Frage an Winfried Hermann von Natalie K. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrter Herr Hermann,
wie werden Sie bei der anstehenden Abstimmung zur Bahnprivatisierung am kommenden Freitag votieren?
Und wie begründen Sie Ihr Votum?
Mit freundlichen Grüßen,
Natalie Kuczera
Sehr geehrte Frau Kuczera,
Vielen Dank für Ihre Anfrage zum Thema Bahnreform.
Wegen der Tragweite der Entscheidung hat die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen die namentliche Abstimmung sowohl über den Antrag der Großen Koalition "Zukunft der Bahn, Bahn der Zukunft - Die Bahnreform weiterentwickeln" als auch über den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen „Zukunft des Schienenverkehrs sichern“ beantragt.
Unsere Position lautet ganz klar: Wir lehnen den Antrag der Großen Koalition ab.
Wir sind entschieden gegen das Holding-Modell, das nach mehr als zwei Jahren Modelldiskussionen als ziemlich fauler Kompromiss herausgekommen ist. Am Ende ging es den Privatisierungsbefürwortern nur darum, dass ein Einstieg in die Privatisierung geschafft wird, egal wie. Für uns gilt hingegen: Schienenverkehr ist eine öffentliche Aufgabe und darf auch nicht indirekt dem Einfluss von Privatinvestoren ausgesetzt sein. Daher sind wir für einen sofortigen Stopp der Bahnprivatisierung.
5 Gründe gegen die Bahnprivatisierung nach dem Holding-Modell:
* Vor allem der Personenfernverkehr wird unter Renditedruck kommen. Nachdem der Interregio schon abgeschafft worden ist, steht jetzt der Intercity-Verkehr auf der Kippe. Viele Städte drohen vom Fernverkehr der Bahn abgehängt zu werden. Die werden dann nur noch vom zu zwei Dritteln aus Staatsmitteln finanzierten Regionalverkehr angefahren und die Bahnkunden die bleiben, müssen in die teureren ICE´s einsteigen und Umwege fahren. Das steigert Auslastung und Gewinn des Fernverkehrs zur Freude der Investoren, schadet aber den Bahnkundinnen und Bahnkunden.
* Die Privatisierung von Fahrscheinverkauf von Fahrplanwesen, die zum Personenverkehr gehören, lassen britische Verhältnisse befürchten, wenn die Zahl der Bahnanbieter steigt. Denn die Deutsche Bahn AG verkauft nur eigene Fahrkarten und schließt andere Anbieter systematisch aus ihrem Vertriebssystem aus. Daher wird es in Zukunft immer weniger durchgängige Fahrscheine geben, sondern jeder Zug muss neu bezahlt werden. Daher muss der Vertrieb als öffentliche Aufgabe genau so wie das Schienennetz gesichert werden.
* Investitionen in internationale Logisitikaktivitäten sind viel lukrativer als neue Züge in Deutschland fahren zu lassen. Schon heute ist DB Schenker der größte Lkw-Spediteur in Europa. Private Investoren werden das Lkw-Geschäft ausbauen, weil sich hier schneller Geld verdienen lässt als mit ungleich teureren und weniger flexiblen neuen Lokomotiven und Güterwaggons.
* Mehdorn bleibt Herrscher über einen gemeinwohlorientierten Infrastruktur- und einen renditeorientierten Transportbereich. Die Gemeinwohlorientierung der Infrastruktur ist dabei nicht mehr als ein frommer Wunsch der Politik, denn das Schienennetz wird weiterhin vor allem nach den Bedürfnissen der DB Transportgesellschaften entwickelt. Nur ein eigentumsrechtlich unabhängiges Netz würde Anreize schaffen, um mehr Verkehr auf die Schiene zu holen - auch Züge, die kein DB-Logo tragen. Die Konstruktion einer dreiviertelstaatlichen Transportgesellschaft, die Lkw-Flotten in den USA, Eisenbahnen in Spanien und Großbritannien und Logitistikniederlassungen auf der ganzen Welt unterhält, ist hoch riskant. Verspekuliert sich die Konzernführung, haften die deutschen Steuerzahler.
