren Demokratie können situationsbedingte Stimmungen eine größere Rolle spielen als beim parlamentarischen Entscheidungsverfahren. Erfahrungen mit Volksentscheiden auf kommunaler Ebene und Länderebene belegen, dass die Chancen für eine Verhinderungsmehrheit im Zweifel größer sind als die für eine Gestaltungsmehrheit, weil sich die Gegner eines Vorhabens oftmals stärker engagieren als die Befürworter.

Entscheidungen, welche die Mitgliedschaft Deutschlands in der Europäischen Union und der Europäischen Währungszone betreffen, sind in besonderem Maße von umfangreichen Zusammenhängen und Wechselwirkungen getragen, deren Reduzierung auf eine Frage nicht den verschiedenen Anforderungen gerecht wird.

Zu Ihrer zweiten Frage: Ich habe öffentlich zu verstehen gegeben, dass ich den technischen Fehler für sehr ärgerlich halte. Im Ergebnis kann festgehalten werden, dass Deutschland durch den technischen Fehler keinen Vermögensschaden erlitten hat. Die in den Medien genannten 55,5 Mrd. Euro sind aber bei der Berechnung der Maastricht-Schuldenquote von Bedeutung. Die Aufdeckung des Saldierungsfehlers führt dazu, dass Deutschland nun eine geringere Schuldenquote nachweisen kann. Die Bundesbank wurde damit beauftragt, umfassende Untersuchungen der Ursachen und Hintergründe vor Ort aufzunehmen. Erst wenn das Untersuchungsergebnis vorliegt und ausgewertet wurde, ist zu entscheiden, ob zusätzliche Maßnahmen erforderlich sind.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Wolfgang Schäuble