Frage an Wolfgang Schäuble von Michael K. bezüglich Recht
Sehr geehrter Herr Schäuble,
Mit Schrecken sehe ich, dass die Polizei inzwischen bei Demonstrationen in großem Stil Filmaufnahmen macht. Oft auch im Verborgenen. Obwohl die Demonstrationen harmlos sind. Dazu habe ich mehrere Fragen:
1. Warum werden die Aufnahmen gemacht?
2. Wo und wie lange werden diese Aufnahmen gespeichert?
3. Wer darf darauf zugreifen?
4. Besitze ich als Bürger ein Recht, diese Aufnahmen einzusehen? (angenommen, man wurde selbst gefilmt)
5. Wenn nein, wann kommt ein Gesetz, dass einem dieses Recht einräumt?
Sehr geehrter Herr Kaufmann,
nach Artikel 8 Absatz 1 des Grundgesetzes haben alle Deutschen das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Dieses Grundrecht ermöglicht dem Bürger, sich aktiv am politischen Meinungs- und Willensbildungsprozess zu beteiligen. Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht nach Artikel 8 Absatz 2 GG durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden. Die maßgeblichen Regelungen hierzu finden sich im Versammlungsgesetz des Bundes (VersammlG). Nach Wegfall der Bundeszuständigkeit für das Versammlungsrecht im Zuge der Föderalismusreform vom 28. August 2006 können die Länder jedoch eigene Landesversammlungsgesetze erlassen. Dort bildet dann das jeweilige Landesversammlungsgesetz die Rechtsgrundlage für so genannte polizeiliche Übersichtsmaßnahmen bei Versammlungen. Solange ein Land von seiner Kompetenz keinen Gebrauch gemacht hat, gilt das Versammlungsgesetz des Bundes weiter.
Übersichtsaufnahmen bei Demonstrationen dienen der Gefahrenabwehr bzw. der Verfolgung von Straftaten von Teilnehmern. Diese Maßnahmen richten sich gegen Störer, nicht gegen die Versammlung als solche oder gegen friedliche Versammlungsteilnehmer.
Bei Versammlungen darf die Polizei gem. § 12 a, § 19 a VersammlG Bild- und Tonaufnahmen von Versammlungsteilnehmern anfertigen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass von ihnen erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen. Dazu bedarf es also konkreter Anhaltspunkte. Eine Auswertung der Aufzeichnungen ist nur unverzüglich nach Beendigung der Versammlung zulässig. Das Material wird durch die zuständigen Beamten gesichtet und entsprechend der gewonnenen Erkenntnisse ggf. den Sicherheitsbehörden übermittelt. Die Löschung der von der Polizei im Rahmen von Versammlungen erhobenen personenbezogenen Daten richtet sich nach § 12 a Abs. 2 VersammlG. Danach sind die Unterlagen nach Beendigung der öffentlichen Versammlung oder zeitlich und sachlich damit unmittelbar im Zusammenhang stehender Ereignisse unverzüglich zu vernichten, soweit sie nicht "für die Verfolgung von Straftaten von Teilnehmern oder im Einzelfall zur Gefahrenabwehr [benötigt werden], weil die betroffene Person verdächtigt ist, Straftaten bei oder im Zusammenhang mit der öffentlichen Versammlung vorbereitet oder begangen zu haben, und deshalb zu besorgen ist, dass von ihr erhebliche Gefahren für künftige öffentliche Versammlungen oder Aufzüge ausgehen".
Bei Veranstaltungen oder Ansammlungen, die nicht dem VersammlG unterliegen, finden sich die Rechtsgrundlagen für Bild- und Tonaufzeichnungen in den jeweiligen Sicherheits- und Ordnungsgesetzen der Länder bzw. § 26 Bundespolizeigesetz.
Für die Durchführung des Versammlungsgesetzes sind die Länder zuständig. Ansprüche auf Einsicht von Aufnahmen richten sich daher regelmäßig nach Landesrecht und sind vom konkreten Einzelfall abhängig.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Wolfgang Schäuble