Frage an Wolfgang Gehrcke-Reymann von Joachim M. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Herr Gehrcke-Reymann,
Sie haben gegen die Mehrwertsteuererhöhung gestimmt. Jedoch fordert Ihre Partei höhere Staatseinnahmen, um mehr soziale Gerechtigkeit zu schaffen. Wie wollen Sie diese erreichen?
Sie wissen, dass ein Kapitalbesteuerung auf Grund der Kapitalmobilität sinnlos wäre.
Damit würde, nachdem Sie indirekte Steuern anscheinend ablehnen, nur eine direkte Einkommensbesteuerung möglich.
Ich habe bereits eine 55 % Abgaben- und Steuerquote ... Ich weiß nicht, ob ich bei meinen Stundenlohn (denn der ist entscheidend) bereit bin noch mehr Lasten zu tragen.
Als zweite Frage wüsste ich daher gerne, wie Sie das Bildungsbürgertum im Land halten wollen, wenn Sie dieser Mittelschicht die gesamten Kosten aufbürden.
Ich denke, und da bin ich nicht alleine, dass bei 60 % Abgabe bei mir Schluss ist. Verwandte von mir leben in London. Und die haben dort (bei gleichem Gehalt und Anpassung der höheren Lebenshaltungskosten und Versicherungen) mehr in der Tasche am Monatsende.
Da man aber in London schon mal mehr als in Frankfurt verdient, wäre das ein doppelter Grund zu gehen.
Daher wäre ich dankbar wenn Sie mir die beiden Fragen beantworten würden:
1. Wie wollen sie realisitisch mehr Steuereinnahmen generieren?
2. Warum sollte man dann nicht "fliehen"?
Mit freundlichen Grüßen
Joachim Merten
Sehr geehrter Joachim Merten,
die Bundesrepublik ist ein sehr reiches Land, welches sich angesichts einer immer größer werdenden Kluft zwischen Arm und Reich dringend mehr soziale Gerechtigkeit leisten kann und muss. In den letzten Jahren wurde von der herrschenden Politik eine gewaltige Umverteilung von Unten nach Oben betrieben. Spitzenverdiener und Konzerne wurden entlastet, während gleichzeitig der Sozialstaat massiv gekürzt wurde und sich die Lebensbedingungen für viele Menschen verschlechtert haben. Das Ergebnis ist öffentliche Armut und privater Reichtum. Gerade in der jetzigen tiefen Krise der Weltwirtschaft muss ein sozialgerechtes Steuersystem dafür sorgen, dass die öffentliche Hand handlungsfähig bleibt und die Kosten der Krise nicht weiter auf die Mehrheit der Bevölkerung abgewälzt werden.
DIE LINKE. fordert daher, wie Sie in Ihrer Frage ganz richtig schreiben, eine Verbesserung der Staatseinnahmen. Die von der Großen Koalition durchgeführte Mehrwertsteuererhöhung ist aber der falsche Weg, weil sie die unteren und mittleren Einkommen überproportional belastet. Eine sozialgerechte Steuerreform sollte vor allem die abhängig Beschäftigten und die Mittelschichten entlasten. Bisher schultern diese Bevölkerungsgruppen einen Großteil des Steueraufkommens, so wie Sie es für ihren Fall auch schildern. Gleichzeitig fallen im internationalen Vergleich die auf Unternehmens- und Vermögenseinkommen erhobenen Steuern in der BRD viel zu gering aus. Unsere Vorstellungen von einem gerechten Steuersystem beinhalten deshalb u.a. die Anhebung des Spitzensteuersatzes auf 53%, eine lineare Besteuerung von Einkommen, eine höhere Erbschaftssteuer sowie die Erhebung einer Vermögenssteuer als Millionärssteuer. Große Unternehmen sollen durch die Rücknahme der Senkung der Körperschaftssteuer angemessen an der Finanzierung öffentlicher Aufgaben beteiligt werden.
Um die Steuerflucht zu beenden, die - wie die Erhebungen immer wieder belegen - ein großes Problem in der BRD darstellt, und die private "Kapitalmobilität" zu begrenzen, müssen den Finanzmärkten und der Spekulation internationale Regeln und Grenzen gesetzt werden. Eine Börsenumsatzsteuer, die Einschränkung von spekulativen "Finanzprodukten", wie Hedgefonds oder Private Equity sowie eine Austrocknung von Steueroasen können hierfür erste wichtige Schritte sein.
Im Übrigen bin ich der festen Überzeugung, dass eine öffentlich über Steuern finanzierte breite soziale Infrastruktur, die eine flächendeckende und barrierefreie Versorgung der Bevölkerung mit so wichtigen Gütern wie Bildung, Kultur, Mobilität sowie einen Schutz vor Armut und Elend in Krankheitsfällen und im Alter gewährleistet, die beste Garantie dafür ist, den Menschen hier zu Lande wie überall in der Welt lebenswerte Perspektiven in einer gerechten Gesellschaft zu ermöglichen.
Mit freundlichen Grüßen,
Wolfgang Gehrcke