Frage an Wolfgang Neškovic von Alfons S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Nešković,
ein Koalitionsvertrag ist nach meiner Ansicht ein Kartell, das den Zweck hat, denjenigen Vorteile zu verschaffen, die an dem Kartell beteiligt sind. Oberstes Staatsorgan ist nach unserer Verfassungswirklichkeit der Koalitionsausschuss. Er bestimmt die Richtlinien der Politik und er einigt sich darauf, wer Bundeskanzler und Minister wird. Das Parlament übernimmt in der Regel die Vorschläge. Interessant ist dabei nur, wieviele Abweichler es gibt, also wie fest die Fraktionsführung ihre Leute im Griff hat. Bei Wahlen, die ja geheim sind, ist die Aufregung groß, wenn die Mehrheiten knapp sind. Aber auch da wird fast immer so entschieden, wie es der Koalitionsausschuss festgelegt hat. Nur dann, wenn die Fraktionen die Abstimmung freigeben und keine Fraktionsdisziplin gilt, gibt es eine demokratische Abstimmung, bei der der einzelne Abgeordnete so entscheiden kann, wie er es für richtig hält.
Wie ist Ihre Meinung zu Koalitionsverträgen und zur Fraktionsdisziplin?
Mit freundlichen Grüßen
Alfons Schwarzenböck
Sehr geehrter Herr Schwarzenböck,
haben Sie Dank für Ihre Fragen.
1. Koalitionsverträge sind grundsätzlich sinnvolle Einrichtungen, um unter Vertragspartnern Klarheit über die wechselseitigen Rechte und Pflichten herzustellen. Das unterscheidet sie nicht von Verträgen im alltäglichen Leben. Allerdings zeigt die politische Wirklichkeit, dass solche Verträge nicht in der Lage sind, das nötige Maß an Verlässlichkeit herzustellen. Ähnlich wie im Straßenverkehr die Richtgeschwindigkeit lediglich eine Orientierung liefert, verhält es sich mit Koalitionsverträgen. Sie unterliegen der tagespolitischen Opportunität und tragen so eher zur Verwirrung als zur Klarheit bei.
2. Bei der Fraktionsdisziplin verhält es sich anders In der Verfassung finden sie keine Stütze. Im Gegenteil: In Artikel 38 Grundgesetz ist ausdrücklich festgehalten, dass die Abgeordneten "an Aufträge und Weisungen nicht gebunden" sind.
Die politische Wirklichkeit hat jedoch die Fraktionsdisziplin zu einem konstitutiven Element unserer parlamentarischen Demokratie gemacht. Ich glaube, wir hätten ein anderes (und besseres) Parlament, wenn die Fraktionsdisziplin als steuerndes Element verschwände. In den wenigen Fällen (PID, Patientenverfügung und anderen ethischen Fragen), in denen das Parlament ohne Fraktionszwang diskutiert und entschieden hat, hat es seine wahre politische Kraft gezeigt. Durch den Fraktionszwang ist es zur Abnickmaschine verkommen, während in den Entscheidungen ohne Fraktionszwang Sachlich- und Fachlichkeit bei der Meinungsbildung, strategisches und taktisches Denken sowie rhetorische Leidenschaft bei der Debatte sichtbar geworden sind.
Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Neskovic, MdB