Frage an Wolfgang Gehrcke-Reymann von Tanja G. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Gehrcke,
wie kann ein Rückzug aus Afghanistan in verantwortbarer Weise aussehen?
Ist für eine Übergangszeit eine Schutzzone für Flüchtlinge erforderlich?
Muß Europa bei der Bekämpfung des Terrors seine eigenen Sicherheitsinteressen mehr beachten?
Kommt die Gefahr für Europa aus Nordafrika?
Dazu ein Auszug aus einer Reisewarnung des Auswärtigen Amtes: In den nordafrikanischen und den südlich an die Sahara grenzenden Ländern wächst die Gefahr des islamistischen Terrorismus. Al-Kaida im Maghreb sucht derzeit gezielt nach Ausländern zum Zwecke der Entführung.
Brauchen die Sicherheitskräfte in Algerien und anderen bedrohten afrikanischen Staaten mehr Entwicklungshilfe und Unterstützung bei der Ausbildung ihrer Polizei?
Ist hier die rechtzeitige Bekämpfung von Al-Kaida auch deshalb erforderlich, weil man den Amerikanern keinen Grund für einen neuen Krieg liefern darf?
Mit freundlichen Grüßen
Tanja Großmann
Sehr geehrte Frau Großmann,
vielen Dank für Ihre Anfrage.
Um den Terrorismus zu bekämpfen, ist der sicherste Weg, rasch den „Krieg gegen den Terror“ zu beenden. Denn in der islamischen Welt wird dieser Krieg als Krieg gegen den Islam empfunden. Das schürt Hass auf den Westen. Kugeln und Bomben lösen das Problem nicht. Daher brauchen wir so schnell wie möglich einen Waffenstillstand, den der Westen erklären muss. Darüber hinaus muss die ökonomische und soziale Lage in den arabischen und islamischen Ländern massiv verbessert werden. Dafür ist materielle Hilfe ohne Bevormundung seitens der ökonomisch entwickelten Staaten des Westens unumgänglich.
Die unmittelbare Sicherheitslage muss schnell verbessert werden: durch den friedlichen, zivilen Aufbau und den Schutz der Zivilbevölkerung, durch eine effektive und nicht nur Partikularinteressen verpflichtete Polizei sowie deren Modernisierung, angemessene Ausrüstung und Entlohnung. Indem sich Europa nicht am Krieg gegen den Terror beteiligt, kann es am besten die eigenen Sicherheitsinteressen wahrnehmen. Statt Krieg zu führen, sollte ein Dialog der Kulturen begonnen werden.
Parallel zu einem schrittweisen Abzug aus Afghanistan schlägt die LINKE vor, einen Prozess zur nationalen Versöhnung in Afghanistan einzuleiten. Dafür müssen die derzeit in Afghanistan intervenierenden Mächte und die afghanischen Politikerinnen und Politiker mit allen Beteiligten reden, auch mit den Taliban. Eine neue Loya Jirga (Große Versammlung) muss einberufen werden, die alle gesellschaftlichen Gruppen einbezieht: ethnische Minderheiten, religiöse Gruppen, Frauen sowie unterschiedliche politische Kräfte. Aus der Loya Jirga kann ein demokratischer Neubeginn hervorgehen. Der aber wird nur möglich sein, wenn sich der Westen nicht weiter einmischt. Wir brauchen eine regionale Sicherheitskonferenz ähnlich der OSZE, in die alle Nachbarstaaten, auch der Iran, einbezogen werden müssen.
Im Rahmen eines solchen Prozesses der Stabilisierung und eines sozialen und politischen Neubeginns Afghanistans werden hoffentlich Fluchtgründe und neue Flüchtlingsströme entfallen. Es wäre eine Kompromisslösung, die auch vermutlich weite Teile der Taliban zu akzeptieren bereit wären.
MdB Wolfgang Gehrcke