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Wolfgang Kubicki
FDP
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Frage von Emanuel H. •

Frage an Wolfgang Kubicki von Emanuel H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Kubicki,

Sie stellen sich gegen die Videoüberwachung und fordern mehr „Datenschutz“ sowie „Wir brauchen vor allem mehr Personal“. http://www.tagesspiegel.de/politik/kubicki-zu-debatte-nach-anschlaegen-fdp-gegen-videoueberwachung-von-oeffentlichen-plaetzen/19195724.html

Hat die FDP in ihrer Meinungsbildung auch den Aspekt betrachtet, dass Verdächtige durch die Videoüberwachung von der Täterschaft ausgeschlossen werden können? Navid B. wurde nach dem Berlin Attentat auf den Weihnachtsmarkt zu Unrecht beschuldigt - seine Grundrechte sind auch jetzt noch massiv beeinträchtigt, er spricht über Morddrohungen: https://www.welt.de/politik/deutschland/article160709149/Die-Polizisten-fingen-an-mich-zu-ohrfeigen.html

Hätte die Video-Überwachung (bzw. auch weitere moderne Fahndungsmethoden) dabei helfen können, die Täterschaft Navid B. rechtzeitig auszuschließen, bevor die Falschmeldung an die Presse durchsickerte? Die Berliner Polizei musste nach dem Attentat mühsam Handyaufnahmen einsammeln, konnte nicht auf eigenes Videomaterial zugreifen.

Hat die FDP in der Abwägung über ein Für/Wider der Videoüberwachung jene Fälle betrachtet, wo Videoüberwachung die Bürgerrechte zusätzlich schützt, da Unschuldige früher von der Täterschaft ausgeschlossen werden können?

Wie steht die FDP zur Modernisierung von Polizei und Fahndung? Immerhin diskutiert man Industrie 4.0 und die Digitalisierung – aber auch „Digitale Disruption“ für die Organisationen, die zu spät kommen.

Eventuell haben Sie ja ein detaillierteres Positionspapier, ich würde ihre Argumentation gerne nachlesen.

mit freundlichen Grüßen,

Emanuel Hienstorfer

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Antwort von
FDP

Sehr geehrter Herr Hienstorfer,

vielen Dank für Ihre Fragen zur Videoüberwachung. Ich antworte Ihnen gerne.

Der Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt hat bestätigt, dass Videoüberwachung keinen Schutz vor terroristischen Anschlägen bietet. Vielmehr hat Anis Amri offenbar gerade Videoüberwachungskameras nach dem Anschlag dazu nutzen wollen, um vor ihnen zu posieren und damit zu zeigen, dass er sich von diesen nicht einschüchtern lasse.

Dass Navid B. zunächst festgesetzt wurde, weil er für den Verdächtigen gehalten wurde, ist sehr bedauerlich, lässt sich jedoch in einem Rechtsstaat nie ganz ausschließen. Rechtsstaatlich aber garantiert ist, dass Herr B. - nachdem seine Unschuld feststand - auch unverzüglich auf freien Fuß gesetzt wurde. Nicht nachvollziehbar und unverständlich ist, dass der Name von Herrn B. an die Presse gelangte. Dies muss zwingend Teil der Aufarbeitung dieses Falles sein.

Der Rechtsstaat hat selbstverständlich die Grundrechte aller Menschen zu schützen. Wenn Sie schreiben, dass Herr B. noch immer Morddrohungen erhalte, so muss dies genauso konsequent verfolgt werden.

Selbstverständlich wäre es technisch möglich, die flächendeckende Videoüberwachung in Deutschland einzuführen - mit welcher Begründung auch immer. Dies berührt jedoch ebenfalls grundrechtsrelevante Belange: In einem richtungsweisenden Urteil hat das Bundesverfassungsgericht zur Videoüberwachung im öffentlichen Raum festgestellt (1 BvR 2368/06): "Verdachtslose Eingriffe mit großer Streubreite, bei denen zahlreiche Personen in den Wirkungsbereich einer Maßnahme einbezogen werden, die in keiner Beziehung zu einem konkreten Fehlverhalten stehen und den Eingriff durch ihr Verhalten nicht veranlasst haben, weisen grundsätzlich eine hohe Eingriffsintensität auf." Solche Maßnahmen berühren damit das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und sind deshalb verfassungswidrig. Hierbei spielt keine Rolle, ob die flächendeckende Videoüberwachung mit Opfer- oder Verdächtigenschutz begründet wird.

Die FDP steht der Modernisierung von Polizei und Fahndung offen gegenüber. Wir sollten entsprechende Maßnahmen, wie zum Beispiel das sog. "predictive policing" auf Umsetzbarkeit und Wirksamkeit überprüfen.

Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Kubicki

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