Frage an Wolfgang Gehrcke-Reymann von Julia D. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Gehrcke-Reymann,
mein Name ist Julia Dreyer, bin 16 Jahre alt und gehe derzeit auf das Gymnasium in Neustadt am Rübenberge. Im Fach Politik behandeln wir derzeit das Thema deutsche Sicherheitspolitik. Ich interessiere mich hierbei speziell für das deutsche Engagement in Afghanistan. Ich möchte Sie daher bitten, mir Ihre Sicht zu folgenden Fragen mitzuteilen:
i) In Afghanistan beteiligen sich deutsche Soldaten an Einsätzen, bei denen es immer zu Opfern unter der Zivilbevölkerung kommt. Aktuell sei hier der der alliierten Luftwaffe auf einen entführten Tanklaster genannt, der auf Anforderung eines deutschen Oberst erfolgte. Sehen Sie Opfer unter der Zivilbevölkerung als gerechtfertigt?
ii) Neben den zivilen Opfern sind auch immer wieder Verletzte oder gar getötete deutsche Soldaten zu beklagen. Ist der Einsatz angesichts der Opfer weiterhin noch zu rechtfertigen?
iii) Der deutsche Einsatz in Afghanistan dauert mittlerweile schon viele Jahre an. Wie lange sollen die deutschen Soldaten noch weiterhin im Einsatz bleiben? Wie und wann soll nach Ihrer Meinung der Rückzug erfolgen?
Ich möchte mich an dieser Stelle für Ihre Bemühungen im Voraus bedanken.
Mit freundlichem Gruß
Julia Dreyer
Sehr geehrte Frau Dreyer,
es freut mich, dass Sie sich für das Thema deutsche Außenpolitik interessieren und sich mit dem Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan auseinander setzen. Deshalb beantworte ich Ihre Fragen sehr gerne. Mich würde darüber hinaus die Diskussion dazu in ihrer Klasse oder ihrem Kurs interessieren. Vielleicht haben Sie Lust, mir dazu ein paar Zeilen zu schreiben?
Nun zu Ihren Fragen:
I. Die Linksfraktion im Bundestag, deren außenpolitischer Sprecher ich bin, sagt zum Auslandseinsatz der Bundeswehr in Afghanistan von Anfang an ausdrücklich und konsequent NEIN! Und wir benennen diesen Einsatz auch ganz klar und von Anfang an als „Krieg“. Im Krieg werden Menschen getötet, in den modernen Kriegen hauptsächlich Zivilisten, Frauen und Kinder. Wenn man keine Menschen umbringen will, muss man nach friedlichen Lösungen von Problemen und Konflikten suchen. Das wurde im Falle Afghanistans überhaupt nicht versucht. Im Gegenteil: der Angriff auf die Twin Towers in New York wurde von den USA zum Kriegsgrund erklärt, die deutsche Regierung folgte dem völlig unkritisch. Besonnene Menschen aus aller Welt haben damals erklärt, dass Terrorismus nicht mit Krieg und Militär bekämpft werden kann, sondern nur mit polizeilichen Mitteln. Sie haben darauf hingewiesen, dass die Probleme in der Welt, die den Terrorismus hervor bringen, gelöst werden müssen. Hinzu kommt: Der Westen, vor allem die USA, hat jene Kräfte in Afghanistan gefördert, finanziert, mit Waffen versorgt und an ihnen ausgebildet, gegen die sie nun angeblich kämpfen. Und jetzt werden schon wieder Warlords finanziert und mit Waffen versorgt, um sie als Mitkämpfer gegen die Taliban zu gewinnen. Daran ist ersichtlich, dass diese Politik nicht geeignet ist, aus dem Teufelskreis des Krieges auszubrechen.
II. Nach meiner Meinung und der meiner Fraktion und Partei ist dieser Krieg nicht zu rechtfertigen, schon gar nicht, wenn wir die steigende Zahl von Opfern betrachten. Deutsche Soldaten in diesen Krieg zu schicken, ihnen vorzugaukeln, sie würden dort die deutsche Freiheit verteidigen, ist verantwortungslos. Ihr Leben wird gefährdet, sie verlieren ihr Leben sogar für eine falsche und aussichtslose Politik. Hinzu kommt, dass die Bundesregierung und ihre Parlamentsmehrheit die wirklichen Kriegsziele nicht nennen. Es geht um die Neuordnung des Mittleren Ostens, um Zugang zu und Durchleitung von Gas und Öl nach Europa und in die USA. Dies hat die neue Bundesregierung in ihrer Koalitionsvereinbarung so umschrieben: „Der Zugang zu Rohstoffen und deren verlässliche Verfügbarkeit sind für die deutsche Industrie mit ihren Produkten der Hoch- und Spitzentechnologie von besonderer Bedeutung und unverzichtbare Ziele der Außenpolitik“ (S. 48) Und an anderer Stelle: „In der Zeit der Globalisierung muss der Westen zu mehr Geschlossenheit finden, um seine Interessen durchzusetzen und gemeinsame Werte zu bewahren“ (S. 110).
III. Für DIE LINKE ist die Antwort ganz klar: Die Bundeswehr muss sofort aus Afghanistan abgezogen werden. Mehr Truppen in Afghanistan, so wie die Bundesregierung es nun wieder durchgesetzt hat, führt nur zu mehr Widerstand, auch bewaffnetem. Erst ein Truppenabzug und ein sofortiger Waffenstillstand sind die Voraussetzung für Verhandlungen aller am Konflikt beteiligten Parteien in der Region, um in einen Friedensprozess einzusteigen. Und erst ein Friedensprozess ermöglicht eine Entwicklung in der Region. Die Bundesregierung und die USA aber wollen auf keinen Fall ihren Einfluss in Afghanistan und auf die dortige Regierung verlieren, deshalb tun sie sich so schwer mit einem Einstieg in einen Friedensprozess. Denn dass dieser Krieg für die USA und für Deutschland „nicht gewinnbar“ ist, ist mittlerweile den meisten in den Regierungskreisen klar.
Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Gehrcke