* Durch den Verzicht auf eine konsequente Trennung von Netz und Transport bei gleichzeitiger Hereinnahme privater Investoren wird die Bahnpolitik in Zukunft noch stärker im DB-Konzern gemacht als bisher. Die Große Koalition verzichtet auf eine eigenständige Schienenverkehrspolitik, sondern setzt statt dessen alles auf die Karte "Global Champion" Deutsche Bahn AG.
Der Börsenzug scheint nicht mehr zu stoppen. Es ist nicht erkennbar, dass es aus den Reihen von CDU und SPD bei der Abstimmung im Plenum des Bundestages am Freitag, den 30.5.2008, noch Widerstand geben wird. Im Gegenteil. Ohnehin gleicht die Beteiligung des Parlamentes nur noch einer Farce, denn obwohl die Parlamentarier offiziell noch gar nicht abschließend über die Teil-Privatisierung der DB AG entschieden haben, setzt der Vorstand der Deutschen Bahn diese längst in die Tat um.
Was ist aus grüner Sicht zu tun?
Vor einer Privatisierung muss es ordnungspolitische Leitplanken geben, die die schlimmsten Fehlentwicklungen einer privatisierten Bahn verhindern:
* Es braucht Mindeststandards für den Fernverkehr. Vergleichbar dem Regionalverkehr können Ausschreibungen von stark frequentierten Fernverkehrslinien mit schwach ausgelasteten Fernverkehrslinien dafür sorgen, dass auch mittelgroße Städte an den Fernverkehr angeschlossen bleiben.
* In der Satzung der DB AG muss festgelegt werden, dass ein Vorstand der DB Holding nicht auch Vorstand der neu zu gründenden Unterholding für Verkehr und Logistik, die über den Transportgesellschaften installiert werden soll, sein darf.
* Öffentliches Geld für die Schieneninfrastruktur gibt es nur auf der Basis einer transparenten, überprüfbaren und strecken Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung, die die Steigerung der Schienenkapazität als zentrales Kriterium enthält. Schlechtleistungen der DB Netz führen unmittelbar zu Strafzahlungen und zum Entzug von Strecken.
* Regionale Netze sollten mit einem finanziellen Ausgleich an die Bundesländer gehen, die dann Nahverkehr, Bahnhofsgestaltung und Streckenunterhalt aus einer Hand organisieren können, und dies zu einem Bruchteil der Kosten, den die DB bisher dafür ansetzt.
* Eine Stärkung der Bundesnetzagentur sorgt für eine echte Anreizregulierung, die der willkürlichen Trassenpreisfestsetzung der DB ein Ende setzt.
Wir Grüne sind für mehr und besseren Schienenverkehr zum Wohl der Bahnkundinnen und Bahnkunden und als wirkungsvoller Beitrag zum Klimaschutz. Statt Börsenplänen brauchen wir endlich ein integriertes Bahnkonzept, mit dem mehr Menschen und mehr Güter mit diesem umweltfreundlichen Verkehrsmittel bewegt werden können.
Wir unterstützen ausdrücklich den Länderbeschluss im Bundesrat, die Bahnprivatisierung nicht ohne begleitende Gesetzgebungsverfahren außerhalb der Parlamente umzusetzen. Die demokratisch föderale Kultur gebietet es, dass die für kommenden Freitag vorgesehenen abschließenden Beratungen im Deutschen Bundestag zum Holding-Modell ausgesetzt werden, bis der Ländergesetzentwurf durch die Bundesregierung bewertet und im Deutschen Bundestag beraten worden ist.
Die Länder haben die sehr berechtigte Sorge, dass das Fernverkehrsangebot der Deutschen Bahn AG nach einer Privatisierung erheblich ausgedünnt und Strecken im ländlichen Raum stillgelegt werden könnten. Sie haben daher ein Gesetz beschlossen, das klare ordnungspolitische Rahmenbedingungen für die Deutsche Bahn AG schafft.
Ein solches Gesetz ist sinnvoll und notwendig, unabhängig von der Frage, ob man das Holding-Modell zur Bahnprivatisierung unterstützt.
Mit freundlichen Grüßen,
Winfried Hermann