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Frage von Jörg W. •

Frage an Wolfgang Schäuble von Jörg W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Schäuble,

sicherlich haben Sie als Innenminister in den letzten Tagen aufmerksam verfolgt, was in den letzten Tagen in Berlin passiert ist. Rumänische Roma sind als „Touristen“ eingereist, haben wochenlang in einem Park gelebt und haben dann, nachdem die Polizei sie von dort verwiesen hat, Forderungen nach kostenlosen Wohnungen in Berlin, medizinischer Versorgung, Arbeitsplätzen etc. gestellt und sogar verschiedene Einrichtungen besetzt (Siehe http://www.tagesspiegel.de/berlin/Roma-Kreuzberg-Spandau;art270,2811226 ).

Ab 2011 haben nun alle Osteuropäer ganz legal Zugang nach Deutschland und auch zu deutschen Sozialleistungen (ALG II), wenn sie in irgendeiner Form hier einmal legal – und dafür reicht eine kurzzeitige Minijob-Tätigkeit - aus gearbeitet haben bzw. selbstständig gemeldet sind. Die Einnahmen, die durch eine solche Tätigkeit erzielt werden, sind dabei laut einem aktuellen Berliner Gerichtsurteil unerheblich ( http://hartz-iv-urteile.blogspot.com/2008/10/sg-berlin-hartz-iv-fr-selbstndige-eu.html ).

Wie soll eigentlich nach 2011 wirksam verhindert werden, dass rasch hunderttausende von Osteuropäern aus Ländern wie Rumänien und Bulgarien oder der Slowakei nach Deutschland kommen, irgendeine eine selbstständige Tätigkeit anmelden und daraufhin Deutschland Sozialleistungen erhalten, obwohl sie hier nie in die Systeme eingezahlt haben?

Ich möchte noch darauf hinweisen, dass der Durchschnittslohn in Rumänien derzeit rund 350 Euro netto beträgt. Eine Familie mit zwei Kindern erhält in Deutschland jedoch etwa 1700 Euro als Minimum an ALG II, abhängig vom Wohnort.

Hat die Politik dieses Problem nicht gesehen, als die entsprechenden EU-Vereinbarungen zur Freizügigkeit unterzeichnet wurden? Und wie soll ab 2011 damit konkret umgegangen werden, wenn dieses Szenario eintritt und die Kosten für ALG II voraussichtlich explodieren werden? Werden dann die Steuern und Abgaben für die deutschen Beitragszahler massiv erhöht werden?

Mit freundlichen Grüßen

Jörg Weiss

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Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Weiss,

ich stimme mit Ihnen darin überein, dass es grundsätzlich nicht akzeptabel wäre, wenn Unionsbürger Freizügigkeitsrechte ausnutzen würden, allein um Leistungen aus den deutschen Sozialsystemen zu erhalten. Allerdings wurde sowohl auf europäischer Ebene als auch vom deutschen Gesetzgeber Vorsorge dafür getroffen, dass die Freizügigkeit nicht zu Sozialleistungstourismus und einer Zuwanderung in die Sozialsysteme führt.

So sind etwa nach den Bestimmungen des Sozialgesetzbuches, für das im Rahmen der Bundesregierung der Arbeitsminister die Verantwortung trägt, soziale Leistungen (z.B. ALG II) für Personen, die als Touristen nach Deutschland kommen, gesetzlich ausgeschlossen.

Grundsätzlich gilt das Recht auf Freizügigkeit nur für Unionsbürger, die erwerbstätig sind, sei es als Arbeitnehmer oder z.B. als selbständige Erwerbstätige. Nicht Erwerbstätige, die von Ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch machen wollen, müssen nachweisen, dass sie über Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügen. Nach den Europäischen Verträgen müssen die Unionsbürger, die von ihrer Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben, gleich behandelt werden wie eigene Staatsbürger.
Europäische Vorschriften und deutsche Bestimmungen sehen aber auch Maßnahmen
vor, um einem möglichen Missbrauch der Freizügigkeit zu begegnen. So kann
etwa das Recht auf Freizügigkeit auch entzogen werden.

Ich darf letztlich daran erinnern, dass Befürchtungen über "Einwanderungswellen" auch im Vorfeld früherer Erweiterungsrunden gelegentlich geäußert worden sind. Solche Sorgen haben sich im Nachhinein als unbegründet erwiesen. Deutschland ist im Gegenteil zu einem der größten Nutznießer der Erweiterung der Europäischen Union geworden.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Wolfgang Schäuble