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Winfried Kretschmann
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Dieter K. •

Frage an Winfried Kretschmann von Dieter K. bezüglich Finanzen

Sind Sie gewillt, für die vollständige Trennung von Kirche und Staat einzutreten, wie sie im Verfassungsauftrag vorgegeben ist und als Folge die Finanzierung der Kirchen einzustellen?

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Kaiser,

vielen Dank für Ihre Frage zum Verhältnis von Kirche und Staat.

Im Verhältnis zwischen Kirche und Staat hebe ich die Vorzüge der so genannten balancierten Trennung von Staat und Kirche, wie wir sie in Deutschland haben, hervor. Denn sie erkennt den gesellschaftlichen Charakter von Religion ausdrücklich an. Es ist gut, dass die Verfassung die Bundesrepublik als säkularen und nicht als laizistischen Staat entwirft. Das bedeutet nämlich: Trennung ja, aber verstanden als kooperative Trennung, weil der Staat von den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften profitiert. Sie bilden Werte aus, die die Bürgerinnen und Bürger in das Gemeinwohl einbringen, sie bilden Sozialformen und Organisationen aus, in denen diese gelebt werden können, und sie können dadurch auch zum kritischen Korrektiv für den Staat selbst werden.

Als säkularer Staat religiöse Pluralität zu gewährleisten ist zwar anstrengender und schwieriger, als durch Laizität alles Religiöse aus dem öffentlichen Raum zu verdrängen, aber es ist freiheitlicher. Denn die kooperative Trennung befreit die Politik von falschem Erwartungsdruck und bewahrt den Staat vor Allmachtsphantasien, gerade weil sie die Freiheit ihrer Bürgerinnen und Bürger nur gewährleistet und nicht schon ausfüllt. Der Laizismus ersetzt hingegen tendenziell Religion durch Zivilreligion und maßt sich damit an, den Freiheitsraum der Bürgerinnen und Bürger ganz oder teilweise schon auszugestalten. Das ist jedoch pluralismusfeindlich und damit freiheitsfeindlich. Die extremste Spielart einer solchen Zivilreligion ist der Nationalismus. Gegen ihn ist die säkulare Verfassung des Staates und die kooperative Trennung von Staat und Religionsgemeinschaften ein wirksames Gegenmittel.

Die Prägekraft der christlichen Kirchen, die unser Land lange bestimmt hat, nimmt ab, die Kirchen haben ihre Deutungshoheit verloren. Der säkulare und deshalb religiös und weltanschaulich neutrale Staat mutet ihnen stattdessen zu, sich in einem pluralen und säkularen Umfeld zu behaupten. Doch das fordert sie heraus, anschlussfähig an die Gesellschaft und zeitgenössisch zu bleiben, statt sich von der Gesellschaft abzukapseln. Durch die Wahrnehmung und Kontrolle im öffentlichen Raum wird ein kultureller Integrationsdruck aufgebaut, der vor Intoleranz und Fanatismus schützt. Eine vollständig ins Private zurückgedrängte Religion wäre viel anfälliger für solche Tendenzen, weil sie sich der gesellschaftlichen Diskussion nicht mehr zu stellen brauchte. Eine radikale Trennung von Kirche und Staat neigt also zu gegenseitigem Unverständnis und der Bildung geschlossener Gemeinschaften. Somit bringt die Präsenz von Kirchen und Religionsgemeinschaften im öffentlichen, gesellschaftlichen Raum für beide Beteiligte – Staat und Religionsgemeinschaften – Vorteile. Deshalb ist sie nicht nur tolerabel, sondern im Gegenteil wünschenswert, ja geradezu unerlässlich.

Auch der von Ihnen angesprochene Verfassungsauftrag zur Ablösung der Staatsleistungen darf nicht außer Acht gelassen werden. Die Kirchen signalisieren Gesprächsbereitschaft und auch ich sehe Vorteile, wenn Religionsgemeinschaften vom Staat finanziell unabhängiger werden. Weil die Staatsleistungen in manchen kirchlichen Haushalten einen nennenswerten Anteil ausmachen und von ihrer angemessenen Ablösung mithin indirekt die Leistungen der Kirchen für die Gesamtgesellschaft abhängen, kann die laizistische Lösung dieser Aufgabe nicht verfangen. Zwischen den berechtigten Interessen der Bundesländer als Schuldner, die die Ablösungssumme tragen können müssen, und den ebenso berechtigten Interessen der Kirchen, eine gleichwertige Ablösesumme zu erzielen, muss der Bundesgesetzgeber als Vermittler auftreten und in diesem Sinne ein mit beiden Parteien abgestimmtes Grundsätzegesetz zur Ablösung der historischen Staatsleistungen entwickeln. Bei einem solchen konsensuellen Vorgehen werden die notwendigen Änderungen im Vertragsstaatskirchenrecht kein Problem sein.
Säkularismus, verstanden in diesem Sinne als kooperative Trennung von Staat und Kirchen, ist für mich das Ziel, nicht Laizismus im Sinne einer möglichst weitgehenden Trennung des Staates gegenüber der Religion. Aus diesem Grund setze ich mich für eine im zweifachen Sinne „aktive“ Religionsfreiheit ein: Eine Religionsfreiheit, die vom Staat aktiv gefördert wird und die deshalb von den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zum Wohle der ganzen Gesellschaft aktiv mit Leben erfüllt werden kann und muss.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr Team Kretschmann

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