Frage an Wolfgang Schäuble von Dirk J. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Moin Moin Dr. Wolfgang Schäuble,
warum wurde der Artikel 146 des Grundgesetzes, nach 20 Jahren Deutscher Einheit, noch immer nicht umgesetzt?
Und wann wird der Artikel 146 des GG umgesetzt?
MfG D. Jensen
Sehr geehrter Herr Jensen,
das Grundgesetz ist die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland. Es war zur Zeit seiner Entstehung im Jahre 1949 zunächst als eine Übergangsordnung bis zur Wiedervereinigung Deutschlands gedacht. Deshalb wurde auch die Bezeichnung "Grundgesetz" statt "Verfassung" gewählt. Mit Vollzug der staatlichen Einheit am 3. Oktober 1990 ist das Grundgesetz aber zur gesamtdeutschen Verfassung geworden, die nicht mehr nur übergangsweise Geltung beansprucht.
Art. 146 Grundgesetz (GG) ermöglicht es im Hinblick auf seine Entstehungsgeschichte, eine neue Verfassung im Wege einer Volksabstimmung zu erlassen. Er enthält jedoch keine Verpflichtung hierzu. Die Gemeinsame Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat, die 1993 über mögliche weitere Verfassungsänderungen im Zusammenhang mit der Wiederherstellung der staatlichen Einheit zu beraten hatte, erörterte auch eingehend die Frage eines Verfassungsreferendums auf Grundlage des Art. 146 GG. Die Kommission war mehrheitlich der Ansicht, dass das Grundgesetz bereits jetzt uneingeschränkt demokratisch legitimiert sei. Durch die mit verfassungsändernder Mehrheit getroffenen Beschlüsse der Volkskammer und des Deutschen Bundestages und Bundesrates sei eindeutig zum Ausdruck gebracht worden, dass das Grundgesetz die gesamtdeutsche Verfassung sei. Eine Volksabstimmung könne der Legitimation des Grundgesetzes nichts Wesentliches mehr hinzufügen. Weitere Einzelheiten können Sie dem Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission entnehmen (BT-Drucksache 12/6000, S. 108 ff.).
Zudem enthält Art. 146 GG keinen Auftrag zur Durchführung eines Verfassungsreferendums. Weder aus dem Wortlaut noch aus der Entstehungsgeschichte der Norm ergeben sich Anhaltspunkte für eine entsprechende Verpflichtung. Ebenso wenig ist die unmittelbare Zustimmung des Volkes in Form eines Verfassungsreferendums notwendige Voraussetzung einer demokratischen Verfassung.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Wolfgang Schäuble