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Wolfgang Gehrcke-Reymann
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Frage von Dieter K. •

Frage an Wolfgang Gehrcke-Reymann von Dieter K. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrter Herr Gehrcke-Reymann,

in einem Interview mit frontal 21 (Thema "Positivliste") antwortete Ihr Parlamentskollege Horst Seehofer vor längerer Zeit auf die Frage:

"Heißt das dann, dass die Lobby wirklich so stark war, dann die Pharmalobby, gegen die Politik und Sie quasi dann zurückziehen mußten?"

wie folgt:

"Ja, das ist so seit 30 Jahren bis zur Stunde, dass sinnvolle, strukturelle Veränaderungen, auch im Sinne von ´mehr sozialer Marktwirtschaft´ im Gesundheitswesen nicht möglich sind wegen des Widerstandes der Lobbyverbände."

Diese Grundaussage verstärkte er im weiteren Verlauf des Interviews ausdrücklich und er sprach von der Machtlosigkeit der Politik.

Sehen Sie, sehr geehrter Herr Gehrcke-Reymann, die Lage heute ähnlich wie Ihr erfahrener Parlamentskollege damals?
Wenn ja, wann wird der Lobbyeinfluss im parlamentarischen Alltag am intensivsten spürbar?
Wenn nein: Was,wie und warum hat sich die Situation wesentlich verändert?
Für wie stark halten Sie persönlich den Einfluss von Lobbyverbänden auf die aktuelle Politik?
Spielte dieser Einfluss auch bei der Gestaltung des aktuellen Sparpakets eine wichtige Rolle -Stichwort Subventionsabbau- ?

Link zum Interview mit Horst Seehofer: http://www.diebuergerlobby.de/wirtschaft/6025/

Vielen Dank für eine klare Stellungnahme.

Freundliche Grüße aus Frankfurt
Dieter Klemke

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Klemke,

vielen Dank für Ihre Anfrage.

Horst Seehofer hat mit seiner Einschätzung recht. Der Einfluss der Lobbyverbände auf die Politik ist enorm, und er ist vor allem nicht öffentlich. Lobbyismus findet in Grauzonen statt und entzieht sich jeglicher Kontrolle. Die mächtigsten Lobbygruppen sind nicht durch viele Unterstützer gekennzeichnet, ihnen stehen aber hohe Summen zur Verfügung, mit denen sie Kampagnen finanzieren können und - wie mehrfach öffentlich wurde - auch bestechen können. Sie repräsentieren häufig eine große wirtschaftliche Machtfülle, die sie rücksichtlos in die Waagschale werfen, um ihre Interessen durchzusetzen. Damit wird der Parlamentarismus, der ja eine Grundsäule unserer Demokratie ist, ausgehebelt.

Sichtbar wird das Wirken der Lobbygruppen dann manchmal an Punkten, die öffentlich stark umstritten sind, wie der Gesundheitspolitik; in der Rüstungspolitik funktioniert die Lobby-Arbeit dagegen meist geräuschlos. Und natürlich haben die Lobby-Gruppen des Bankensektors und allgemein der Unternehmerverbände sich durchgesetzt. Wobei gesagt werden muss, dass die Regierungskoalition auch ohne die Lobby-Gruppen eine kapitalfreundliche Politik machen würde. Aber selbst übergreifendes Kapitalinteresse, wie die Re-Regulierung des Kapitalmarkts kann sich dann ggf. nicht gegen harte Pressure-Groups mit Sonderinteressen durchsetzen.

Die Situation hat sich insofern verändert, als die Lobby-Gruppen ihre Arbeit sehr massiv auf die europäische Ebene verlegt haben. Die Regierungen der europäischen Staaten streben die Einigungen über ihre Politik ja immer weniger auf nationaler Ebene an, indem sie Mehrheiten in Parlament und Gesellschaft suchen, sondern indem sie auf EU-Ratsebene die Politik aushandeln und mit den europäischen Anforderungen wieder auf der nationalen Bühne erscheinen. Damit werden aus den Entscheidungen „Sachzwänge“, die von Brüssel kommen. Im Dunkeln bleibt, wer sie nach Brüssel gebracht hat, wer dort welche Politik verfolgt hat und wer sich warum durchgesetzt hat. Und auf europäischer Ebene sind die Lobby-Gruppen noch weniger dem Licht der Öffentlichkeit ausgesetzt wie auf nationaler Ebene. Die EU gibt dem ganzen Lobbyismus dann auch noch einen scheindemokratischen Anstrich, weil die Lobbygruppen veröffentlicht werden, jede Gruppe sich dort „akkreditieren“ kann, auch Umwelt-, Frauen-, Friedensgruppen. Die Machtverteilung wird dadurch aber nicht angetastet. Für kleine, zudem linke Oppositionsparteien wird der Lobbyismus eher nicht unmittelbar spürbar, wir spüren ihn indirekt, so wie die Bürgerinnen und Bürger des Landes, die mit den Ergebnissen konfrontiert werden. Aber die Parlamentarier der Regierungsparteien stöhnen schon auch hörbar unter der Plage.

Ich hoffe, dass Sie meine Antwort zufrieden stellt und grüße Sie freundlich

Wolfgang Gehrcke