Frage an Wolfgang Gehrcke-Reymann von chris s. bezüglich Finanzen
guten tag,
als freiberufliche selbständige bin ich ein opfer der MwSt.-/umsatzsteuererhöhung und das geht so:
ich bin dienstleisterin, verkaufe also nichts, was ich vorher eingekauft habe, so dass mich die vorsteuer wieder entlasten würde.
nein, ich berechne für meine leistungen honorare.
vor einigen jahren habe ich per ich-ag meine jetzige existenz gegründet, war bis 2006 von der umsatzsteuer befreit, da ich die steuerpflichtige umsatzgrenze nicht überschritt.
nun passierte folgendes:
ich mietete 2005 eine geschäftslokalität und hatte dadurch höhere kosten. demgemäß musste ich meinen umsatz steigern, geriet dadurch über die grenze und wurde somit ab 2006 umsatzsteuerpflichtig. gleichzeitig wurde die MwSt. erhöht.
meine situation:
ich war schlagartig knapp ein fünftel meines einkommens los.
die umsatzgrenze liegt mit 17.500 euro/jahr so niedrig, dass ich damit meine kosten unmöglich decken konnte. ich habe in 2005/6 bis zu 70 std/woche gearbeitet. mitten in 2006 habe ich erfahren, dass die umsatzgrenze überschritten war. ich musste die preise um 19% erhöhen. viele meiner kunden haben das nicht mitgemacht - unter anderem deshalb weil sie durch die MwST-erhöhung zu hohe belastungen hatten.
nun bin ich gesundheitlich angeschlagen, habe meine lokalität aufgeben müssen, kann nur noch auf halber kraft arbeiten, falle also wieder unter die besagte einkommensgrenze. trotzdem werden mir von meinen einnahmen für weitere vier jahre 19% vom finanzamt genommen. denn erst nach FÜNF JAHREN kann ich eine befreiung von der umsatzsteuer beantragen. solange muss ich zahlen, ob ich das geld habe, oder nicht.
frage:
weiß eigentlich jemand wie es den kleinunternehmern geht? hat man bei der MwSt-erhöhung an diese gruppe gedacht? und daran was sie für all die existenzgründungen per ich-ag in den letzten jahre bedeutet?
könnte man nicht wenigstens die umsatzsteuerveranlagung korrekt berechnen und nicht auf FÜNF rein fiktive jahre voraus?
viele kämpfen ums überleben...
mfg+danke
chris schweikart
Sehr geehrte Frau Schweikart,
so wie Sie Ihre Lage schildern, geht es auch vielen anderen Kleinstunternehmen in unserem Land, deren Situation seit langer Zeit sehr dramatisch ist. So machen Unternehmen mit weniger als fünf Beschäftigten einen gewaltigen Anteil an den Privatinsolvenzen aus. Viele Selbstständige in den „Ich-AG“en sind zusätzlich auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen, weil sie von ihrer Selbstständigkeit allein nicht leben können.
Ein wichtiges Problem von kleineren und mittleren Unternehmen ist nach wie vor die mangelnde Nachfrage. Wenn die Menschen kein Geld in der Tasche haben, bleiben die Aufträge aus und die Unternehmen leiden darunter. Deshalb brauchen wir einen gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 10€, ein Ende des Lohnverzichts bei Tarifverhandlungen und eine Erhöhung der Regelsätze für Hartz IV-Empfängerinnen und -empfänger, damit – gerade in Zeiten der Wirtschaftskrise – die Massenkaufkraft und die Binnennachfrage gestärkt werden. Hier ist auch der Staat gefordert, über Investitionen in saubere Energie, bessere Bildung und die Sanierung der Infrastruktur, die Nachfrage nach Dienstleistungen anzukurbeln und neue Arbeitsplätze zu schaffen.
Die Steuerlast in der Bundesrepublik ist sehr ungerecht verteilt. Die durchgeführte Mehrwertsteuererhöhung, deren Opfer Sie geworden sind, hat die unteren und mittleren Einkommen überproportional belastet. Eine sozialgerechte Steuerreform sollte vor allem die kleinen und mittleren Einkommensbezieher entlasten. Bisher schultern die abhängig Beschäftigten einen Großteil des Steueraufkommens. Gleichzeitig fallen im internationalen Vergleich die auf Unternehmens- und Vermögenseinkommen erhobenen Steuern in der BRD viel zu gering aus. Hier gilt es im wahrsten Sinne des Wortes umzusteuern und die Spitzenverdiener, große Erbschaften, Finanzgeschäfte und die großen Unternehmen endlich angemessen zu belasten.
Zu Ihrer Frage bezüglich der Umsatzsteuerbefreiung möchte ich auf unser Bundestagswahlprogramm verweisen. Hierin fordert DIE LINKE., den ermäßigten Umsatzsteuersatz von sieben Prozent auf Produkte und Dienstleistungen für Kinder, apothekenpflichtige Arzneimittel und arbeitsintensive Dienstleistungen des Handwerks sowie Hotellerie und Gastronomie auszuweiten. Zudem setzen wir uns für Regelungen ein, nach denen kleine Unternehmen und Selbstständige bei einer Rechnung die Umsatzsteuer erst nach dem Zahlungseingang abführen müssen. Insgesamt gilt es gerade für kleine und mittlere Unternehmen eine passfähige Steuer- und Förderpolitik zu entwickeln.
Um die Situation von Selbstständigen in „Ich-AG“en zu verbessern, hat unsere Fraktion zudem einen Antrag in den Bundestag eingebracht, mit dem die Mindestbeiträge zur Gesetzlichen Krankenversicherung abgesenkt werden sollten.
Sollten Sie noch an genaueren Informationen zu unseren Positionen zu den Fristen für die Umsatzsteuerbefreiung interessiert sein, darf ich Sie an die steuerpolitische Sprecherin unserer Fraktion, die Abgeordnete Dr. Barbara Höll verweisen. Ich bitte Sie um Verständnis, dass mein Fachgebiet, die Internationale Politik, es nicht zulässt, sich in alle Details der Steuergesetzgebung einzuarbeiten.
Mit freundlichen Grüßen,
Wolfgang Gehrcke